Ein Arzt gibt den Toten von Verdun ihre Namen zurück

Ein Arzt identifiziert deutsche oder französische Soldaten, die auf den Schlachtfeldern von Verdun ums Leben gekommen sind.
Titelbild
Auf dem Zentralfriedhof in Verdun.Foto: iStock
Epoch Times6. November 2018

Grüner Kittel, hellgrüne Haube, blaue Handschuhe: Konzentriert beugt sich der Arzt Bruno Frémont über den Arbeitstisch. Sein Patient ist bereits seit hundert Jahren tot, aber für den französischen Rechtsmediziner ist er deshalb noch lange kein hoffnungsloser Fall. Frémont identifiziert deutsche oder französische Soldaten, die auf den Schlachtfeldern von Verdun ums Leben gekommen sind. In dem Ort westlich von Saarbrücken erinnerte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Dienstag an die Toten des Ersten Weltkriegs.

Vor den Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag des Waffenstillstands vom 11. November 1918, zu denen ab Samstag auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Frankreich erwartet wird, hat Frémont wieder alle Hände voll zu tun. Auf seinem Arbeitstisch in der Leichenhalle des Krankenhauses von Verdun liegt das fast vollständige Skelett eines Soldaten, darunter stehen seine Lederstiefel.

Die sterblichen Überreste wurden bei Straßenarbeiten in der Nähe des Forts von Douaumont gefunden, um das 1916 eine der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs tobte. Das sei kaum vorstellbar, sagt Frémont: „Hundert Jahre lang sind alle über diese Straße gefahren, und der Soldat lag direkt darunter.“ Ob der Tote Deutscher oder Franzose war, ist noch nicht geklärt.

„Niemals eine Mine berühren“

Schon als Kind kam der heute 62 Jahre alte Frémont mit den Toten von Verdun in Berührung. Mit seinen Klassenkameraden fuhr er regelmäßig mit dem Fahrrad zu den ehemaligen Schlachtfeldern. „Die Erwachsenen haben uns zwei Dinge eingeschärft“, erinnert er sich. „Niemals eine Mine berühren, und gefundene Knochen im Beinhaus abgeben.“

Frémont sagt, er sei aber auch wegen seiner Familiengeschichte „durchdrungen vom Großen Krieg“, wie der Erste Weltkrieg mit seinen Millionen von Toten in Frankreich bis heute genannt wird. Denn beide Großväter kämpften gegen die Deutschen, sein Urgroßvater war Schriftsteller und Kriegsreporter.

Heute wird der Rechtsmediziner angerufen, wenn irgendwo bei Verdun Knochen gefunden werden. Meistens handelt es sich um Teile eines Skeletts: Schienbeine, Hüft- oder Kieferknochen. Im Beinhaus von Douaumont, das Macron zusammen mit einer Schülergruppe besuchen wollte, liegen Überreste von mehr als 130.000 nicht identifizierten Soldaten.

Bei einem Knochenfund lässt Frémont zunächst die Umgebung systematisch absuchen. Denn ohne Erkennungsmarke kann ein Soldat in der Regel nicht identifiziert werden. Auf den Metallmarken waren Name, Geburtsort- und -datum sowie die Einheit eingraviert. „Alles hängt an dieser Marke“, betont der Mediziner, der auch als Notfallarzt an der Klinik von Verdun arbeitet. „Ohne sie bleibt der Soldat meist für immer unbekannt.“

Die Erkennungsmarken helfen weitre – und die DNA

Für den Deutschen Hans Winckelmann ist Frémont nach dem Fund seines Skeletts bis zum Äußersten gegangen: „Ich habe alle Erdschollen aufbrechen lassen“, berichtet der Arzt. „Unter der letzten lag dann die Marke.“ Winckelmann, der aus dem schleswig-holsteinischen Ratzeburg stammte, konnte schließlich im Mai 2016 auf einem deutschen Soldatenfriedhof nordwestlich von Verdun neben seinem Bruder Karl bestattet werden – auch dieser war im Ersten Weltkrieg getötet worden.

Neben den Erkennungsmarken hat der Arzt inzwischen auch andere Möglichkeiten zur Identifizierung der Toten: Im Februar wurde auf dem Friedhof von Douaumont der französische Gefreite Claude Fournier beerdigt, bei dem erstmals ein Nachweis per DNA-Analyse gelungen war. Auf diesen Fall ist Frémont besonders stolz. Dass ein Nachfahre des Soldaten für den Gentest aufgespürt werden konnte, sei einer „Serie wundersamer Zufälle zu verdanken“, sagt er.

Den Toten ihre Identität zurückzugeben, ist aber nicht nur für die Verwandten wichtig, wie der Arzt betont: „Die jungen Generationen werden die Geschichte und das Leid nur dann begreifen, wenn sie die Namen der Kämpfer kennen.“

(afp)



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