In Kürze:
- Rafael Mariano Grossi, Generaldirektor der IAEA, sieht Chancen für eine Rückkehr Deutschlands zur Kernenergie.
- Wirtschaftsministerin Katherina Reiche wolle laut Grossi „das Thema sehr ernsthaft“ prüfen.
- In Europa ist Deutschland eines der wenigen Industrieländer ohne aktives Kernkraftwerk.
- Der Fokus von Deutschland solle auf Mini-Kernkraftwerken und auf der Kernfusion liegen.
Rund zweieinhalb Jahre nach dem endgültigen Ausstieg Deutschlands aus der kommerziellen Nutzung der Kernenergie gibt es jetzt ein erstes Anzeichen einer möglichen Rückkehr zu dieser Art der Stromerzeugung.
So erwartet Rafael Mariano Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), eine Rückkehr der Bundesrepublik zur Kernenergie. Die IAEA ist eine Organisation der Vereinten Nationen.
Dabei bezieht er sich auf ein Gespräch mit Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) beim G7-Energieministertreffen in Toronto. Laut dem Medium „Politico“ sagte Grossi:
„Sie hat mir gegenüber geäußert, dass das Thema sehr ernsthaft geprüft wird.“
Ausnahmeland Deutschland
Der Generaldirektor ging dabei auch auf die Verbreitung der Kernkraft in Europa ein. „Man könnte eine Karte Europas zeichnen – mit zwei Ausnahmen: Spanien, das immer noch unentschieden ist, und Deutschland, das ausgestiegen ist, aber Hintergedanken hat und auf praktische Weise zurückkehren möchte“, sagte Grossi.
Die Bundesrepublik grenzt an mehrere Länder, die mindestens einen Kernreaktor zur Stromgewinnung betreiben und planen, diesen auch zu behalten oder noch weitere Anlagen zu bauen. Hierzu zählen die Schweiz, Tschechien, die Niederlande, Frankreich und Belgien. Ungarn, Schweden, Rumänien, Bulgarien und die Ukraine haben ähnliche Ambitionen. Polen und die Türkei planen, demnächst ihren ersten Reaktor zu errichten.
Japan, das Land, das 2011 in
Fukushima nach einem starken Erdbeben und einer darauffolgenden Flutwelle Kernschmelzen in drei Reaktoren und die Freisetzung von Radioaktivität erlebte, hat aktuell
33 betriebsfähige Reaktoren. In den kommenden Jahren plant das asiatische Land, weitere Reaktoren zu errichten.
Im Jahr 2000 leitete die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) den deutschen
Atomausstieg in die Wege, welcher 2002 vom Bundestag bestätigt wurde. Als Reaktion auf Fukushima beschleunigte die schwarz-gelbe Regierung unter Angela Merkel (CDU) – nach einer vorübergehend beschlossenen Laufzeitverlängerung bis 2040 – den Ausstieg und ließ in kurzer Zeit acht Kernkraftwerke abschalten. Im April 2023 wurden schließlich die letzten drei Meiler des Landes unter der Ampel-Regierung von Olaf Scholz (SPD) endgültig auf null heruntergefahren.
Inzwischen befinden sich die meisten Anlagen im Rückbau. Im Januar, noch während des Wahlkampfs,
kritisierte der damalige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz (CDU) den Atomausstieg mit deutlichen Worten.
Fokus auf modulare Reaktoren und Kernfusion
Grossi hob klar hervor, dass es bei dem Gespräch mit Reiche weniger um große Kernreaktoren ginge, die Deutschland in der Vergangenheit betrieben hatte. Große Kernkraftwerke seien in Deutschland
zu teuer, erklärte Grossi.
Stattdessen ginge es vielmehr um die sogenannten Small Modular Reactors, also kleine modulare Reaktoren, kurz SMR. Auch die Kernfusion, an der aktuell mehrere Institutionen forschen, sei denkbar. Deutschland habe große Fähigkeiten in der Nukleartechnologie, sagte der IAEA-Chef. „Ich glaube, all diese Kompetenzen bestehen weiterhin, und wir werden sie in den kommenden Jahren wieder aktiv sehen.“
Im Bereich der Fusionsenergie hat die Bundesregierung im Oktober einen
Aktionsplan vorgelegt. Demnach plant sie, über 2 Milliarden Euro in die weitere Forschung zu stecken. Das Ziel, den ersten Fusionsreaktor der Welt fertigzustellen, ist im Koalitionsvertrag verankert.
Zum Thema SMR sagte Reiche im Mai auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel, man müsse zumindest Technologien „mitshapen und entwickeln“ können. „Wenn wir das auch verpassen, verpassen wir, glaube ich, eine große Chance“, so Reiche. Ähnlich äußerte sie sich im Oktober bei der Konferenz „Berlin Global Dialogue“.
Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums erklärte auf Anfrage des „Politico“, es gebe keinen Plan, in Deutschland bei der Energieerzeugung erneut auf Atomkraft zu setzen. „Persönliche Gespräche kommentieren wir grundsätzlich nicht“, so der Sprecher. Allerdings könnte in Deutschland jetzt die Debatte darüber wieder aufkommen.
Mehrheit für Wiedereinstieg
Zustimmung zu einer Rückkehr der Kernenergie scheint auch von der Bevölkerung zu kommen. Eine
Verivox-Umfrage vom April zeigt, dass eine Mehrheit von 55 Prozent die Rückkehr zu dieser Technologie befürwortet. Hingegen lehnen 36 Prozent der Bevölkerung eine erneute Nutzung der Kernkraft ab.
Einige Befürworter fordern zudem aktiv den Wiedereinstieg in die Kernkraft in Deutschland. Das zeigt auch eine
Petition.
Hinzu kommt, dass hierzulande Strombedarf besteht. Praktisch zeitgleich mit dem Atomausstieg wandelte sich Deutschland vom Netto-Stromexporteur zum -importeur. Im Sommer stellen Solaranlagen mehr als genug Strom zur Verfügung. Im Winter kann es allerdings gelegentlich zu
Dunkelflauten kommen, wenn es zu wenig Sonnenlicht gibt und kaum Wind weht. Dann gibt es teils erhebliche Stromdefizite, die dann durch ausländische Kraftwerke gedeckt werden müssen.
Mit Material von dts