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Analyse

plus-iconStabilität globaler Märkte gefährdet

Überkapazitäten als Waffe: Der ökonomische Machtkampf zwischen Europa und China

Chinas Überkapazitäten setzen Europas Stahlindustrie massiv unter Druck. OECD-Daten zeigen neue Rekordexporte. Europa rutscht in einen Machtkampf um faire Marktregeln und industrielle Souveränität.

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Europäische Stahlwerke konkurrieren zunehmend mit chinesischen Überkapazitäten.

Foto: Federico Gambarini/dpa

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Lesedauer: 12 Min.


In Kürze:

  • Deutschland und die EU stehen wegen chinesischer Dumpingpreise unter wachsendem Druck
  • Politiker fordern verstärkte Schutzmaßnahmen und Zölle
  • Studien belegen: Chinas Preis- und Industriepolitik ist strategisch gesteuert
  • Zölle können kurzfristig entlasten, lösen das Problem aber nicht allein

 
Europa ringt um seine industrielle Souveränität. Während chinesische Stahlhersteller seit Jahren massiv in neue Kapazitäten investieren und deutlich mehr produzieren, als der eigene Markt aufnehmen kann, gelangt ein wachsender Teil dieser Mengen zu Preisen nach Europa, die viele hiesige Produzenten unter Druck setzen. Nach Daten des OECD-Forums zu Stahlüberkapazitäten entfällt inzwischen der größte Anteil der weltweit aufgebauten Überkapazitäten auf China – ein strukturelles Ungleichgewicht, das die Marktbedingungen in Europa zunehmend verzerrt.
In seiner Stellungnahme unterstrich der OECD-Stahlausschuss die zunehmende Bedeutung dieser Entwicklung für die globalen Märkte. Dort heißt es:
„Die Besorgnis verstärkt sich angesichts des anhaltenden Anstiegs der chinesischen Stahlexporte, die in diesem Jahr um weitere 10 Prozent gestiegen sind und nach einer Verdopplung zwischen 2020 und 2024 neue Rekordwerte erreicht haben. Stahlarbeiter und -unternehmen in marktorientierten Volkswirtschaften werden verdrängt.“
Die OECD warnt, dass die wachsende Überkapazität nicht nur Preise verzerrt, sondern auch die Stabilität globaler Märkte und Lieferketten gefährdet. In ihrem „Steel Outlook 2025“ heißt es, hohe Subventionen und politische Marktverzerrungen, wie sie in einigen Nicht-OECD-Ländern zu beobachten seien, stellten Risiken für Marktstabilität, Beschäftigung, Lieferketten und die Dekarbonisierungsbemühungen dar.
Für Europa stellt sich damit die Frage, wie die eigene Industrie in einem Umfeld bestehen kann, in dem Marktmechanismen und staatlich gelenkte Produktionsmodelle immer häufiger aufeinandertreffen.

Kampf um Marktregeln und industrielle Souveränität

Die Debatte um das „chinesische Dumping“ tobt auf der politischen Bühne. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob Europa höhere Zölle einführen sollte, um die heimische Industrie zu schützen. Dahinter steht eine größere Dimension: Will Europa ein offen zugänglicher Markt für chinesische Produkte bleiben oder sich unabhängiger machen? Denn China setzt seinen wirtschaftlichen Einfluss gezielt ein, um sich Vorteile zu verschaffen. Es ist eine Art stiller wirtschaftlicher Machtkampf, der nicht laut ausgetragen wird, aber deutliche Folgen hat.
Die Europäische Union hat bereits auf die chinesische Marktdominanz reagiert und eine Reihe von Schutzmaßnahmen eingeführt. So wurden im August 2024 Antidumpingzölle auf bestimmte Stahl- und Metallprodukte aus China verhängt und bestehende Schutzquoten für Stahlimporte verlängert, damit chinesische Überkapazitäten den europäischen Markt nicht weiter unter Druck setzen. Zudem hat die EU Antidumpingzölle auf Stahlkettenplatten eingeführt, nachdem Untersuchungen bestätigt hatten, dass chinesische Hersteller ihre Waren mithilfe staatlicher Unterstützung deutlich unter dem Marktpreis anbieten.
Die EU-Kommission hatte Anfang Oktober eine weitere Ausweitung der EU-Zölle auf Stahl vorgeschlagen. Demnach sollen jährlich nur noch 18,3 Millionen Tonnen der wichtigsten Stahlimporte zollfrei auf den EU-Markt gelangen – deutlich weniger als noch im Vorjahr. Ebenso soll ein 50-prozentiger Zoll fällig werden. Über die neuen Quoten müssen vor Inkrafttreten noch das Europaparlament und die 27 EU-Länder verhandeln.
Laut dem Jahresbericht der Europäischen Kommission vom Juli dieses Jahres hat die EU ihre handelspolitische Abwehr gegenüber China deutlich ausgeweitet. Die Kommission leitete so viele neue Verfahren ein, wie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr; ein großer Teil entfiel auf Produkte chinesischer Herkunft, wie ein Blick auf die Website der Kommission zeigt. Dort werden die Antidumpingmaßnahmen aufgelistet und aufgezeigt, gegen wen sich diese richten.
Besonders im Fokus stand die Untersuchung zu staatlich subventionierten E-Autos aus China, die Ende Oktober 2024 zu Einfuhrzöllen von bis zu 35 Prozent führten. Insgesamt stieg die Zahl aktiver Maßnahmen auf 199, die laut Bericht über 625.000 Arbeitsplätze in Europa direkt absichern sollen.

Von E-Autos bis Branntwein

Peking reagierte seinerseits mit einer Beschwerde gegen die Festlegung von EU-Zöllen auf Elektrofahrzeuge bei der Welthandelsorganisation. Seit Juli dieses Jahres erhebt China zudem Zölle von bis zu 34,9 Prozent auf Weinbrand-Importe aus der EU. Zuvor hatten chinesische Behörden untersucht, ob bei EU-Branntwein Preisdumping vorliegt.
„Wir sind der Meinung, dass Chinas Maßnahmen unfair sind“, sagte ein Sprecher in Brüssel, als Reaktion auf die Zölle. Diese seien „Teil eines besorgniserregenden Musters, bei dem China handelspolitische Schutzinstrumente missbraucht“ und auf Grundlage fragwürdiger Anschuldigungen und unzureichender Beweise handle.
Diese Beispiele machen deutlich, dass es um die handelspolitischen Beziehungen zwischen China und der EU im Moment nicht gut bestellt ist. Immer mehr entwickeln sich diese zu einem Kampf um Marktregeln und industrielle Souveränität.
Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft vom April 2024 zeigte, dass China seine Schlüsselindustrien – darunter E-Autos, Windturbinen und Schienenfahrzeuge – in weit größerem Umfang subventioniert als europäische Staaten. Die staatliche Unterstützung reiche von direkten Zuschüssen und Steuervergünstigungen über zinsgünstigte Kredite bis zu verbilligten Vorleistungen und Vorteilen bei öffentlichen Ausschreibungen.
Diese Maßnahmen haben es chinesischen Konzernen wie dem Autobauer BYD oder der Schienenfahrzeughersteller CRRC ermöglicht, ihre Produktionskapazitäten rasch auszubauen und international aggressive Preisstrategien zu verfolgen. Laut den Autoren liegen die Industrie­subventionen Chinas drei- bis neunmal höher als in großen EU-Ländern.

Chinas Strategie der Marktüberflutung

Die eigentliche Herausforderung für Europa ist jedoch nicht nur der unlautere Wettbewerb, sondern die dahinterstehende Strategie der Volksrepublik China, Europa wirtschaftlich und politisch zu überrollen. Es handelt sich hier um einen gezielten Plan, der tief in den Strukturen des chinesischen Wirtschaftssystems verwurzelt ist.
Eine 2020 veröffentlichte Studie mit dem Titel „Was Chinas Industriepolitik für die deutsche Wirtschaft bedeutet“ der Bertelsmann Stiftung unterstreicht, dass dahinter eine strategisch, staatlich gelenkte Entwicklung steht. Im Rahmen der Initiative „Made in China 2025“ verfolgt China seit mindestens zehn Jahren das Ziel, in zehn Schlüsseltechnologien wie Robotik, Halbleiterproduktion und Maschinenbau, eine führende Rolle einzunehmen.
Laut der Bertelsmann-Studie bedeutet dies eine gezielte Förderung dieser Sektoren durch die Zentralregierung mit massiven Subventionen, die es den chinesischen Unternehmen ermöglichen, zu Dumpingpreisen auf internationalen Märkten zu agieren. Das untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit der westlichen Industrien. Laut der Studie musste der deutsche Maschinen- und Anlagenbau dadurch „umfangreiche Rückgänge bei den Exporten nach China“ hinnehmen. Die „Konkurrenzsituation in vielen anderen Regionen“ habe sich zudem zugespitzt.
In einem Szenario der Studie könnte der Export deutscher Maschinenbauer nach China bis 2030 deutlich einbrechen, was den Wettbewerb erheblich verzerren und die wirtschaftliche Abhängigkeit Europas von China verstärken würde.

Unternehmen als verlängerte Arme der Partei

Eine im Jahr 2016 ebenfalls von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Studie mit dem Titel „China 2030: Szenarien und Strategien für Deutschland“ zeigte auf, dass die Kommunistische Partei Chinas über Parteigremien in staatlichen Unternehmen direkten Einfluss ausübt. Unternehmen agieren als verlängerte Arme der Partei, die strategische Zielvorgaben umsetzen.
Kredite und Fördermittel werden, so legt es wiederum die Industriepolitik-Studie nahe, auf strategischer, nicht marktwirtschaftlicher Basis vergeben, um Branchen zu stärken und Überkapazitäten zu generieren.
Die Autoren der Studie schreiben:
„Gleichzeitig wirkt diese Situation allerdings wie ein Signal für die chinesische Regierung, den technologischen Aufholprozess gegenüber den westlichen Industrieländern zu intensivieren und damit einen Wettbewerbsvorteil bei Hightech- und Schwellentechnologien zu erlangen. Beispiele für solche politischen Instrumente in China mit Angebotsüberschuss sind: hohe F&E-Finanzierung, Kapitalspritzen für chinesische Unternehmen, Technologietransfer von multinationalen Unternehmen mit Tochtergesellschaften in China und Technologietransfer aus dem Ausland.“

Zollverschärfungen: Nur bedingt effektiv

Zollverschärfungen gegen China sind allerdings nur bedingt ein effektives Mittel, um Europa vor Wettbewerbsdruck zu schützen. Sie können ein Signal setzen, aber keine umfassende Strategie ersetzen. Ein Kommentar auf der Website des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies macht dies deutlich:
„Die neuen Zölle signalisieren die Fähigkeit der Europäischen Union, auch bei starkem internem Widerstand gegen China vorzugehen und so einseitig gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den beiden Handelspartnern zu schaffen. Allerdings könnten Zölle an Wirksamkeit verlieren, wenn sie nicht von Maßnahmen begleitet werden, die die Voraussetzungen dafür schaffen, dass europäische Automobilhersteller wettbewerbsfähiger gegenüber ihren chinesischen Konkurrenten werden.“
Gleichzeitig zeigte eine Analyse der Europäischen Zentralbank vom März, wie sich die von den USA eingeführten Zölle auf chinesische Produkte in der Eurozone auswirkten: Dass damit zwar chinesische Exporte in die USA reduziert wurden, jedoch chinesische Anbieter „alternative Märkte“ wie die Eurozone stärker beliefern.
Zölle können also Handelsumlenkungen erzeugen, ohne das Grundproblem zu lösen. Somit: Zollmaßnahmen können Teil des Schutzschilds sein. Doch ohne verstärkte Wettbewerbsfähigkeit, klare Ausrichtung der Industriepolitik und koordinierte Maßnahmen gegen Umgehung bleiben sie ein unvollständiges Instrument im Verhältnis zu einer systematischen China‑Strategie.
Ökonomisch betrachtet könnten höhere Zölle somit kurzfristig die europäische Industrie schützen und den Wettbewerbsdruck verringern. Insbesondere die deutsche und europäische Stahlindustrie, die durch Chinas Exportüberschüsse stark unter Druck steht, könnte von Zöllen profitieren. Die Erhebung von Strafzöllen würde den Preisunterschied zwischen chinesischen und europäischen Produkten erhöhen und den Wettbewerb in den betroffenen Sektoren fairer gestalten.

Bumerang für die deutsche Wirtschaft?

Allerdings gibt es auch mögliche negative Auswirkungen: Zölle auf chinesische Produkte könnten die Produktionskosten in anderen Industrien, die auf billigen Stahl und andere Materialien angewiesen sind, in die Höhe treiben. Dies könnte vorwiegend die Automobil- und Maschinenbauindustrien betreffen, die große Mengen an Stahl benötigen. Eine Erhöhung der Produktionskosten könnte die Produktionskapazitäten in Europa weiter schwächen und das Wachstum in diesen Sektoren bremsen.
Die Frage, die sich Europa stellen muss, lautet, wie es in den kommenden Jahren auf diese Bedrohung reagieren wird. Der Ruf nach höheren Zöllen und stärkerem Schutz vor chinesischen Überkapazitäten ist nur eine Reaktion auf ein viel tieferliegendes Problem – die wirtschaftliche Abhängigkeit von China. Wird Europa sich für eine Strategie der wirtschaftlichen Selbstbestimmung entscheiden und eigene Kapazitäten aufbauen, um unabhängiger von China zu werden – das sogenannte Derisking? Oder wird es weiterhin auf eine Politik der offenen Märkte setzen, die von China zunehmend dominiert wird?
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)

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