Strukturelle Schwächen schlagen durch
IW: Wirtschaftsangleichung Ost- und Westdeutschland „kurzfristig nicht realistisch“
Auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es starke Unterschiede zwischen Ost und West. Der wirtschaftliche Rückstand sei in absehbarer Zeit nicht aufholbar. Das sagt das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft. Eine gezielte Förderpolitik lehnt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle ab. Der Düsseldorfer Ökonom Südekum sieht viele Standortvorteile im Osten.

Die PCK-Raffinerie Schwedt im Osten Deutschlands versorgt große Teile des Nordosten des Landes mit Benzin und Diesel – und den BER mit Kerosin.
Foto: Patrick Pleul/dpa
Ostdeutschland wird nach Einschätzung von Ökonomen des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) seinen wirtschaftlichen Rückstand gegenüber dem Westen in absehbarer Zeit nicht aufholen.
„Eine vollständige Angleichung an Westdeutschland ist kurzfristig nicht realistisch“, erklärte IW-Experte Klaus-Heiner Röhl. Grund seien „strukturelle Schwächen (…), die die wirtschaftliche Dynamik ausbremsen“. Er mahnte vor allem mehr Offenheit für ausländische Fachkräfte und einen schnelleren Ausbau der Digitalisierung in den ostdeutschen Bundesländern an.
Die ostdeutsche Wirtschafte habe seit der Wiedervereinigung stark aufgeholt, erklärten die Forscher weiter. Dennoch liege sie „immer noch deutlich hinter dem Westen zurück“.
Dem IW-Einheitsindex zufolge „hat die Wirtschaft in den neuen Bundesländern gut 78 Prozent des Westniveaus erreicht“. In den vergangenen fünf Jahren habe es jedoch keine weitere Angleichung gegeben, „zuletzt ist der Osten sogar leicht zurückgefallen“.
Besonders schwach zeigt sich die Region laut Studie bei Erwerbsbeteiligung, Innovation und Digitalisierung. So liegt die Erwerbsquote nur bei 86 Prozent des Westniveaus. 2022 war bereits mehr als jeder vierte Ostdeutsche älter als 65 Jahre.
Auch die Innovationskraft bleibt deutlich zurück. Ostdeutsche Unternehmen melden im Schnitt fünfmal weniger Patente an als westdeutsche. Zudem sind große, forschungsstarke Unternehmen in den östlichen Bundesländern seltener vertreten. In der Digitalwirtschaft trägt die Informations- und Kommunikationsbranche lediglich knapp drei Prozent zur Bruttowertschöpfung bei – nur gut die Hälfte des Westwerts.
IWH lehnt gezielte Förderpolitik für Ostdeutschland ab
Vize-Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Holtemöller, spricht sich gegen eine gezielte Förderpolitik des Bundes für die ostdeutsche Wirtschaft aus.
„Wirtschaftspolitik sollte sich nach der Sachlage richten, nicht nach der Himmelsrichtung“, sagte Holtemöller der „Rheinischen Post“. „Das Hauptproblem für den weiteren Aufholprozess ist, dass es in den urbanen Ballungsgebieten Ostdeutschlands weniger dynamische Marktdienstleistungen als in denen Westdeutschlands gibt. Hier könnte die Wirtschaftspolitik in den ostdeutschen Flächenländern ansetzen“, sagte Holtemöller.
„Die Stichworte sind: Bildung, Forschung und Entwicklung, Innovation. Das sind aber überwiegend Themen für die Landes- und Kommunalebene, nicht für den Bund.“
Er fügte an, dass der wirtschaftliche Aufholprozess Ostdeutschlands ein Riesenerfolg sei. „Heute liegen die verfügbaren Einkommen je Einwohner in Ostdeutschland bei über 90 Prozent des Bundesdurchschnitts. Im europäischen Vergleich steht Ostdeutschland damit gut da.“
Ökonom Südekum sieht „handfeste Standortvorteile“ in Ostdeutschland
Der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum sieht viele Standortvorteile Ostdeutschlands gegenüber dem Westen. „Der Aufbau der Infrastruktur in Ostdeutschland war ein großer Kraftakt, aber am Ende auch ein großer Erfolg. Heute punktet Ostdeutschland mit handfesten Standortvorteilen wie einem guten Angebot von entwickelten Flächen und klimafreundlicher Energie“, sagte Südekum der „Rheinischen Post“.
„Nicht umsonst stehen mittlerweile Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig ganz vorne im Bundesländervergleich beim Wirtschaftswachstum“, so der persönliche Berater von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD).
„Das Problem Ostdeutschlands ist heute, dass es dort keine Städte gibt, die es mit München oder Hamburg aufnehmen könnten“, sagte Südekum. Die Transformation der DDR-Wirtschaft hätte zudem „behutsamer“ organisiert werden müssen. (afp/dts/red)
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