EU-Beschluss: Fernfahrer dürfen nicht mehr im Lkw schlafen - Spediteure bangen um ihre Unternehmen
Lkw-Fahrer dürfen ihre gesetzlichen Schlafpausen künftig nicht mehr im Fahrzeug verbringen. Ihr Dienstplan muss außerdem regelmäßige Fahrten in die Heimat zulassen. Was für die Fahrer nach besseren Arbeitsbedingungen aussieht, könnte für die Spediteure schon bald zum Bankrott führen.

Lkw's auf einem Rastplatz. Symbolbild.
Foto: istock
Fernfahrer in der EU bekommen bessere gesetzliche Arbeitsbedingungen. Das EU-Parlament in Brüssel nahm am Donnerstag ein entsprechendes Gesetzespaket endgültig an. Der Beschluss besiegelte ein Reformvorhaben, das wie kein anderes über Jahre für Streit zwischen östlichen und westlichen EU-Ländern sorgte. Gewerkschaften und westliche Politiker reagierten euphorisch, während aus Osteuropa scharfe Kritik kam.
Die Regeln sehen vor, dass Lkw-Fahrer ihre gesetzlichen Schlafpausen künftig nicht mehr im Fahrzeug verbringen dürfen. Ihr Dienstplan muss außerdem regelmäßige Fahrten in die Heimat zulassen. So soll das etwa vom Verkehrsexperten der Europa-SPD, Ismael Ertug, angeprangerte „Nomadentum“ im Fernfahr-Sektor beendet werden.
Um Lohndumping zu verhindern, unterliegen die Fahrer zudem bei längeren Auslandsaufenthalten bis auf wenige Ausnahmen den sozialrechtlichen Bestimmungen des Aufenthaltslandes. Zur Kontrolle werden elektronische Fahrtenschreiber Pflicht. Zusätzliche Bestimmungen gibt es gegen Briefkastenfirmen, damit Speditionsunternehmen sich ihren Firmensitz – und damit das Lohnniveau – nicht einfach aussuchen.
Wie „n-tv“ berichtet, können rund 3,6 Millionen Lkw-Fahrer von den Reformen profitieren. Dabei beziehen sie sich auf Angaben des Europaparlaments. Nach den neuen Regeln dürfen die Fahrer die reguläre wöchentliche Ruhezeit nicht mehr in der Fahrerkabine verbringen. Außerdem bekommen sie das Recht, spätestens nach drei bis vier Wochen Arbeit nach Hause zu fahren.
Die Regelungen gelten auch für Fahrer von Fernbussen. Unternehmen müssen ihre Fahrpläne entsprechend organisieren. Können die Fahrer ihre Ruhepause nicht zu Hause verbringen, muss der Arbeitgeber für die Kosten einer Unterkunft aufkommen. Zudem sollen die Gehälter von Fahrern durch Regeln zur Entsendung EU-weit angepasst werden.
Die neuen EU-Vorgaben „werden verhindern, dass Unternehmen die Fahrer (…) ihres Familien- und Soziallebens berauben und sie um eine angemessene Bezahlung und Sozialversicherung betrügen“, erklärte der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC. „Missstände wie übermüdete Fahrer auf den Straßen, manipulierbare Kontrollgeräte und Briefkastenfirmen im Osten können nun effektiv bekämpft werden“, erklärte der EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU).
Ein Drittel der Unternehmen könnte pleite gehen
Der rumänische Verband der Spediteure hingegen beklagte, die Regeln würden ihre Industrie „begraben“. Kombiniert mit den Folgen der Corona-Krise sei damit zu rechnen, dass ein Drittel der Unternehmen der Branche pleite gehen werde.
Die EU-Kommission hatte die Reformpläne 2017 vorgestellt. Daraufhin war sowohl unter den Mitgliedstaaten als auch im EU-Parlament ein heftiger Streit entbrannt. Besonders aus Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten kamen Forderungen nach strengen Vorgaben, auch um Lohndumping osteuropäischer Speditionsunternehmen zu unterbinden. Polen, Bulgarien und andere warfen ihren westlichen Nachbarn im Gegenzug Protektionismus vor.
Schließlich wurden die Osteuropäer überstimmt. Im Rat der Mitgliedstaaten wurde die westliche Position Ende 2018 gegen Widerstand aus neun Ländern per Mehrheitsentscheid durchgedrückt. Im EU-Parlament konnte auch eine Flut von hunderten Änderungsanträgen ein positives Votum kurz vor der EU-Wahl im vergangenen Frühjahr nicht verhindern. Die Unterhändler der beiden Institutionen einigten sich anschließend dementsprechend.
„Der Kampf ist noch nicht vorbei“
Noch im April scheiterte eine Gruppe mehrheitlich östlicher Ländern mit dem Versuch, das Reformvorhaben unter Verweis auf die Folgen der Corona-Krise auf den Transportsektor doch noch zu kippen. Im neu gewählten EU-Parlament, wo die Einigung noch einmal bestätigt werden musste, gab es nun erneut Dutzende Änderungsanträge, die jedoch keine Mehrheit fanden.
„Der Kampf ist noch nicht vorbei“, kündigte der polnische EU-Abgeordnete Kosma Zlotowski an. Bestimmte Mitgliedstaaten würden „mit Sicherheit“ vor dem Europäischen Gerichtshof gegen dieses „eindeutige Beispiel von wirtschaftlichem Protektionismus“ klagen.
Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments hatten im Dezember 2019 eine vorläufige Einigung zu den neuen Arbeitsbedingungen für Fernfahrer erzielt. Diese wurde jetzt formal von den EU-Staaten und dem Parlament angenommen.
Die neuen Bestimmungen zu den gesetzlichen Pausenzeiten und Vorgaben für den Dienstplan treten in wenigen Wochen in Kraft. Für die Umsetzung neuer Regeln zur Kabotage, also wenn ein ausländisches Unternehmen eine Lieferleistung komplett innerhalb eines anderen Landes erbringt, und den sozialrechtlichen Bestimmungen gilt eine Übergangsfrist von 18 Monaten. (afp/nmc)
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.





