Analyse

CDU und SPD reformieren Berliner Neutralitätsgesetz – Kopftuchverbot im Schuldienst fällt
In Berlin haben sich CDU und SPD auf eine verfassungskonforme Reform des Neutralitätsgesetzes geeinigt. Künftig dürfen kopftuchtragende Lehrerinnen im Schuldienst tätig sein. Das Gesetz betrifft auch Lehrkräfte und Symbole anderer Religionszugehörigkeiten. Doch nicht alle Berufsgruppen profitieren von der Neuregelung.

Frau mit Kopftuch und Frau ohne Kopftuch. (Archivbild)
Foto: via dts Nachrichtenagentur
Die Berliner Koalition aus CDU und SPD hat sich auf eine verfassungskonforme Neufassung des sogenannten Neutralitätsgesetzes geeinigt. Am 10. Juli soll diese im Abgeordnetenhaus beraten werden. Anlass dafür waren Urteile des Bundesverfassungsgerichts über den Umgang mit muslimischen Lehrerinnen, die Kopftuch tragen.
Eine Mehrheit scheint sicher, weil Union und Sozialdemokraten über eine gemeinsame Mehrheit verfügen. Auch erscheint es als möglich, dass aus den Reihen von Grünen und Linken Stimmen für die Neufassung kommen werden. Nur die AfD hat bereits im Vorfeld angekündigt, gegen die Vorlage stimmen zu wollen.
SPD-Fraktionschef: Berlin hat verfassungswidrig gehandelt
Derzeit heißt es im Gesetz, Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag dürfen an den öffentlichen Schulen „keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole“ tragen. Dabei komme es darauf an, ob diese „für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren“. Zudem dürfen sie „keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke“ tragen. Eine Ausnahme gilt nur bei der Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.
SPD-Fraktionschef Raed Saleh erklärte, mit der Neuregelung wolle man den Koalitionsvertrag erfüllen. Darin habe man vereinbart, bezüglich des Rechts auf Kopftuch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen. Bis dato habe Berlin jahrelang verfassungswidrig gehandelt. Gegenüber der B.Z. sagte Saleh:
„Wir machen uns nun ehrlich.“
Das Berliner Neutralitätsgesetz von 2005 sollte ursprünglich eine Rechtsgrundlage schaffen, um Musliminnen, die Kopftuch tragen, vom Schuldienst fernzuhalten. Zuvor hatte die Lehrerin Fereshta Ludin erfolgreich gegen ihre Suspendierung in Baden-Württemberg geklagt. Dafür müsse es, so hieß es 2003 aus Karlsruhe, zumindest eine gesetzliche Grundlage geben, weil andernfalls ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Religionsfreiheit vorliege.
In den Jahren 2015 und 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht auch pauschale Kopftuchverbote im Bildungswesen als solche für verfassungswidrig. Nur wenn eine konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität und den Schulfrieden bestehe, sei ein solcher Eingriff in religiöse Rechte zulässig.
Neufassung gilt nicht für Polizeibeamtinnen und Richterinnen
Seit März 2023 galt in der Hauptstadt aufgrund eines Erlasses der Bildungsverwaltung eine Regelung, die in der Praxis dieser Rechtsprechung Rechnung tragen sollte. Das Gesetz als solches sah jedoch weiterhin ein pauschales Verbot vor.
Künftig wird auch dieses an die Karlsruher Rechtsprechung angepasst – allerdings nur mit Blick auf das Bildungswesen. Für Polizeibeamtinnen und Richterinnen bleibt es weiterhin beim Verbot als religiös lesbarer Kleidungselemente. Die Grünen-Abgeordnete Tuba Bozkurt hatte daran im April 2025 Kritik geübt.
Bozkurt sprach von einem gesetzlichen Aufstiegshindernis für Frauen und einem „faktischen Berufsverbot“. Ein solches sei nicht mehr zeitgemäß und werde dem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel nicht gerecht.
Neben Kopftuch auch Freiheit für Kippa und Kreuzkette
Auch Angehörige anderer Religionen werden von der Neuregelung profitieren. Im Jahr 2017 wurde einer christlichen Lehrerin an einer staatlichen Schule in Berlin untersagt, eine Kette mit einem Kreuzanhänger zu tragen. Als Grundlage galt ebenfalls das Neutralitätsgesetz. Eine solche Anordnung wird durch die Neugestaltung nicht mehr ohne Weiteres möglich sein. Gleiches gilt für das Tragen der Kippa durch jüdische Lehrer oder eines Turbans durch Angehörige der Sikh-Religion.
Nach der künftigen Regelung wird das bloße Tragen als religiös lesbarer Kleidung für sich allein weiterhin nicht als Gefährdung der Neutralität eingestuft. Erst wenn die betreffende Person konkrete Handlungen setzt, die begründete Zweifel an der Neutralität ihrer Amtsausübung wecken, könnte das Tragen dieser Kleidung untersagt werden.
Gewisse Restunsicherheiten bleiben jedoch durch die Einschränkung, dass dies auch möglich sei, wenn eine „Gefahr für den Schulfrieden“ bestehe. Dafür müsse eine „hinreichend konkrete“ Störung des Schulfriedens vorliegen, die sich auf objektiv nachweisbare Tatsachen stütze.
„Störung des Schulfriedens“ als Faktor der Restunsicherheit
Der Formulierung zufolge muss diese „Störung des Schulfriedens“ nicht zwingend der betroffenen Lehrkraft zuzuordnen sein. Es wäre ohne weitere Klarstellungen durch den Gesetzgeber also möglich, dass missbilligende Reaktionen auf die religiös lesbare Kleidung durch Kollegen, Schüler oder Eltern den Schulfrieden beeinträchtigen. Dies könnte in weiterer Folge restriktive Anordnungen der Schulleitung bezüglich des Tragens von religiös lesbarer Kleidung rechtfertigen.
Allerdings machte das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung deutlich, dass es einen schonenden Ausgleich zwischen den Grundrechten einer Lehrerin, den Rechten der Schüler, Eltern und der staatlichen Neutralitätspflicht fordert. Dies hätte auch zur Konsequenz, dass die „Schulfriedensklausel“ teleologisch auf Fälle reduziert werden müsste, in denen die Störung von der Lehrperson selbst ausgeht.
Reinhard Werner schreibt für die Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
Aktuelle Artikel des Autors
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.