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plus-iconBewusstes Innehalten verlängert Zeit

Warum die Zeit im Alter rast - und was Sie dagegen tun können

Die Feststellung „Schon wieder ist ein Jahr vorbei!“ gehört für viele zum Jahreswechsel wie das Feuerwerk: Was früher endlos erschien, rast heute nur so an uns vorbei. Doch Zeit ist nicht absolut, auch nicht im fortgeschrittenen Alter. Es ist möglich, sie durch intensives Erleben wieder zu „dehnen“.

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Zeit ist relativ, das wusste schon Albert Einstein. Wie wir sie wahrnehmen, liegt maßgeblich daran, wie unser Gehirn Ereignisse ordnet und abspeichert.

Foto: ArisSu/iStock

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In Kürze:

  • Zeit ist relativ, das wusste nicht nur Albert Einstein: Mal vergeht sie quälend langsam, mal wie im Flug.
  • Hirnforscher haben untersucht, warum die Zeit im Alter scheinbar schneller vergeht.
  • Geprägt wird das Zeitgefühl davon, wie wir Ereignisse erleben – und wie scharf unser Gehirn die einzelnen Informationen trennt.
  • Wer seiner Zeit bewusst Struktur und Dichte verleiht, kann das subjektive Empfinden verändern.

 
Die Wahrnehmung, dass die vergangenen zwölf Monate in fliegendem Galopp vorbeigezogen sind, stellt sich jedes Jahr aufs Neue ein. Was früher endlos erschien – Sommerferien, Geburtstage, Adventszeit –, rast heute oft nur so an uns vorbei wie ein Schnellzug, und wir fragen uns: „Wo ist nur die Zeit geblieben?“.
Dieses Phänomen scheint derart universell, dass es fast schon zur menschlichen Grundausstattung gehört. In einer neuen Forschungsarbeit, am 30. September veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Communications Biology“, untersuchten Wissenschaftler um Hirnforscherin Selma Lugtmeijer Probanden beim Filmschauen und zeigten, dass mit fortschreitendem Alter die Dauer stabiler Gehirnaktivitätszustände deutlich zunimmt. Dabei ist die Studie selbst nur der Ausgangspunkt für eine tiefergehende Erkenntnis über das Wesen der Zeit – und über uns.
Zeit ist nicht absolut, auch nicht im fortgeschrittenen Alter – und es ist möglich, sie durch intensives Erleben zu „dehnen“. Aber warum empfinden wir die Zeit im Alter überhaupt anders?

Weniger Stoppschilder im Alter

Im Alltag merken wir es selten bewusst: Zeit vergeht nicht einfach, unser Gehirn gliedert jede Erfahrung in viele kleine Abschnitte. Wie Kapitel in einem Buch helfen diese Ereignisse, die Welt zu ordnen und später zu erinnern.
Lugtmeijer und Kollegen nutzten Hirnscans von über 500 Menschen im Alter zwischen 18 und 88 Jahren. Während die Testpersonen einen achtminütigen Ausschnitt eines Hitchcock-Films sahen, verfolgten die Wissenschaftler, wie sich die Aktivitätsmuster im Gehirn veränderten. In jungen Gehirnen wechselten diese Muster rasch und deutlich voneinander abgegrenzt. Das Gehirn markierte den Übergang von einem Moment zum nächsten mit einer Art innerem Stoppschild.
Bei älteren Erwachsenen hingegen zeigten sich längere Phasen ähnlicher Aktivitätsmuster. Die Übergänge zwischen zwei inneren Zuständen waren weniger scharf. Statt klarer Einschnitte gab es fließende Übergänge, so als würde ein Kapitel langsam ins nächste überblenden, ohne dass der genaue Zeitpunkt des Wechsels benannt werden könnte. – Oder um die Analogie beizubehalten: Erfahrungen werden nicht mehr durch Stoppschilder abgegrenzt, sondern mit „Vorfahrt gewähren“ gekennzeichnet.
Im Alter rollt das Gehirn demnach sanft von einem Ereignis zum nächsten, ohne anzuhalten. Folglich werden weniger einzelne Ereignisse als getrennte Einheiten abgespeichert. Und wenn wir später auf denselben Zeitraum zurückblicken, fehlen uns die markanten Erinnerungsstücke, die uns in jüngeren Jahren das Gefühl gaben, dass viel passiert ist.

Was im Kopf passiert, wenn die Jahre verfliegen

Je jünger wir sind, desto schärfer setzt das Gehirn diese unsichtbaren Markierungen. Deshalb erlebt ein Kind unendlich viele solcher „Kapitel“ – das Gehirn setzt klare Zäsuren zwischen den Momenten. Ein Tag ist prall gefüllt mit Geschehnissen, die sich deutlich voneinander unterscheiden.

Unser Gehirn speichert Erinnerungen wie in einem Buch. Während die Kapitel im Kindesalter kurz und klar getrennt sind, verschwimmen die Grenzen im Alter oft zunehmend.

Foto: HiddenCatch/iStock

Im jungen Gehirn liegt der Fokus der persönlichen Erfahrungen noch auf Neuem, Unbekanntem und Aufregendem, mit sich klar voneinander abhebenden Eindrücken. In ihrer Selbstvergessenheit tauchen Kinder vollständig in das Erleben ein, und genau dieses Aufgehen im Moment schärft die Grenze zwischen einem inneren Kapitel und dem nächsten. Diese Vielfalt ist es, die das subjektive Zeitempfinden dehnt.
Im Alter jedoch ändert sich etwas Grundlegendes. Je älter wir werden, desto vertrauter wird vieles. Die Wahrnehmung verliert an Schärfe, es gibt weniger starke Brüche im Fluss der Erfahrungen und die neuronalen Zustände im Gehirn, sprich Phasen stabiler Aktivitätsmuster, dauern länger an.
Man kann sagen, das innere Uhrwerk tickt nicht langsamer, aber die Zeiger bewegen sich weniger deutlich von einer Markierung zur nächsten. Genau damit beginnt die subjektiv wahrgenommene Zeit zu schrumpfen.

Warum die Grenzen verschwimmen

Die Forscher der University of Birmingham, der Radboud University Nijmegen und der Brock University nennen in ihrer Studie zwei Hauptmechanismen, die den Effekt erklären:
1. Neuronale Entdifferenzierung
Mit dem Alter werden die neuronalen Muster unspezifischer. Das bedeutet: Das Gehirn reagiert auf unterschiedliche Situationen immer ähnlicher. Ein neuer Reiz sticht nicht mehr so klar heraus wie früher.
Ein Beispiel: Ein junger Mensch, der zum ersten Mal in eine unbekannte Stadt reist, wird von einer Vielzahl kleiner Details ungefiltert regelrecht überschüttet – Architektur, Gerüche, Geräusche. Im Alter hingegen entsteht schneller ein gestrafftes Gesamtbild. Viele kleine Unterschiede gehen so unbeachtet im vertrauten „Schema Stadt“ auf. Das Gehirn setzt weniger innere Markierungen, und die Zeit erscheint komprimierter.

Für manche ist sie die Stadtkirche, für andere die älteste evangelische Kirche von Baden Baden. Der Unterschied kann über Erinnern oder Vergessen entscheiden.

Foto: Leamus/iStock

2. Bestehende alte Informationen
Ältere Menschen behalten Informationen oft länger aktiv im Bewusstsein, während jüngere leichter zum nächsten Ereignis übergehen. Dadurch überlagern sich alte und neue Eindrücke.
Ein banales Alltagsbeispiel: Jemand sieht eine Szene im Film, denkt gleichzeitig noch über die vorherige nach und ordnet beides zu einem gemeinsamen Eindruck. Für das Gehirn entsteht daraus weniger Neues, und die feinen Übergänge bleiben unbemerkt.
Interessant ist, dass die grundlegende Fähigkeit zur groben Orientierung im Ablauf einer Handlung erhalten bleibt. Ältere Erwachsene erkennen Wendepunkte in einer Geschichte zuverlässig. Es sind die kleinen Zwischenschritte, die allmählich aus dem Bewusstsein schwinden, sodass die Sekunde in der Minute und die Minute in der Stunde verschwimmen.

Zeit als subjektives Konstrukt

Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht darauf, wie wir Zeit erleben. Während die äußere Zeit also linear und gleichmäßig verstreicht, hängt die innere von unserer mit individueller Bewertung angereicherten, differenzierten Wahrnehmung ab.
Schon Aristoteles bemerkte, dass wir Zeit anhand der Zahl der wahrgenommenen Veränderungen messen und ein Zeitraum in der Retrospektive kürzer erscheint. Dazu kommt ein weiterer Faktor: das Verhältnis von Zeitabschnitten zur Dimension der gelebten Jahre. Ein einzelnes Jahr macht im Alter einen immer kleineren Teil des eigenen Lebens aus, was die Beschleunigung zusätzlich verstärkt. Für ein Kind ist ein Jahr eine Ewigkeit, für einen Erwachsenen nur ein weiterer Abschnitt in einem bereits langen Mosaik.
Die gute Nachricht lautet: Der Mensch ist nicht bloß Beobachter seiner inneren Uhr. Auch wenn das Gehirn im Alter langsamer zwischen Zuständen wechselt, können wir unser Zeitempfinden aktiv beeinflussen, denn neue Erfahrungen wirken wie Lichtpunkte, die im Gehirn neue Kapitel erzeugen.

Wie wir die Zeit wieder „dehnen“ können

Eine Reise an einen unbekannten Ort, das Erlernen einer neuen Fertigkeit, interessante Hobbys mit sozialer Vernetzung und Gespräche mit inspirierenden Menschen können die Zahl dieser inneren Markierungen erhöhen. Das Gleiche gilt für das Anschauen einzelner, ausgewählter Filme oder interessanter Dokumentationen, statt sich vom Fernseher täglich dauerberieseln zu lassen. Bei alldem erhält die Zeit mehr Struktur, mehr Dichte und damit mehr bedeutungsvolle Markierungspunkte im eigenen Leben.
Auch emotionale Intensität spielt eine Rolle. Momente, die uns berühren, ein Gespräch, das uns zum Nachdenken bringt, eine Wanderung in der Natur oder ein stimmungsvolles Konzert werden im Gehirn tiefer verankert. Sie schaffen klare innere Übergänge und bleiben lebendig im Gedächtnis.

Bewusstes Innehalten und Wahrnehmen helfen dem Gehirn sich zu erinnern.

Foto: fotojog/iStock

Sogar kleine Veränderungen im Alltag können diesen Effekt auslösen. Wer bewusst neue Wege wählt und die Natur genießt oder sich ein Haustier anschafft und mit Verantwortung den Alltag neu gestaltet, der schafft im Kopf eine feinere Struktur des Erlebens, eine bewusste Erfüllung, und wird durch Zufriedenheit belohnt. Mit dieser Erfahrung wird auch die Zeit subjektiv reichhaltiger und verflüchtigt sich nicht mehr einfach überwiegend unbemerkt.

Das stille Fazit

Die Zeit selbst beschleunigt sich nicht. Unser Gehirn verändert die Art und Weise, wie es den Strom der Ereignisse subjektiv gliedert. Doch genau darin liegt eine Chance:
Wir können das Gefühl verlangsamen, indem wir unsere Wahrnehmung wieder schärfen und unser Leben mit neuen, tieferen Augenblicken füllen. So wird die Zeit nicht zu einem linear wahrgenommenen Film, im schnellen Vorlauf betrachtet, sondern zu einer Sammlung klarer Eindrücke, an die man sich gern bildhaft und emotional erinnert.
Die Gestaltungsmacht liegt bei uns – in jedem Tag, in jeder Erfahrung, in jedem Moment, den wir nicht einfach vorbeiziehen lassen, sondern bewusst und voller Lebensfreude genießen.

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