Fehlende Ingenieure gefährden Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit

Immer weniger Schulabgänger in Deutschland wählen technische Studiengänge. Die Wirtschaft stellt das in den kommenden Jahren vor große Probleme. Wenn es nicht gelingt, Ingenieure aus dem Ausland zu gewinnen, könnte sogar der Wohlstand gefährdet sein.
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Ingenieure arbeiten am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an einem Forschungssatelliten (Archiv).Foto: Carmen Jaspersen/dpa
Von 8. Februar 2023

Deutschlands Ingenieure hatten viele Jahre weltweit einen guten Ruf, bei Qualität und Innovation nach wie vor einen exzellenten. Das könnte sich demnächst ändern, da immer weniger Schulabgänger einen technischen Studiengang wählen.

Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) in einer Pressemitteilung vom 23. Januar mitteilt, wählten im Studienjahr 2021 rund 307.000 Studenten im ersten Fachsemester ein MINT-Fach. Als MINT-Fächer werden Studienfächer in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik bezeichnet.

Insgesamt waren das 6,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Dieser Rückgang hängt teilweise damit zusammen, dass die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger insgesamt seit 2019 rückläufig ist: 2021 lag sie um 4 Prozent niedriger als im Vorjahr. Parallel dazu hat sich in Deutschland die Zahl der 17- bis 22-Jährigen verringert. Zusätzlich ging infolge der Corona-Pandemie die Zahl ausländischer Studienanfängerinnen und Studienanfänger zurück, die zum Studium nach Deutschland kamen. Gleichzeitig sinkt jedoch auch der Anteil derjenigen, die sich im 1. Fachsemester für MINT-Fächer entscheiden: 2021 lag er bei 37,7 Prozent. Im Jahr 2015 hatte er noch 40,5 Prozent betragen – das war der bisherige Höchststand.

Viele Spezialisten gehen demnächst in Ruhestand

Verschärft wird die Situation im Moment dadurch, dass die sogenannte Generation der „Babyboomer“ sich in den kommenden Jahren nach und nach aus dem Berufsleben verabschieden wird. Auch viele technische Spezialisten und Ingenieure verabschieden sich dann in die Rente. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat schon 2019 berechnet, welche Lücke das reißen könnte.

Durch Aussetzung der Wehrpflicht und der G8-Reform, die die Schuljahre in den meisten Bundesländern von 13 auf 12 Schuljahre reduziert hat, schnellten anfangs auch die Zahlen der Studenten nach oben. Im Jahr 2011 gab es bei den Studienanfängern der Ingenieurwissenschaften ein Rekordhoch von 116.500 Studentinnen und Studenten. Diese haben in den vergangenen Jahren nach und nach ihren Abschluss gemacht. Professor Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, wies im VDI-Beitrag darauf hin, dass diese Spitzenjahrgänge dazu beigetragen hätten, dass die Bedarfslücke nur langsam gewachsen ist. Dies seien allerdings nur Einzelfälle.

In nächsten sechs Jahren scheiden 700.000 Ingenieure aus

Berechnungen hätten gezeigt, dass selbst bei einer schwächelnden Wirtschaft im Jahr 2029 etwa 84.000 Ingenieure fehlen. Bei einer boomenden Wirtschaft wären es nach diesen Berechnungen sogar 390.000. Nach Angaben des VDI werden bis zu diesem Zeitpunkt knapp 700.000 Ingenieure altersbedingt ausscheiden.

Laut einem Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln fehlten in Deutschland im April 2022 etwa 320.000 MINT-Fachleute. Die meisten Immatrikulationszahlen an den Universitäten lassen keine Verbesserung erkennen. Dringend werden also Konzepte gesucht, die diese Lücke dann auffüllen können.

Beim digitalen Wandel nur Mittelfeld

Ingenieure und technische Fachkräfte werden zukünftig dringend benötigt. Das Land steht vor einem massiven digitalen Wandel und hat im Vergleich zu anderen Ländern noch eine Menge aufzuholen.

Gerade erst ergab eine Civey-Umfrage, beauftragt von eco – Verband der Internetwirtschaft, laut dem Onlineportal IT-Zoom, dass 71 Prozent der Deutschen unzufrieden mit der aktuellen Digitalpolitik sind. Besonders großen politischen Handlungsbedarf sehen die Befragten laut Studie in den Bereichen „Digitale Verwaltung“ (44,8 Prozent), „Digitale Infrastruktur“ (43,8 Prozent) und „Cybersicherheit“ (43,5 Prozent). Im europäischen Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) der EU-Kommission belegt Deutschland gerade einmal Platz 13. „Zum digitalen Aufbruch, wie ihn die Bundesregierung aktuell in ihrem Koalitionsvertrag vorsieht, ist es leider noch ein weiter Weg“, resümiert Alexander Rabe, Geschäftsführer des eco-Verbands.

Wohlstand in Deutschland ist gefährdet

Ohne Ingenieure und technische Fachkräfte kann der digitale Wandel allerdings nicht gelingen. Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sieht dadurch sogar den Wohlstand in Deutschland gefährdet. „Wir brauchen diese Fachkräfte für Innovation, damit unsere Unternehmen wettbewerbsfähig sind, aber auch, damit wir unsere Ziele der Nachhaltigkeit umsetzen können“, so Plünnecke in einem Interview mit „SWR Aktuell“.

„Wenn das nicht der Fall ist, dann geht die Wettbewerbsfähigkeit ein Stück verloren. Oder Unternehmen müssen stärker auch in andere Regionen verlagern“, befürchtet Plünnecke.

Prüfung der Qualifizierung muss unkomplizierter werden

Wer kann aber die Lücke füllen? Oft wird darüber diskutiert, dass man auf Fachkräfte aus dem Ausland zurückgreifen könne. Der Verband Deutscher Ingenieure warf der Politik schon im Mai letzten Jahres in diesem Bereich zu wenige Engagement vor. „Wir benötigen ein den Bedarfen angemessenes Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das klare Wege auf den deutschen Arbeitsmarkt aufzeigt und die Bürokratie auf ein überschaubares Maß reduziert“, sagte Ingo Rauhut, Geschäftsführer des VDI-Fachbeirates Beruf & Arbeitsmarkt damals. „Darüber hinaus müssen wir an unserer Willkommenskultur arbeiten, so dass Ingenieure aus dem Ausland und ausländische Studierende der Ingenieurwissenschaften dauerhaft in Deutschland bleiben wollen.“

Um Deutschland für Fachkräfte aus aller Welt attraktiver zu machen, müssten Gleichwertigkeitsprüfungen der beruflichen beziehungsweise akademischen Qualifikationen möglichst schnell und unkompliziert durchgeführt werden. „In der Praxis führen Einzelfallprüfungen bei Anerkennungsverfahren bisher immer wieder zu kaum nachvollziehbaren Verzögerungen. Von hoher Bedeutung ist, dass durch eine Beschleunigung der Anerkennungsverfahren ein Beitrag zur Bewältigung des Fachkräftemangels geleistet wird, aber gleichzeitig auch Qualitätsstandards gewahrt bleiben“, sagt Dr. Thomas Kiefer, Referent für Internationale Berufspolitik beim VDI.

Dabei müsse einer uneinheitlichen Rechtsauslegung entgegengewirkt werden, beispielsweise durch zentrale Eingangs- und Bearbeitungsstellen, die sich auf zügige Anerkennungsverfahren spezialisieren. Zum anderen müsse die für die Gleichwertigkeitsfeststellung zuständige Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) gestärkt werden.

„Chancenkarte“ soll Deutschland attraktiver machen

Im vergangenen November hat die Bundesregierung sogenannte „Eckpunkte Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ beschlossen. Damit soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das seit März 2020 in Kraft ist, weiterentwickelt werden. Ziel ist es, Fachkräfte aus Drittstaaten noch einfacher und schneller für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Gleichzeitig sollen Menschen aus Ländern außerhalb der EU bessere Möglichkeiten erhalten, in Deutschland eine Arbeitsstelle zu finden. Solche Menschen sollen ein Jahr in Deutschland leben können, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Das soll eine sogenannte „Chancenkarte“ regeln.

Mit diesen Maßnahmen möchte sich Deutschland als attraktives Einwanderungsland präsentieren. „Die Vorstellung, dass per se alle Fachkräfte der Welt nach Deutschland kommen wollen, ist leider eine Illusion“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) damals bei der Vorstellung der Eckpunkte. Das liege auch an der deutschen Sprache, die ein Wettbewerbsnachteil etwa gegenüber angelsächsisch geprägten Ländern bedeute. Mit der Wirtschaft werde man gemeinsam an einer Anwerbestrategie mit gezielten Aktionen in bestimmten Ländern arbeiten, kündigte Heil an.



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