„Ein kritischer Moment für den alten Kontinent“

Die internationalen Medien haben den Ausgang der Bundestagswahlen kommentiert und attestieren Deutschland nach 16 Jahren Angela Merkel einen "schwachen Kanzler", egal ob Olaf Scholz oder Armin Laschet das Rennen macht. Mit einem schwach regierten Deutschland kommt auch die Sorge um ein instabiles Europa auf.
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Die Ampelkoalition ist ein mögliches Regierungsbündnis nach der Bundestagswahl.Foto: Julian Stratenschulte/dpa/Symbolbild/dpa
Epoch Times1. Oktober 2021

USA, „New York Times“: Scholz nutzte seine enge Beziehung zur Kanzlerin

„Nach 16 Jahren mit Angela Merkel als Kanzlerin haben die Deutschen ihre Wählerstimmen auf das gesamte politische Spektrum verteilt, um ihre Nachfolge zu bestimmen. Das deutet auf eine chaotischere Phase in Deutschland und eine Schwächung der Führungskraft des Landes in Europa hin.“

„Als Juniorpartner von Frau Merkel zu regieren, hätte die Sozialdemokraten, Deutschlands älteste Partei, fast umgebracht und sie ihrer Identität und ihrer Stellung als führende Stimme der Mitte-Links-Opposition beraubt. Doch Scholz nutzte seine enge Beziehung zur Kanzlerin zu seinem Vorteil, indem er als Amtsinhaber in einem Rennen ohne Amtsinhaber antrat.

In der Parteizentrale wurde er am Sonntagabend von Parteimitgliedern, die der Meinung sind, das Kanzleramt gehöre ihnen, als Retter gefeiert.“

Frankreich, „Dernières Nouvelles d’Alsace“ (DNA): Die Grünen sind die großen Sieger

„Letztendlich sind die Grünen die großen Sieger, die trotz ihres durchwachsenen Ergebnisses die dritte Kraft des Landes darstellen, aber vor allem auch die FDP von Christian Lindner. Er wird den Schiedsrichter spielen und hat dabei die Art und Weise noch nicht verdaut, wie er vor vier Jahren von CSU und den Grünen behandelt wurde, als diese schon einmal versuchten, eine Mehrheit zu bilden. Auch wenn die Verhandlungen noch nicht angefangen haben, kündigen sie sich bereits als unlösbar an. Und versprechen Angela Merkel, die den Übergang gewährleisten muss, noch ein paar Monate an der Spitze des Landes zu bleiben.“

Belgien, „De Standaard“: Merkel hinterlässt ungelöste Fragen

„Der nächste Bundeskanzler muss (…) noch besser sein als Angela Merkel – aus dem einfachen Grund, dass an seinem ersten Arbeitstag jede Menge drängende und vernachlässigte Aufgaben auf dem Schreibtisch liegen werden. Dabei wird auch eine weniger schöne Seite Merkels sichtbar: Zwar hat „Mutti“ mit ihren großen Qualitäten viele Probleme gelöst, doch Fragen, die ihr zu knifflig erschienen, hat sie geräuschlos ihrem Nachfolger und künftigen Generationen zugeschoben.“

Niederlande, „De Telegraaf“: Nächster Kanzler wird schwächer sein

„Der nächste Regierungschef in Berlin wird ein schwächerer Kanzler sein. Dies ist eine schlechte Nachricht für die Europäische Union, in der Deutschland mit Blick auf Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft führend in einer unruhigen Welt sein muss. Der neue deutsche Bundeskanzler wird wohl eher ein ‚primus inter pares‘ sein – der Erste unter Gleichen, wie das beim Ministerpräsidenten in den Niederlanden der Fall ist. Dem steht jemand wie Emmanuel Macron gegenüber, der als französischer Präsident über weitreichende Macht verfügt.“

Österreich, „Der Standard“: Starker Kanzler ist wichtig

„In der Theorie ist der nächste deutsche Kanzler so schwach wie kein anderer vor ihm, da seine Macht von nun gleich zwei Partnern abhängt. In der Praxis kommt es daher auf sein Geschick an, sich eine starke Position zu sichern. Gerade jetzt, da die USA alte Allianzen überdenken und die EU feststellt, dass die Amerikaner nicht mehr für Europas Interessen in die Bresche springen, braucht Europa einen starken deutschen Kanzler.“

Spanien, „La Vanguardia“: „Ein kritischer Moment für den alten Kontinent“

„Noch ist unklar, wer der nächste Bundeskanzler wird, aber sowohl Scholz als auch Laschet würden wegen des geringen Stimmanteils ihrer jeweiligen Parteien mit einer schwachen Machtbasis regieren. Und das in einer Zeit, in der die EU eine starke Führung braucht. In der internationalen Presse wurde immer wieder Merkels Qualität als stärkste Kraft Europas hervorgehoben. Sie hat nicht nur ihr Land, sondern auch Europa geführt.

Es ist ein kritischer Moment für den alten Kontinent. Donald Trump ist nicht mehr, aber sein Nachfolger (Joe Biden) hat schon deutlich gemacht, dass auch für ihn die EU keine strategische Priorität hat. Und China versucht, die EU zu einem weiteren abhängigen Kunden zu machen, wie es das schon mit anderen Teilen der Welt getan hat. Wer wird der Führer des neuen Europas sein? Ohne Zweifel der künftige Kanzler. Europa braucht einen Kaiser, einen starken Kanzler und vor allem einen, der nicht von der heimischen Politik gefesselt ist.“

Schweiz, „NZZ“: „Phase der Selbstzerfleischung“ in CDU beginnt

„Alles verblasst neben der epochalen Katastrophe der Union, deren Fern- und Nachwirkungen unabsehbar sind und die über Deutschland hinausweisen. Keineswegs ist auszuschließen, dass die CDU mittelfristig den Weg der italienischen Democrazia Cristiana gehen und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wird. Der Tonfall am Morgen danach lässt eine Phase der Selbstzerfleischung und der Schuldzuweisungen erwarten.

Es war ein kolossaler Irrtum der Union, nach 16 Jahren programmatischer Entkernung unter Angela Merkel auf einen Kandidaten zu setzen, der diese Leerstelle meinte füllen zu können, indem er sie einfach nicht ansprach. Wer sich von einer Vorgängerin nicht emanzipiert, gewinnt kein eigenes Profil. Ob die schwindenden Gestaltungsmöglichkeiten der Union durch den Gestaltungswillen von SPD, Grünen und FDP adäquat ausgeglichen werden können, steht dahin. Auch dort gibt es interne Widerstände und inhaltliche Differenzen. Eines aber hat diese Bundestagswahl gezeigt: Wer nicht zu sagen weiß, warum man ihn wählen soll, der wird nicht gewählt.“

Großbritannien, „The Times“: Deutschland braucht „gutes Gespür für die richtige Richtung“

„Eine künftige Koalition, am wahrscheinlichsten ist ein SPD-geführtes Bündnis mit den Grünen und den Freien Demokraten oder ein CDU-Bündnis mit denselben Juniorpartnern, wird die Merkelsche Unschlüssigkeit aufgeben müssen, die Deutschland 16 Jahre lang auf einem vorsichtigen Kurs gehalten hat. Im Inland muss sie die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur erhöhen, nicht zuletzt in die Dekarbonisierung der Wirtschaft, und einen ideenreicheren Umgang mit ihrer alternden und schrumpfenden Bevölkerung finden. Dies erfordert einen gesellschaftlichen Konsens, eine kluge Finanzverwaltung und ein gutes Gespür für die richtige Richtung.“

Dänemark, „Politiken“: Deutschland weiter in den Klimakampf hineinbringen

„Die mit Abstand größte Aufgabe der nächsten Regierung ist es, Deutschland viel weiter in den Klimakampf hineinzubringen, als es jetzt ist. Das ist nicht nur für Deutschland entscheidend, sondern für die ganze EU. Als größtes Land und dominierende Wirtschaft der Union ist Deutschland entscheidend dafür, dass die EU bei ihrer grünen Umstellung in den kommenden Jahren ins Ziel kommt – nicht nur direkt durch seine eigenen Emissionen, sondern großteils auch als tonabgebendes politisches Machtzentrum. Die Grünen haben nicht die Wahl bekommen, von der sie geträumt haben. Aber die Wahl ist zu einer Klimawahl geworden.“

Italien, „Corriere della Sera“: Mehr Revolution als Wahl

„Das war mehr eine Revolution als eine Wahl. Deutschland hat gewählt und beschließt die Ära Angela Merkels mit einem beispiellosen, außergewöhnlichen und höchst problematischen Ergebnis. (…) Die Geburt einer neuen Regierung kündigt sich langwierig und kompliziert an.“

Italien, „La Repubblica“: Rom und Paris rücken enger zusammen

„Die deutschen Wahlen haben für uns größere Folgen, als es die kommenden italienischen Wahlen haben werden, wann diese auch immer stattfinden. Vor allem dann, wenn es in Berlin eine Regierung geben würde, in der die FDP Zünglein an der Waage wäre und ihr Anführer, Christian Lindner, Finanzminister werden würde. In diesem Fall wäre Deutschlands Drang, so schnell wie möglich zurückzukehren zu einer fiskalischen (und monetären) Austeritätspolitik, sehr groß. (…) Eine solche Restauration wäre auch für Frankreich eine Katastrophe, und so rücken Rom und Paris de facto nun enger zusammen.“

Australien, „Spectator“: Gute Neuigkeiten für Macron

„Es wird einige Zeit dauern, bis eine Koalition gebildet ist. Merkel wird wahrscheinlich auch bei der nächsten EU-Ratstagung im Oktober noch Bundeskanzlerin sein. Aber wer auch immer ihr Nachfolger wird, wird Zeit brauchen, um die Autorität aufzubauen, die Merkel bei diesen Treffen hatte. Emmanuel Macron wird die kommende französische Ratspräsidentschaft zweifellos nicht nur nutzen, um seine eigenen, bereits guten Aussichten auf eine Wiederwahl zu verbessern, er wird auch versuchen, sich als dominante Figur im Rat zu positionieren.“

Russland, „Rossijskaja“: Wichtigster politischer Kampf steht noch bevor

„Zwei Kanzlerkandidaten auf einmal – Olaf Scholz von der SPD und Armin Laschet von der CDU – traten triumphierend vor ihre Anhänger und bekundeten ihre Bereitschaft, die künftige Regierung zu führen. Bisher gibt es kaum Zweifel an einem Punkt: Deutschland wird eine Dreier-Koalition auf Bundesebene erhalten. Tatsächlich steht der wichtigste politische Kampf erst noch bevor. (…) Und viele Experten glauben, dass es wirklich zu früh ist, Laschet abzuschreiben. Zugleich erklärte der sozialdemokratische Kandidat selbstbewusst: ‚Die Bürger wollen, dass der neue Kanzler Olaf Scholz heißt.'“ (nmc)



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