Wo steht Sahra Wagenknecht wirklich?

Friedenspolitik, Migration, Wirtschaftsreformen: Das BSW will sich nicht in alte Lager einordnen. Doch Wagenknechts Positionen ziehen sowohl enttäuschte Linke als auch frustrierte Konservative an.
Titelbild
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht beim 2. Bundesparteitag in Bonn.Foto: Sascha Schuermann/Getty Images
Von 7. Februar 2025

Obwohl das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Umfragen zufolge um den Einzug in den Bundestag bangen muss, schickt die jüngste im Bundestag vertretene Partei mit ihrer Gründerin und Namensgeberin offiziell eine Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf.

Kein Zweifel: Wagenknecht polarisiert. Der Ruf der hochintelligenten, aber auch unbequemen, unnahbaren Einzelgängerin eilt der Thüringerin voraus, seit sie begonnen hatte, sich als junge Frau parteipolitisch für den Sozialismus zu engagieren. Ihr langjähriger Wegbegleiter Gregor Gysi gab im Oktober 2023 im „Spiegel“ über jene Zeit zu Protokoll:

Die einen waren begeistert und fanden sie absolut fantastisch, die anderen wollten sie so schnell wie möglich loswerden. Mir war klar, dass eine Abspaltung droht, sollte sich Wagenknecht irgendwann von der Partei entfremden.“

Von der FDJ über die SED bis zum Fraktionsvorsitz der Linken

Die Partei, das war zunächst die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Die damals überzeugte Marxistin Wagenknecht trat ihr im März 1989 im Alter von 19 Jahren bei, um das schwächelnde DDR-System wieder in Schwung zu bringen, wie sie 2011 in der „Zeit“ (Bezahlschranke) zu verstehen gab.

Auch nach dem Mauerfall blieb Wagenknecht trotz aller internen Kämpfe 34 Jahre lang sämtlichen SED-Nachfolgeparteien treu, hießen sie nun PDS, Die Linkspartei.PDS oder Die Linke. Von Anfang an zumeist in prominenten Funktionen – von der Europaabgeordneten über den Parteivizeposten bis zur Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, dem sie seit 2009 ununterbrochen angehört.

Abschied von den Linken

Nach dem 2018/19 auch wegen ihres damaligen Burnouts gescheiterten Versuch, eine parteiübergreifende Bewegung namens „Aufstehen“ zu etablieren, entschied sich Wagenknecht im Oktober 2023, den Bruch zu den Linken zu vollziehen. Vorausgegangen war eine längere inhaltliche Entfremdung und Dissens mit der Parteispitze.

Die Parteigründung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ mit neun weiteren ehemaligen Mitgliedern der Linken erfolgte im Januar 2024. Bei den im Mai folgenden Europawahlen holte das BSW aus dem Stand 6,2 Prozent. „Ein Wahlerfolg, nicht nur auf Kosten der Linken“, analysierte die „Tagesschau“.

Die Wählerwanderung zum BSW bei den Europawahlen 2024. Foto: Bildschirmfoto von tagesschau.de, Quelle: Infratest dimap.

Gegen Waffenexporte, Wettrüsten und Wehrpflicht

Im Einklang mit ihrem Wahlprogramm (PDF) steht Wagenknecht gegen Waffenexporte, Wettrüsten und Wehrpflicht. Eine Aufnahme der Ukraine in die EU lehnt das BSW ab.

Leute wie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, die auf die „militärische Karte“ setzten, seien „ein Sicherheitsrisiko für unser Land“, kritisierte Wagenknecht am 3. Oktober 2024 auf einer Friedenskundgebung in Berlin. Das Geld werde nicht für NATO-Zwecke, sondern für „Schulen, Krankenhäuser und unsere Leben“ gebraucht.

Wie alle – auch US-amerikanische – Politiker, die Kriege begönnen, sei zwar auch der russische Präsident „ein Verbrecher“, dennoch müsse es auch andere Wege als Gewalt geben:

Wir dürfen nicht weiter in diese Richtung gehen, nein, wir brauchen Frieden, und wir brauchen Diplomatie und wir brauchen Verhandlungen“.

Kritiker sehen in Wagenknecht eine Handlangerin Putins, die mit ihrer Friedensbewegung auch Rechtsradikale anziehe und russische Propaganda verbreite.

Wagenknecht erklärt ebenso, gegen die „furchtbaren Kriegsverbrechen im Gazastreifen“ als auch gegen die „endlosen Provokationen der Regierung Netanjahu“ müsse man seine Stimme erheben – alles andere sei aus ihrer Sicht „Heuchelei“ (Video auf YouTube).

Gegen „Kontrollverlust“ an der Grenze

In der Migrationspolitik teilt Wagenknecht die Grundauffassung von Union und AfD, dass es restriktivere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung geben müsse: Auch sie selbst sehe einen „Kontrollverlust“, sagte sie am 31. Januar 2025 im Gespräch mit dem Nachrichtensender „Welt“.

Die Gruppe BSW im Bundestag hatte am selben Tag dem Gesetzentwurf der Unionsfraktion zum Zustrombegrenzungsgesetz mit sieben seiner zehn Mitglieder zugestimmt. Auch die AfD-Fraktion sagte fast vollständig Ja. Da die Fraktionen von Union und FDP jedoch zu viele Abweichler beherbergten sowie SPD und Grüne geschlossen dagegen stimmten, war der Vorstoß zur Migrationswende gescheitert.

Wirtschaft und Gesellschaft

Das Verbrennerverbot der EU hält die 55-Jährige ebenso wie die deutsche CO₂-Steuer für einen Fehler. „Deutschland braucht keine Neuauflage einer gescheiterten Politik und schon gar keinen Kriegs-Hasardeur im Kanzleramt, sondern preiswerte Energie, Investitionen in Straßen, Schienen und Brücken und die Entlastung von Normalverdienern“, erklärte die BSW-Gründerin Mitte November 2024 im Bundestag (Video auf YouTube).

Für ein „großes Investitionsprogramm“ müsse „die Schuldenbremse reformiert werden“, schlug die Finanzexpertin Mitte Dezember 2024 bei der Präsentation ihres Wahlprogramms vor (Video auf YouTube).

Im n-tv-Interview am Rande des 2. Bundesparteitags Mitte Januar 2025 bekräftigte Wagenknecht, dass ihre Partei sich für „einen starken Mittelstand, gute Löhne und ordentliche Renten“ einsetze. Anders als etwa der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck lehnt Wagenknecht Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch Zensur oder Faktenchecker außer bei strafbaren Inhalten ab:

Wir haben in Deutschland schon einen Trend, den Meinungskorridor immer enger zu definieren, wir haben eine unglaubliche Cancel Culture.“

Aus Angst vor Ausgrenzung oder Auftragsverlust würden manche Menschen sich nicht mehr trauen, sich zum BSW zu bekennen (Video auf YouTube),

Mit Marx und Hegel den Kapitalismus überwinden?

Nach dem Abitur 1988 wurde ihr in der DDR das Studium untersagt, was ihr psychische Probleme bereitete. Sie lehrte Russisch und Mathematik, bis sie sich nach der Wende 1990 zunächst in Jena immatrikulieren durfte, berichtete Wagenknecht gegenüber der „Zeit“. Nach einigen Semestern in Berlin schloss sie ihr Studium sechs Jahre später im niederländischen Groningen als Magistra der Philosophie mit einer Arbeit über die Hegel-Rezeption des jungen Karl Marx ab (Leseprobe, PDF).

In dieser Zeit betätigte sie sich auch als Aktivistin in der „Kommunistischen Plattform“ (KPF), dem marxistischen Flügel der PDS. 1995 aber kostete sie das nach Angaben der „Frankfurter Rundschau“ (FR) beinahe die Parteikarriere: Gregor Gysi setzte fünf Jahre lang durch, dass Wagenknecht dem PDS-Vorstand nicht mehr angehören durfte, weil die KPF vom Verfassungsschutz als „extremistisch“ eingestuft worden war.

Noch 2011, ein Jahr, nachdem Wagenknecht ihre KPF-Mitgliedschaft hatte ruhen lassen, bekannte sie sich in einem Interview mit „Zeit online“ (Bezahlschranke) dazu, den Kapitalismus überwinden und „bestimmte Unternehmen“ verstaatlichen zu wollen.

Auf einmal hieß es: „Freiheit statt Kapitalismus

Spätestens Ende der 2000er Jahre aber hatte Wagenknecht, die nebenher in Volkswirtschaft promovierte, offenbar einen inneren Wandel vollzogen, wie in ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ (2013) zum Ausdruck kam: Vor dem Hintergrund der Banken- und Eurokrise beschrieb sie ihre laut „Spiegel“ „ordoliberal“ beeinflussten Ideen von einer neuen Sozialen Marktwirtschaft, die sowohl abseits vom angelsächsischen Kapitalismus als auch abseits von Planwirtschaft funktionieren sollte. Im selben Jahr erschien ihre Dissertation über privates Sparverhalten („The Limits of Choice“, Campus Verlag 2013).

Als die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel im Oktober 2024 in einem TV-Duell der „Welt“ der Konkurrentin ihre kommunistische Vergangenheit vorwarf, räumte Wagenknecht ein, in den Neunzigerjahren Dinge „aus purem Trotz“ vertreten zu haben. Heute halte sie ihre Aussagen von damals für „ziemlich abenteuerlich“. Zu SED-Zeiten sei sie aber auch „alles andere als systemtreu“ gewesen, gab Wagenknecht unter Verweis auf das ihr verweigerte Studium zu bedenken (Video ab ca. 56:10 Min. auf YouTube).

Der Wandel der Wagenknecht

Wagenknechts Wandel beschreibt ihr ehemaliger Co-Fraktionsvorsitzender der Linken, Dietmar Bartsch, im dritten Teil der ARD-Porträtserie „Trotz und Treue – das Phänomen Sahra Wagenknecht“:

Der Aufstieg der Sahra Wagenknecht zu dem, was sie heute ist, hat mit der Partnerschaft mit Oskar Lafontaine zu tun. Da ist sie unendlich gewachsen und auch zu einem anderen Menschen geworden.

Seit 2014 ist Wagenknecht in zweiter Ehe mit dem früheren SPD-Urgestein, Saar-Ministerpräsidenten, Bundesfinanzminister und späterem Linken-Politiker Oskar Lafontaine (81) verheiratet. Das Paar lebt privat im ländlichen Nordwesten des Saarlandes, unweit der französischen Grenze.

Nachdem sich Lafontaine wegen einer Krebserkrankung aus der Bundespolitik der Linken verabschiedet hatte, übernahm Wagenknecht eine prominentere Rolle im Formulieren ähnlicher Positionen. Beide kritisierten den Kurs der Parteiführung, die hauptsächlich „Modethemen der Besserverdienenden“ wie „Klima, Gendern, Diversität, Migration“ in den Vordergrund stelle.

Die Frage, ob ihre neue Partei eine „linke Kraft“ ist, kann vorerst nicht beantwortet werden, urteilt der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im letzten Teil der ARD-Porträtserie.

Wagenknecht erklärte zur Parteigründung, dass viele Menschen mit den Labels links oder rechts nicht mehr viel anfangen könnten. Für das BSW möchte sie diese nicht mehr benutzen.

Vater seit Kindertagen verschollen

Dr. Sahra Wagenknecht kam nach Angaben des Onlineportals „Was-war-wann“ am 16. Juli 1969 in Jena als nicht eheliche Tochter einer staatlichen Kunsthändlerin und eines iranischen Studenten zur Welt. Ihr Vater sei schon 1972 in den Iran gereist und nie zurückgekehrt. Er gilt seither als verschollen.

Die kleine Sahra wuchs bis zu ihrer Einschulung zunächst bei ihren Großeltern im Jenaer Ortsteil Göschwitz auf. Sie soll sich laut FR schon als Vierjährige selbst Lesen und Schreiben beigebracht haben. Dann sei sie zu ihrer Mutter nach Ost-Berlin gezogen.

Zwischen Mai 1997 und 2013 war Wagenknecht in erster Ehe mit dem Ex-Finanzberater, Autor und Politiker Ralph Thomas Niemeyer verheiratet.



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