Wie viel Politik darf Kirche?
Weniger NGO, mehr Mission? Klöckners Kirchenkritik entzündet Debatte
Klöckner rät Kirchen zu politischer Zurückhaltung. Sie sollten sich auf grundsätzliche Fragen von Leben und Tod konzentrieren und nicht wie eine NGO verhalten. Von SPD und Grünen kommt Widerspruch.

Die Barockkirche St. Coloman in Schwangau (Bayern).
Foto: Jean-Marc Pierard/iStock
Mit Äußerungen zur politischen Rolle der christlichen Kirchen hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) am Osterwochenende eine lebhafte Debatte entfacht.
Klöckner riet den Kirchen, sich auf seelsorgerische Aufgaben zu konzentrieren. Bei tagespolitischen Themen solle sie sich aber zurückhalten, sagte Klöckner der „Bild am Sonntag“.
Die Kirchen drohen ansonsten „beliebig“ zu werden und als eine von vielen Nichtregierungsorganisationen zu erscheinen. Von SPD und Grünen kam Widerspruch.
Kirche sollte grundsätzliche Fragen im Blick haben
Die studierte Theologin Klöckner sagte, „dass Kirche manchmal zu beliebig wird, oder zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgibt wie eine NGO und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick hat“. Dann werde die Kirche „leider auch austauschbar“.
„Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer“. Sie glaube, „von Kirche erwartet man sich sinnhafte Begleitung, diese Antwort auf Fragen, die ich in meinem Alltag habe, vielleicht auch Trost und Stabilität“.
Dass immer mehr Menschen aus den Kirchen austreten, führte Klöckner auch darauf zurück, dass Kirche „nicht immer die Antworten gibt, die die Menschen gerade brauchen“. So hätte die Kirche etwa in der Coronazeit „vielleicht noch einen Tick mehr an Stabilität, mehr an Sinnstiftung und Seelenbegleitung geben können“.
Klöckner, die früher Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken war, hatte ihre Ansichten bereits Anfang April in einem Interview mit dem katholischen Domradio dargelegt. Damals sagte sie, sie halte es „nicht immer für sinnvoll, wenn Kirchen glauben, eine weitere NGO zu sein und sich zu Tagespolitik äußern“.
Sie wünsche sich eine Kirche, die etwa in bioethischen Fragen Orientierung gibt – „wenn es um das ungeborene Leben geht oder das Leben, das den letzten Atemzug macht“.
SPD: Ungerechtigkeit gehört zu „existentiellen Fragen des Leben“
Aus SPD und Grünen wird Kritik laut. „Warum sollten sich die Kirchen nicht äußern zu Ungerechtigkeiten in der Welt, zu Humanität und Menschlichkeit, zum sozialen Zusammenhalt und zur Nächstenliebe?“, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann dem „Tagesspiegel“: „Das sind doch existentielle Fragen des Lebens.“
Haßelmann weiter: „Die Union zeigt sich gerade nicht besonders offen gegenüber der kritischen Zivilgesellschaft. Erst ein 551 Fragen-Katalog zum bürgerschaftlichen Engagement von zivilgesellschaftlichen Organisationen, jetzt Ratschläge von Julia Klöckner an die Kirchen.“
Lars Castellucci, Kirchenbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion, sagte, die Kirche sei die „weltweit größte Nichtregierungsorganisation“. Dies habe auch der verstorbene Papst Franziskus mit seinem Engagement deutlich gemacht.
Stegner: Kirchen sollten sich mehr einmischen
Ralf Stegner (SPD) erklärt, „die Stimme der Kirchen für Frieden und Gerechtigkeit dürfte ruhig häufiger, unbequemer und lauter zu hören sein, wenn es darum geht, der Militarisierung von Denken und Handeln, der Inhumanität und der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft Paroli zu bieten“.
Dem „Tagesspiegel“ sagte er, statt der „österlichen obrigkeitsstaatlichen Zurechtweisung“ hätte er sich Klöckner die besondere Wertschätzung für diese Rolle der Kirchen gewünscht.
In Deutschlands freiheitlicher Demokratie könne und dürfe man im Gegensatz zu anderen Staaten die Kirchen kritisieren, sagte Stegner, „und das gilt selbstverständlich auch für die Bundestagspräsidentin“.
Allerdings liege Klöckner daneben, wenn sie fordere, dass sich die Kirchen weniger ins politische Tagesgeschäft einmischen sollten.
„Das Gegenteil wäre aber richtig und notwendig.“
CDU-Sozialflügel: Wir können „Kirchen nicht zurechtweisen“
Dennis Radtke, Vorsitzende des CDU-Sozialflügels, weist die Kritik von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) an den Kirchen scharf zurück.
„Ich finde es maximal irritierend, dass wir meinen, wir hätten das Recht, die Kirchen zurechtzuweisen und in ihrer Kommunikation auf ihre vermeintlichen Kernaufgaben zurückzudrängen, wie Julia Klöckner das jetzt getan hat“, sagte Radtke der „taz“.
Die Kernaufgabe der Kirchen sei die Verkündigung des Evangeliums und die Lehre von Jesus Christus.
„Überall da, wo Kirchen der Meinung sind, das kollidiert mit der Politik, hat Kirche natürlich das Recht und auch die Pflicht, sich zu Wort zu melden.“
Es sei nicht unsere Aufgabe als CDU, diese Kritik eins zu eins zu übernehmen, man sei nicht ihr politischer Arm, sagte Radtke weiter der „taz“. „Aber unsere Aufgabe ist schon, uns ernsthaft mit dieser Kritik auseinanderzusetzen.“ Schon der Umgang der CDU mit der Kritik der Kirchen an der Abstimmung gemeinsam mit der AfD Ende habe ihn „geärgert“, so der CDA-Chef.
(afp/dts/red)
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