Kerntechnische Industrie: Weiterbetrieb der Atomkraftwerke durchaus möglich

Deutschlands Energieprobleme steigen. Das Wirtschaftsministerium hält am Ausstieg aus der Kernkraft fest – während es für die Industrie möglich wäre, weiterzumachen.
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Das Kernkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein (an der Elbe) wurde Ende 2021 abgeschaltet.Foto: iStock
Von 20. März 2022

Am 8. März teilten das Bundesumweltministerium (Steffi Lemke/Grüne) und das Bundeswirtschaftsministerium (Robert Habeck/Grüne) in einem gemeinsamen Prüfvermerk mit, dass ein Weiterbetrieb von deutschen Kernkraftwerken aufgrund des Ukraine-Kriegs nicht zu empfehlen sei.

Darin heißt es: „Eine Verlängerung der Laufzeiten könnte nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Lösung des Problems leisten, und dies zu sehr hohen wirtschaftlichen Kosten, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken.“

Sicherheitstechnisch könnte die Industrie weitermachen

Der Verband Kerntechnik Deutschland sieht diese Empfehlung kritisch. Die Bewertung sei davon geprägt, am Ausstiegstermin für die Kernenergie festzuhalten, „anstatt angesichts der derzeitigen energiewirtschaftlichen Krisensituation zur Absicherung der Energieversorgung jede verfügbare Ressource unter Mitverantwortung für die gesamteuropäische Energiesicherheit heranzuziehen.“

Der Kern der Hinderungsgründe sei formaljuristischer Natur, so der Verband, dem Unternehmen und wissenschaftliche Institutionen der Kerntechnik in Deutschland angehören.

Kurz zuvor, am 4. März, teilte die kerntechnische Industrie (KernD) mit, dass sie sich durchaus in der Lage sieht, die drei letzten Kernkraftwerke über den 31. Dezember 2022 hinaus weiterzubetreiben: „Die kerntechnische Wirtschaft – Betreiber, Industrie, Dienstleister – ist bereit, den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in Deutschland zu unterstützen und die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.“

Sicherheitstechnisch seien die verfügbaren deutschen Anlagen „in hervorragendem Zustand“. Der Verband stellt fest: „Einem weiteren Betrieb stehen keine sicherheitsbezogenen Gründe entgegen.“

Einzelne Abgeordnete und Fraktionen im Bundestag kamen nach der Veröffentlichung auf den Verband zu, von der Bundesregierung sei keine Reaktion gekommen, teilte KernD auf Anfrage mit. Für einen Weiterbetrieb über 2022 hinaus müsste sich die Bundesregierung dazu bekennen, Kernenergie weiterhin zur Sicherung der Energieversorgung zu nutzen und der Bundestag das Atomgesetz ändern.

Experten wurden in Vorprüfung nicht gefragt

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sah die Lage anders. Er sprach davon, dass er für eine weitere Nutzung der Kernenergie in Deutschland „höchste Sicherheitsbedenken“ habe. Das hätte die Vorprüfung ergeben.

Pikant daran ist, dass in der Vorprüfung hochrangige Experten kerntechnischer Organisationen nicht befragt wurden. Weder die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) noch die Reaktor-Sicherheitskommission wurden konsultiert, so die„Welt am Sonntag“. Die GRS ist seit 1977 Deutschlands zentrale Fachorganisation für nukleare Sicherheit.

„Mir ist nicht bekannt, wie diese Vorprüfung erstellt wurde. Uns hat er jedenfalls nicht gefragt“, sagte Uwe Stoll, technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer der GRS. Die GRS hat keine Sicherheitsbedenken für den Weiterbetrieb über den 31. Dezember 2022 hinaus.

Für die Vorprüfung wurde lediglich das als besonders atomkritisch geltende Bundesumweltministerium gefragt, welches ebenso wie das Wirtschaftsministerium von den Grünen geleitet wird, schreibt die „Welt am Sonntag“. Die Begründung lautet: „Im BMUV ist genügend eigene fachliche Kompetenz vorhanden, um die sicherheitstechnischen Folgen einer Laufzeitverlängerung zu beurteilen.“

„Technisch spricht nichts dagegen“

Auch Wissenschaftler halten einen Weiterbetrieb aus technischer Sicht problemlos möglich. „Technisch spricht nichts dagegen“, sagt Jörg Starflinger, Professor für Kerntechnik und Energiesysteme in Stuttgart. Jährlich werden im Normalbetrieb rund ein Drittel der Brennstäbe getauscht, die präzise für die einzelnen Reaktoren berechnet und hergestellt werden. Die Vorbereitungen und Berechnungen müssten daher bald anlaufen.

Die letzten drei deutschen Kernkraftwerke sind Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland; betrieben werden sie von EnBW, PreussenElektra und RWE. Bisher erreichte sie noch keine „konkrete Bitte“ der Bundesregierung, die Kraftwerke über den 31. Dezember 2022 hinaus zu betreiben.

PreussenElektra-Chef Guido Knott erklärt in der „WirtschaftsWoche“, dass es zwei Engpässe für den Weiterbetrieb gebe: die Brennstäbe und das Personal. Möglicherweise stünden frische Brennelemente erst in „gut 1,5 Jahren“ zur Verfügung, so eine Sprecherin von PreussenElektra. Die Brennelemente der deutschen KKWs werden bisher von Framatome der Advanced Nuclear Fuels GmbH (Lingen) oder von Westinghouse in Västerås (Schweden) geliefert.

Jedes Kernkraftwerk wird von speziell lizenziertem Personal betrieben. Ingenieure und Schichtarbeiter werden konkret für ein Kraftwerk ausgebildet und können nicht einfach von Brokdorf (Ende 2021 stillgelegt) nach Isar 2 bei Landshut versetzt werden. Eine Umschulung auf eine neue Anlage braucht auch bei gestanden Fachleuten seine Zeit. Jedoch könnte man Experten aus dem Ruhestand zurückholen und Teams neu zusammensetzen.

Personal für Kraftwerke wird unter anderem an der Kraftwerksschule in Essen ausgebildet. Dort existiert für jedes Kernkraftwerk ein Simulator. Allerdings leidet seit dem Jahr 2000 die universitäre Ausbildung, also der wissenschaftlich-akademische Bereich, unter einer systematischen „Cancel Culture“, erklärt Kernphysiker Götz Ruprecht. Er leitet das Start-up Dual Fluid. Seit zwei Jahrzehnten sei die Ausbildung systematisch ausgedünnt worden und kaum noch vorhanden.

Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung, Ausgabe 36 am 19. März 2022.



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