Schweiz: Jeder soll zum Organspender werden – außer er lehnt das zu Lebzeiten ab

Jeder Verstorbene soll in der Schweiz zu einem Organspender werden, wenn er sich nicht explizit dagegen ausgesprochen hat – das sieht zumindest eine neue Volksinitiative vor.
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Kiste für den Transport von Organen (Symbolbild).Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 18. Oktober 2017

„Organspende fördern – Leben retten“, so heißt eine neue Initiative in der Schweiz. Sie wurde am Dienstag der breiten Öffentlichkeit vorgestellt und fordert einen Systemwechsel in der Schweizer Transplationslandschaft.

Momentan gilt in der Schweiz das Gesetz, dass jeder Organspender ist, der einer Transplantation zu Lebzeiten explizit zugestimmt hat. Angehörige können diese Zustimmung im Todesfall annullieren.

Laut der Initiative sollte jedoch für jeden Menschen eine „vermutete Zustimmung“ gelten. Das bedeutet, dass jeder zum Spender wird, der sich nicht in ein spezielles Register für Nicht-Spender eingetragen hat. Angehörige können dann die „vermutete Zustimmung“ ebenfalls annullieren.

Nichtregierungsorganisation steht hinter der Initiative

Hinter der Initiative steht die gemeinnützige Organisation „Jeune Chambre Internationale de la Riviera“ (JCI-Riviera) im südschweizerischen Montreux. Die JCI-Riviera ist eine lokale Abteilung der Nichtregierungsorganisation „Junior Chamber International“ (JCI).

Laut eigenen Angaben wird die JCI von „jungen aktiven Bürgern zwischen 18 und 40 Jahren“ geführt, die ihre Heimat verändern möchten. Die Mitglieder würden die nötigen Fähigkeiten entwickeln, um fundierte Entscheidungen zu treffen und verschiedene Maßnahmen einzuleiten. Damit soll die Welt verändert werden.

„Die Aufgabe der Junior Chamber ist es, jungen Menschen Entwicklungschancen zu bieten, indem sie befähigt werden, positive Veränderungen herbeizuführen“, heißt es auf der Seite von JCI-Riviera. Zu den berühmten ehemaligen Mitgliedern der JCI gehören Menschen in Führungspositionen auf der ganzen Welt, darunter auch der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan,  Bill Clinton und andere. Auch der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel und Ex-US-Präsident Richard Nixon waren in der JCI. Die JCI ist offizieller Partner der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen.

Durch neue Regelung werde „freie Entscheidung und Sicherheit für die Bevölkerung“ verbessert

Die Organspender-Initiative wird von „Swisstransplant“ unterstützt. Das ist eine nationale schweizer Stiftung für Organspende und Transplantation. „Wir helfen den Initianten einerseits mit unserem Know-how und andererseits finanziell mit 30.000 Franken“, sagt der Direktor der Stiftung, Franz Immer, auf Anfrage des schweizer „Tagblatt“.

Laut der Zeitung, initiierte der schweizer Bundesrat 2013 einen Aktionsplan, um die Spenderate in der Schweiz von etwa 13 Spendern pro eine Million Einwohner im Jahr 2013 auf 20 Spender im Jahr 2018 zu erhöhen. Dieses Ziel des Plans „Mehr Organe für Transplantationen“ werde verfehlt, so Immer. Einer der Gründe sei, dass die Angehörigen in den meisten Fällen nicht über die Entscheidung des Verstorbenen informiert seien und deswegen zu 60 Prozent eine Organspende ablehnten, erklärt der „Swisstransplant“-Direktor. Deswegen sei ein Systemwechsel notwendig, so Immer.

Durch das momentane System bestehe die Gefahr, dass der Wunsch des Verstorbenen ignoriert werde, erklärte „Swisstransplant“ in einer Mitteilung. Durch den Systemwechsel könnte „die freie Entscheidung und die Sicherheit für die Bevölkerung“ verbessert werden.

Die neue Regelung wäre auch „eine Erleichterung für die Angehörigen und erspart ihnen eine Situation, in der sie gezwungen sind, stellvertretend im Sinne des Verstorbenen eine schwere Entscheidung zu treffen. Die Verantwortung liegt somit deutlich mehr bei jeder einzelnen Person“, so „Swisstransplant“.

Jeder ist Spender, der nicht ins nationale Register eingetragen ist

Eine „vermutete Zustimmung“ bedeute nicht, dass man automatisch zum Spender wird. Es werde immer ein Gespräch mit der Familie und den Angehörigen geben. Es werde aber davon ausgegangen, dass die verstorbene Person einer Organspende zugestimmt habe, sonst hätte sie sich ins nationale Register eingetragen. Wenn die verstorbene Person im Register eingetragen sei, wird das Krankenhaus die Angehörigen nicht kontaktierten, heißt es auf der Seite der Initiative.

Laut der JCI sterben in der Schweiz jedes Jahr 100 Menschen, weil kein passendes Organ vorhanden sei. Über 1.480 Menschen würden auf ein Organ warten.

2016 starben in der Schweiz durchschnittlich etwa 13,3 Personen pro eine Million Einwohner, die als Organspender registriert waren, heißt es auf der Seite „Statista“. Der EU-Durchschnitt liegt bei ca. 21,2 Personen – in Spanien starben im vergangenen Jahr die meisten Spender pro eine Million Einwohner (43,4).

Ärzte führen eine Organtranslation durch. 28. Februar 2017, Madrid. Foto: PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP/Getty Images

Damit eine Initiative zustande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100.000 gültige Unterschriften gesammelt werden.

Widerspruchslösung wird in vielen Ländern praktiziert

In vielen europäischen Ländern wird die „vermutete Zustimmung“ (Widerspruchslösung) bereits praktiziert. Belgien, Finnland, Frankreich, Österreich u.v.m. entnehmen Menschen Organe, wenn diese einer Spende zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben.

Sieben Organe dürfen in der Schweiz und EU-weit gespendet und transplantiert werden. Dazu gehören das Herz, die Lunge, die Leber, beide Nieren, der Dünndarm und die Pankreas (Bauchspeicheldrüse).

Zu den transplantierbaren Geweben zählen die Hornhaut, fötale Haut und Membranen (nach Abtreibung oder Geburt), kardiovaskuläre Gewebe (Herzklappen und Blutgefässe) sowie Gewebe des Bewegungsapparats wie Knochen, Knorpel, Sehnen und Bänder.

Organspenden können nur nach einer Hirntoddiagnose des Spenders durchgeführt werden. In der Schweiz müssen zwei Fachärzte unabhängig voneinander den Hirntod feststellen.

Der Hirntod ist umstritten. So wies Heiko Schrang in einem Artikel darauf hin, dass Hirntote nicht unbedingt tot seien: „Die Grenze zwischen ‚Hirntoten‘ und Komatösen, das heißt Menschen, die nach mehreren Wochen oder mitunter auch Jahren wieder aus dem Koma erwachen, ist fließend und medizinisch bis heute umstritten. So sind zahlreiche Fälle dokumentiert, wie beispielsweise auf der Seite ‚Hirntoddebatte‘, bei denen Ärzte den ‚Hirntod‘ feststellten und die Organspende vornehmen wollten, der Betroffene jedoch wieder zum Leben erwachte.“

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