Vom Schock erholt: Warum Japan nach Fukushima zur Kernkraft zurückkehrte
Nur drei Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima hat sich Japan wieder der Kernkraft zugewendet und bis heute zahlreiche Reaktoren wieder angefahren. Während sich auch die deutsche Bevölkerung dieser Technologie öffnet, kehrt die Bundesregierung der Kernkraft weiterhin den Rücken zu.
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Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa: Die japanischen Behörden genehmigten am 21. November 2025 die teilweise Wiederinbetriebnahme des weltweit größten Kernkraftwerks, ein wichtiger Schritt im Prozess zur Wiederaufnahme des Betriebs nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011.
2011 erlebte Japan mit Fukushima die größte Kernkraftkatastrophe des 21. Jahrhunderts und schaltete alle KKW ab.
2014 ging der erste Reaktor wieder ans Netz, es folgten 13 weitere und auch das weltweit größte Kraftwerk darf bald wieder Strom produzieren.
Deutschland hält derweil weiter an dem vor mehr als 23 Jahren beschlossenen Atomausstieg fest.
Sowohl in Japan als auch in Deutschland hat sich die Ansicht der Bevölkerung zur Kernkraft zuletzt gleichermaßen gewandelt.
Japan geriet kürzlich in die Schlagzeilen, weil es grünes Licht für die teilweise Wiederinbetriebnahme des größten Kernkraftwerks der Welt gegeben hat. Bei Japan und Kernkraft denkt man sofort an die Reaktorkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011. Ein prägendes Ereignis für diese Sparte der Energieerzeugung – weltweit. Seitdem hat sich einiges geändert.
Die Ära der japanischen Kernkraft begann in den 1970er-Jahren und war dort bis vor knapp 15 Jahren ein fester Bestandteil der Stromversorgung. Anfang 2011 lieferten 54 Reaktoren rund 25 Prozent des Stromes der Inselnation. Damit war Japan – nach den USA und Frankreich – die drittgrößte Kernkraftnation der Welt.
Im März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 9,0 die Region. Das Tōhoku-Erdbeben nahe der Ostküste des Landes verursachte einen fast 15 Meter hohen Tsunami – auch in Richtung des an der Küste gelegenen Kernkraftwerks Fukushima Daiichi.
Aufgrund mangelhafter Hochwasserschutzmaßnahmen fluteten die Wassermassen die Kühlsysteme des Kraftwerks. Kurz nach dem Ausfall der Kühlung kam es in drei der sechs Reaktoren zur Kernschmelze. Es war das schlimmste Atomunglück seit der Tschernobyl-Katastrophe von 1986.
Das zerstörte Reaktorgebäude Nr. 3 des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi am 25. Februar 2016.
Foto: Christopher Furlong/Getty Images
Beben reichte bis nach Deutschland
Nicht geologisch, aber auf politischer Ebene erschütterten die Ereignisse in Fukushima auch die deutsche Bundesregierung. Zwar beschloss die rot-grüne Regierungskoalition unter Gerhard Schröder (SPD) bereits 2002 den Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft. Direkt nach Fukushima beschleunigte jedoch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Ausstieg.
In den folgenden drei Monaten verkündete sie ein dreimonatiges Moratorium für die sieben ältesten Kernkraftwerke und den Reaktor Krümmel. Damit war das Ende für acht der damals bestehenden 17 deutschen Kernkraftwerke besiegelt. Die neun verbleibenden Kernkraftwerke gingen bis zum April 2023 vom Netz, unter ihnen die sichersten Kernreaktoren der Welt, wie Fachleute sagten.
Der Ausstieg aus der Kernenergie geht vor allem auf die Rechnung der Grünen. Schon bei ihrer Parteigründung war die Anti-Atom-Bewegung ein fester Bestandteil in ihren Reihen. „Umweltminister Jürgen Trittin boxte den Atomausstieg gegen heftige Widerstände durch“, heißt es auf der Webseite der Partei.
Immer wieder bezeichneten die Grünen die Kernkraft als Hochrisikotechnologie. Bis zum Ende setzten sie sich dafür ein, dass alle Kernreaktoren vom Netz gehen. Viele Menschen betrachten die Anti-Atom-Haltung der Partei gar als Ideologie. Dazu zählte etwa der energiepolitische Sprecher der CDU/CDU-Fraktion, Mark Helferich, im Rahmen des letztjährigen Untersuchungsausschusses zum Atom-Aus. Von ideologischem Verhalten sprach auch der ehemalige Oberschichtleiter des KKW Greifswald, Manfred Haferburg.
Neben Deutschland plant aktuell nur ein weiteres europäisches Land, aus der Kernkraft auszusteigen: Spanien. Dort sind derzeit sieben Reaktoren in Betrieb. Der Ausstieg soll bis 2035 erfolgt sein.
Polen, die Türkei sowie weitere Staaten außerhalb Europas wollen hingegen in die Kernkraft einsteigen. Italien plant, nach 40 Jahren ohne Atomstrom, mit sogenannten Mini-Kernkraftwerken (Small Modular Reactors – SMR) zu dieser Technologie zurückzukehren.
Einstellung gegenüber Kernkraft in Europa und ausgewählten Nicht-EU-Staaten sowie Anzahl der betriebenen Kernreaktoren nach Ländern.
Überblick über europäische Staaten und weitere große Nicht-EU-Staaten und wie sie zur Kernkraft stehen. Foto: Canva/Epoch Times, Daten: World Nuclear Association
Angesichts eines immer höheren Strombedarfs durch Künstliche Intelligenz, Rechenzentren und die Elektrifizierung in verschiedenen Bereichen beabsichtigen zudem zahlreiche Länder, die Anzahl ihrer Reaktoren weiter auszubauen.
Dazu zählen in Europa Frankreich, die Ukraine, Großbritannien, Belgien, Schweden, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Außerhalb Europas wollen unter anderem die USA, China, Russland, Südkorea, Indien, Kanada, Brasilien und nicht zuletzt Japan zusätzliche Meiler errichten.
Japans Rückkehr mit mehr Sicherheit
Wie aber operierte nun das Land der aufgehenden Sonne nach Fukushima? Aufgrund der Reaktorkatastrophe hatte Japan bis 2014 alle 33 noch betriebsfähigen Kernreaktoren komplett heruntergefahren. Ohne die Kernkraft musste das Land im Jahr 2014 seine Stromerzeugung zu rund 87 Prozent über Kohle, Erdgas und Erdöl absichern.
Das erzeugte nicht nur eine schlechte CO₂-Bilanz. Da der rohstoffarme Inselstaat diese fossilen Energieträger importieren muss, bedeutete dies hohe Kosten. Daher beschloss der Inselstaat die Rückkehr zur Kernkraft und setzte höhere Sicherheitsstandards an die Meiler. Erst wenn diese bei einer Anlage vollständig erfüllt waren, konnte sie wieder ans Netz gehen. Auch der Schutz vor Erdbeben und Flutwellen soll erhöht worden sein.
So konnte Japan ab 2015 seine ersten beiden Reaktoren – Sendai-1 und Sendai-2 im Südwesten des Landes – wieder hochfahren. Sie leisteten gemeinsam bis zu 1,8 Gigawatt (GW). Ein Jahr darauf ging der Reaktor Takahama-3 und im Jahr 2017 der Reaktor Takahama-4 wieder ans Netz.
Der bisher größte Rückanschluss erfolgte im Jahr 2018: Gleich fünf Reaktoren nahmen den Betrieb wieder auf. Von 2021 bis 2024 durften fünf weitere Reaktoren hochfahren, sodass die nuklearen Kraftwerke wieder rund 13 GW Leistung zur Stromversorgung Japans bereitstellen.
Seit 2015 hat Japan einen Kernreaktor nach dem anderen wieder in Betrieb genommen. Dem gingen strenge Sicherheitsüberarbeitungen voraus.
Der Kernkraftanteil an der Stromversorgung liegt aktuell bei knapp zehn Prozent aus 14 Reaktoren. Bis zum Jahr 2030 soll dieser auf rund 20 bis 22 Prozent ansteigen. Dazu müssten insgesamt fast 30 Reaktoren in Betrieb sein.
Die jüngste Genehmigung für die Wiederinbetriebnahme erhielt am 21. November 2025 das Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa in der westlichen Präfektur Niigata. Es ist das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Welt. Seine insgesamt sieben Reaktoren kommen zusammen auf eine Nettoleistung von knapp 8 GW und sichern der Anlage einen Platz unter den zehn größten Kraftwerken der Welt. Das leistungsstärkste Kraftwerk ist das Wasserkraftwerk am Drei-Schluchten-Staudamm in China. Es verfügt über eine Leistung von 22,5 GW.
Beim Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa sollen zunächst die Reaktoren 6 und 7 – die beiden größten mit je 1,3 GW – wieder ans Netz gehen. Reaktor 6 soll Anfang 2026 wieder anfahren. Aktuell wird auch der Neustart des Reaktors Tomari-3 diskutiert, wofür es Zuspruch von vier umliegenden Gemeinden gibt.
Übersicht von Japans Kernreaktorflotte (Stand: Januar 2025)
Nur drei japanische Reaktoren sind im gleichen Leistungsbereich wie Kashiwazaki-Kariwa-6 und -7. Dazu zählen der abgeschaltete Reaktor Hamaoka-5 und die in Bau befindlichen Reaktoren Ōma und Shimane-3. Neben kommenden Wiederinbetriebnahmen der stillgelegten, betriebsfähigen Anlagen errichtet der Inselstaat insgesamt drei komplett neue Meiler.
Gleichzeitig strebt Japan an, seine Stromproduktion aus „erneuerbaren“ Energien in fünf Jahren auf 36 bis 38 Prozent zu erhöhen. Das soll den Bedarf an fossilen Brennstoffen weiter senken und die CO₂-Bilanz der Stromerzeugung verbessern. Momentan liegt der Anteil der Erneuerbaren bei 25 Prozent.
Durch Fukushima nahmen die Japaner die Kernkraft plötzlich anders wahr. Sie wandelte sich in ihren Augen von einer Quelle des Antriebs zu einer Quelle der Angst. So lehnten 2012 laut einer Umfrage 80 Prozent der Japaner die Kernkraft ab.
Das hat sich bis heute jedoch stark gewandelt. Die jüngste Umfrage dazu stammt aus dem Oktober 2024. Unter den gegebenen Umständen befürworteten 58,1 Prozent der Japaner die Kernkraft als kommerzielle Energiequelle. 33,1 Prozent waren sich nicht sicher ob die Kernkraft zunehmen sollte oder nicht.
Grund für die erneut wachsende Befürwortung der Kernkraft seien die hohen Energiepreise und die Bestrebung nach einer besseren CO₂-Bilanz des Landes.
Auch in Deutschland ist die Zustimmung zur Kernkraft nach dem Atomausstieg gewachsen. Laut einer Verivox-Umfrage vom April befürwortet eine Mehrheit von 55 Prozent die Rückkehr zu dieser Technologie. Hingegen lehnen 36 Prozent der deutschen Bevölkerung die Kernkraft ab.
Was Deutschland von Japan lernen kann
Nachdem Japan selbst eine Kernschmelze erlebt hatte, konnte es sich nur wenige Jahre danach wieder für die Kernkraft entscheiden. Die deutsche Bundesregierung hält hingegen weiter an einer nuklearfreien Energieversorgung fest – obwohl Deutschland weder derart starke Erdbeben noch Flutwellen wie in Japan fürchten muss.
Zwar sickerte kürzlich durch, dass Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) „das Thema [der Kernkraft] sehr ernsthaft“ prüfen wolle. Offiziell gibt es vonseiten der Regierung aber keinen Plan, in Deutschland auf Kernreaktoren zur Stromerzeugung zu setzen.
Das Land in Fernost hat gezeigt, dass eine Erhöhung der Sicherheitsanforderungen den Betrieb dieser Anlagen (wieder) möglich macht. Auch viele andere Industrienationen weltweit zeigen das.
Hinzu kommt, dass einige Reaktorkonzepte eine Kernschmelze nahezu oder komplett unmöglich machen. Eine dieser Entwicklungen stammt aus Deutschland. Ebenso können bestimmte Reaktorarten Atommüll als Brennstoff verwenden, wie der BN-800, der bereits seit 2016 in Russland in Betrieb ist. Das kann gleichzeitig eine Antwort auf das Endlagerproblem darstellen. Der BN-800 gewinnt Strom zu 60 Prozent mit „abgebrannten“ Brennstäben anderer Kraftwerke. Ähnliche Anlagen sind in China und Indien in Betrieb.
Somit ist festzuhalten, dass Kernkraft eine zunehmende Rolle in der zukünftigen Energieversorgung spielen wird. Auch ist festzuhalten, dass viele andere Länder zeigen, dass es Wege (zurück) zur Kernkraft gibt – sofern der politische Wille dazu vorhanden ist.
Das Fachgebiet von Maurice Forgeng beinhaltet Themen rund um die Energiewende. Er hat sich im Bereich der erneuerbaren Energien und Klima spezialisiert und verfügt über einen Hintergrund im Bereich der Energie- und Gebäudetechnik.