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Analyse

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USA ziehen sich zurück: Warum das für Europa keine schlechte Nachricht sein muss

Europa hat Grund zur Sorge: Mit ihrer neuen Sicherheitsstrategie läuten die USA eine Ära ein, in der sie nicht länger als Garanten der europäischen Sicherheit auftreten wollen. Doch hinter dieser scheinbar schlechten Nachricht verbergen sich auch Chancen für Deutschland und die EU.

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Die USA wollen die Wiederbelebung der Monroe-Doktrin. (Archivbild)

Foto: Andrew Caballero-Reynolds/AFP via Getty Images

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Lesedauer: 8 Min.


In Kürze:

  • Europa soll mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen.
  • Europa bleibt für die USA strategisch und kulturell unverzichtbar.
  • Trump will Fehler der früheren US-China-Politik revidieren.
  • USA warnen vor kritischen Szenarien im internationalen Seehandel.

 
Mit ihrer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie haben die USA unter Präsident Donald Trump erstmals schwarz auf weiß festgehalten, in welche Richtung ihre Außen- und Sicherheitspolitik während seiner zweiten Amtszeit gehen soll.
Trumps Botschaft ist eindeutig: Europa müsse künftig mehr Verantwortung für die eigene Verteidigung und Sicherheit übernehmen.
Auf den ersten Blick scheint es, dass die USA die Europäer mit ihren sicherheitspolitischen Problemen nun allein lassen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach daher von der Notwendigkeit, dass Europa und damit auch Deutschland „sicherheitspolitisch sehr viel unabhängiger werden müssen von den USA“.
Eine in den deutschen Medien vielfach zitierte Stellungnahme des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen brachte die Enttäuschung und Irritation hierzulande zum Ausdruck: „Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stehen die USA nicht mehr an der Seite der Europäer.“ Und weiter: „Die USA stehen nicht mehr an der Seite der Ukraine, einem Land, gegen das ein völkerrechtswidriger, brutaler Vernichtungskrieg geführt wird.“

Chancen für Europa

Ein Blick auf die globale Lage offenbart jedoch ein strategisches Kalkül der USA, das – wenn es aufgeht – auch Chancen für Europa beinhalten könnte. Dies zeigt sich vor allem an einer der drängendsten Sicherheitsfragen Europas: dem Ukrainekrieg.
Auch wenn die Trump-Regierung sich mit der angekündigten Wiederbelebung der Monroe-Doktrin stärker auf die Stabilität von Nord- und Südamerika konzentrieren und sich aus europäischen Angelegenheiten weitgehend zurückziehen will, bleibt es ein Kerninteresse der USA, den Konflikt zwischen Russland, der Ukraine und der EU schnell zu beenden.
Friedensabkommen seien für die USA ein „effektiver Weg“, um „mehr Stabilität zu erreichen, den globalen Einfluss Amerikas zu stärken, Staaten und Regionen enger an [ihre] Interessen zu binden und neue Märkte zu erschließen“ – so heißt es in der neuen Sicherheitsstrategie.
Ein Ende des Ukraine-Konflikts mit Moskau würde allerdings auch „den europäischen Volkswirtschaften Stabilität bringen und eine unbeabsichtigte Eskalation oder Ausweitung des Krieges verhindern“. Denn Europa bleibt für die Vereinigten Staaten sowohl strategisch als auch kulturell ein „unverzichtbarer“ Partner.

Trump will Fehler der Vergangenheit revidieren

Der Kurs von Trump zeigt eine klare Verschiebung der Prioritäten: Die USA betrachten Russland – wie in früheren Papieren der Vorgängerregierung unter Joe Biden – nicht mehr als „unmittelbare Gefahr“.
Hier zeigt sich auch eine zentrale Diskrepanz zu führenden EU-Staaten, die Moskau nach wie vor als große – wenn nicht als ihre größte – Sicherheitsbedrohung einstufen. Eine größere Gefahr ihrer nationalen Interessen und der internationalen Sicherheit sehen die USA, spätestens seit der ersten Amtszeit Trumps, hingegen im kommunistischen Regime Chinas.
Der Ton, den die USA unter Trumps Führung gegenüber China anschlagen, ist unmissverständlich: Die über Jahrzehnte verfolgte Politik, wonach wirtschaftliche Öffnung zu mehr Demokratie und Transparenz in China führen würde, sei gescheitert. Stattdessen hätten enorme ausländische Investitionen das kommunistische Regime gestärkt. Es sei ein Fehler, den die Trump-Regierung nun revidieren will.

Zwischen Hoffnung und Realität

Chinas wirtschaftliche Öffnung begann 1978 mit Deng Xiaopings Reformpolitik, der schrittweisen Abkehr von der Planwirtschaft, der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente und der Öffnung Chinas für ausländische Investitionen.
Im Westen herrschte damals die Erwartung, dass wirtschaftliche Liberalisierung langfristig zu politischer Öffnung, Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Reformen im Land der Mitte führen würde. Mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 wurde dieser Prozess weiter befördert.
Die Ernüchterung folgte, nachdem sich wirtschaftliche Abhängigkeiten bereits verfestigt hatten: Nun kritisieren die USA und die EU China für seine massiven staatlichen Eingriffe, wettbewerbsverzerrenden Subventionen für chinesische Unternehmen, den Diebstahl geistigen Eigentums, erzwungene Technologietransfers sowie ungleiche Marktbedingungen für ausländische Firmen.
Zudem werfen westliche Staaten Peking vor, mit Überkapazitäten und künstlich niedrigen Preisen globale Märkte zu verzerren. Die Kluft zwischen den damaligen Hoffnungen und der heutigen Realität prägt im Wesentlichen die aktuellen geopolitischen Spannungen.

Blockaden, Maut, Machtspiele

Vor diesem Hintergrund käme einem stärkeren, von den USA unabhängigeren Europa aus der Sicht Washingtons eine weitere zentrale Bedeutung zu: Es würde amerikanische Ressourcen entlasten und den USA ermöglichen, den Fokus stärker auf den Indopazifik zu richten.
Fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung auf Basis der Kaufkraftparität entsteht laut dem Strategiepapier in dieser Region, ein Drittel des weltweiten Schiffsverkehrs verläuft durch das Südchinesische Meer. Jegliche Störung dieser Handelswege hätte weitreichende Folgen für die globale Wirtschaft.
Die USA sehen sich selbst oftmals in der Rolle eines globalen Ordnungshüters, wobei eigene Sicherheits- und Wirtschaftsbelange ihre Kernpriorität bleiben. In der neuen Sicherheitsstrategie heißt es deshalb: „Wir werden Streitkräfte aufbauen, die Aggressionen überall innerhalb der Ersten Inselkette verhindern.“
Die sogenannte Erste Inselkette bezeichnet eine strategisch wichtige Linie von Inseln, die sich vom Süden Japans über Taiwan und die Philippinen erstreckt und den westlichen Rand des Pazifischen Ozeans markiert.
Sie spielt eine Schlüsselrolle, weil sie die Kontrolle des Seezugangs zwischen dem offenen Pazifik und den Küstengewässern Chinas ermöglicht. Wer diese Inselkette beherrscht, kann maritime Bewegungen überwachen, Handelsrouten sichern und militärische Operationen in der Region beeinflussen. Zu den von den USA befürchteten Szenarien gehört, dass Handelswege blockiert, nach Belieben geöffnet oder mit einem „Mautsystem“ für den Schiffsverkehr belegt würden.

Druck auf Europa wächst

Auch Europa ist stark in globale Lieferketten eingebunden – zahlreiche Industrien sind auf Rohstoffe, Komponenten und Fertigerzeugnisse angewiesen, die auf dem Seeweg transportiert werden. Eine Störung wichtiger Schifffahrtsrouten im Indopazifik könnte daher Lieferengpässe, steigende Preise und wirtschaftliche Unsicherheit in Europa auslösen. Von einer stabilen Ordnung im Indopazifik würden deshalb auch europäische Staaten profitieren.
Washington will nun Maßnahmen vorantreiben, die verhindern sollen, dass eine „potenziell feindliche Macht“ die Kontrolle über das Südchinesische Meer übernimmt – eine wichtige Schifffahrtsroute, die Peking zunehmend dominieren will.
Die USA fordern deshalb ihre Verbündeten in der Region auf – darunter Japan, Südkorea und Australien –, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, um die maritime Sicherheit entlang der Ersten Inselkette zu stärken.
In der Summe zeigt die neue Sicherheitsstrategie der USA für Europa: Mittelfristig steigt der Druck, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. Gleichzeitig kann dieser Impuls Europa stärken und handlungsfähiger machen. Im Umgang mit China rückt indes die Frage in den Vordergrund, wie sich die EU langfristig von Abhängigkeiten lösen will.

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