Landtagswahl: CDU hofft auf Rückenwind durch Schleswig-Holstein-Ergebnis

Eine Woche nach dem Urnengang in Schleswig-Holstein steht die „kleine Bundestagswahl“ im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW auf dem Programm. Ob das Ergebnis von der Waterkant einen psychologischen Effekt haben wird, ist ungewiss.
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Am 15. Mai wählt NRW einen neuen Landtag.Foto: iStock
Von 14. Mai 2022

Bereits eine Woche nach der Landtagswahl im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein steht der Urnengang in NRW ins Haus. Dieser gilt zunehmend als „kleine Bundestagswahl“ mit entsprechender Signalwirkung – neben dem Umstand, dass es sich um das bevölkerungsreichste Bundesland handelt, sind dafür auch die Unterschiedlichkeit der Landesteile und die Diversität der Bevölkerung verantwortlich. 

Wechselnde Mehrheiten in NRW wieder Normalfall

Die Zeiten, in denen sich die SPD dank einer geschlossenen Arbeiterschaft und über die Parteigrenzen hinweg angesehener Persönlichkeiten wie Johannes Rau auf absolute Mehrheiten einstellen konnte, sind lange vorbei. Letztmalig konnten die Sozialdemokraten 2012 mit Hannelore Kraft den Posten des Ministerpräsidenten für sich erobern – die einen überzeugenden Sieg gegen Norbert Röttgen einfahren konnte. 

Längst ist NRW jedoch zum Swing State geworden, in dem Mehrheiten schnell und unvorhergesehen wechseln können. Dass Armin Laschet 2017 eine hauchdünne Mehrheit zusammen mit der FDP sicherstellen konnte, lag auch daran, dass die Linkspartei mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen hauchdünn den Einzug verfehlte. 

Diesmal wird die Linkspartei wesentlich deutlicher an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Das sagen nicht nur die Umfragen, darauf deutet auch die ungünstige Großwetterlage für die Partei hin. Ein Fiasko mit 2,6 Prozent in der früheren Hochburg Saarland, eine noch deutlichere Pleite in Schleswig-Holstein und ein bevorstehender Führungswechsel infolge des „Sexismus-Skandals“, der zu allem Überfluss in Westdeutschland seinen Schwerpunkt hatte – das alles wird auch in NRW seine Spuren hinterlassen. Das Ergebnis der Linkspartei wird voraussichtlich kaum noch ausreichen, um Zufallsmehrheiten zu generieren.  

Ohne Amtsbonus in die Landtagswahl

Die CDU, die in den jüngsten Umfragen knapp voran lag, hofft auf Rückenwind durch das Ergebnis aus Schleswig-Holstein. Nachdem im Saarland der erhoffte Merz-Effekt ausgeblieben war und Ministerpräsident Tobias Hans gleich zweistellige Stimmenanteile eingebüßt hatte, rettete der Urnengang an der Waterkant die Partei möglicherweise vor einer neuerlichen Strategiedebatte.

Auf einen Ministerpräsidentenbonus wie Daniel Günther in Schleswig-Holstein wird Hendrik Wüst jedoch nicht zählen können. Erst im Oktober des Vorjahres übernahm dieser das Amt vom glücklosen Laschet, der nach dem katastrophalen Ergebnis der Union bei der Bundestagswahl auch auf Landesebene den Weg für einen Neuanfang freimachen wollte. 

Die Zeit, um sich zu profilieren, war demnach ähnlich knapp wie jene, die Armin Laschet verblieb, um sich nach seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden der CDU für den Kanzlerwahlkampf aufzustellen. Wüst versucht nun, mit einer Zielgruppenstrategie auf den letzten Metern in NRW nach links und rechts verlorene Wähler einzufangen. 

Vorbei sind die Zeiten, als er Ende 2007 gemeinsam mit Markus Söder, Philipp Mißfelder, Stefan Mappus, David McAllister und Christian Baldauf ein Positionspapier mit dem Titel „Moderner bürgerlicher Konservatismus – Warum die Union wieder mehr an ihre Wurzeln denken muss“ mitverfasste. Darin klagten die Autoren, das „bürgerlich-konservative“ Element sei gegenüber dem liberalen und sozialen „in den Hintergrund getreten, weil die Große Koalition zu vielen Kompromissen zwingt“. Der Aufruf, dieses stärker zu akzentuieren, galt damals gleichsam als verklausulierte Palastrevolte. McAllister und Baldauf gingen nach erstem Gegenwind auf Distanz. 

Wüst macht Grünen inhaltliche Avancen

Heute klingt Wüst deutlich anders, wenn es um die Mehrheitsfähigkeit geht. Auf Twitter heißt es etwa anlässlich des 50. Jahrestages der ersten Homosexuellen-Kundgebung in Münster: 

„Wir wollen die Lebenssituation von LSBTIQ*-Menschen in Nordrhein-Westfalen umfassend verbessern. Ich unterstütze die Idee, Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität zu ergänzen. Vielfalt hat viele Facetten. Lassen wir sie strahlen!“

An anderer Stelle behauptet er, Russlands Präsident Wladimir Putin wolle „das ukrainische Volk auslöschen und die Identität“. Er sorgt sich, dass Deutschland zum „Bremsklotz“ werden könnte, wenn es darum geht, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, und teilt dazu Aussagen von Grünen-MdB Anton Hofreiter. 

Entsprechend nimmt es auch wenig Wunder, dass die Union in NRW ihre sozialdemokratische Konkurrenz für deren vorsichtige Russlandpolitik angreift. Es spricht vieles dafür, dass die CDU in NRW jene Jamaika-Option vorexerzieren möchte, die Friedrich Merz insgeheim schon auf Bundesebene im Wege eines fliegenden Wechsels angestrebt hatte. 

Signale linksliberaler Gesellschaftspolitik mit Scharfmacherei gegen Russland zu verbinden und die SPD gleichzeitig in dieser Hinsicht als zu mutlos hinzustellen, das trifft offenbar den Nerv des westdeutschen Bürgertums. 

SPD kann nur als stärkste Kraft regieren

Die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty sieht sich entsprechend in der Defensive und versucht, die Wahlkampfdebatte auf die Innenpolitik zu fokussieren. Ähnlich wie Anke Rehlinger dies an der Saar erfolgreich praktiziert hat, versucht Kutschaty den Kümmerer in den Vordergrund zu stellen. 

Seine Webauftritte zeigen ihn an der Seite der kleinen Leute, er stellt traditionelle SPD-Themen wie Pflege, öffentliche Investitionen, sozialen Zusammenhalt in den Vordergrund, präsentiert sich als vorbildlicher Ehemann und Familienvater. 

Den Angriffen auf die Partei aufgrund ihrer früheren Russlandpolitik versuchen die Sozialdemokraten mit dem Verweis auf Urlaubsfreuden von Unionspolitikern während der Flutkatastrophe im Vorjahr zu kontern. 

Auf den letzten Metern ist es den Sozialdemokraten den Umfragen zufolge gelungen, zur Union aufzuschließen. Allerdings liegt diese im Schnitt noch knapp voran. Für die SPD wird es entscheidend sein, am Ende als stimmen- oder zumindest mandatsstärkste Partei aus der Wahl am Sonntag hervorzugehen. 

Nur wenn ihr dies gelingt, ist es wahrscheinlich, dass Thomas Kutschaty als Ministerpräsident eine Ampel-Regierung oder eine Große Koalition führen kann. Bleibt die Union stärkste Kraft, wird Wüst ein Jamaika-Bündnis anstreben – und es erscheint als sehr wahrscheinlich, dass er die Grünen, denen von ihrem mageren 6,4-Prozent-Ergebnis von 2017 aus deutliche Gewinne vorhergesagt werden, durch weitreichende Zugeständnisse mit ins Boot holen kann. 

Die FDP, der auch in NRW deutliche Verluste vorhergesagt werden, wird im Vergleich einen günstigeren Preis fürs Weiterregieren akzeptieren. Derzeit liegen die Grünen in den Erhebungen bei etwa 18 Prozent. Die FDP wird bei sieben Prozent gehandelt. Ein Wiedereinzug in den Landtag gilt jedoch als sicher. In der gesamten Geschichte des Landes NRW scheiterten die Liberalen nur zweimal an der Fünf-Prozent-Hürde – zuletzt 1995. 

Trifft Negativdynamik die AfD auch in NRW?

Das Fragezeichen hinsichtlich des Einzuges, das 2017 lange vor dem Ergebnis der Linkspartei stand, könnte diesmal die AfD betreffen. Ihr Abwärtstrend hatte sich schon im Saarland fortgesetzt, wobei es allerdings mit 5,9 Prozent noch zum Wiedereinzug reichte. In Schleswig-Holstein hingegen wurden aus sechs bis sieben Prozent in den Umfragen am Ende nur 4,4 am Wahlabend. 

Derzeit sehen Umfragen die Partei in NRW bei sieben Prozent. Das Ausscheiden aus dem Kieler Landtag könnte allerdings in den letzten Tagen vor der Wahl noch einen negativen psychologischen Effekt zeitigen und potenzielle Wähler von der Wahlurne fernhalten. Dazu kommt eine Unsicherheit über die Auswirkungen der Kandidatur der Partei „dieBasis“, deren 1,1 Prozent in Schleswig-Holstein möglicherweise die AfD entscheidende Zehntelprozente gekostet haben könnten. 

Ein Ausscheiden der AfD aus dem Landtag würde ein vollständiges Auseinanderbrechen der Partei im Umfeld des Bundesparteitags in Riesa am 17. Juni noch wahrscheinlicher machen. Anders als noch vor fünf Jahren ist die Fluchtbewegung Mitte der 2010er-Jahre kein Aufreger mehr. Die Corona-Maßnahmen sind weitgehend weggefallen, und auch die Beschwörung des Islam als Feindbild vermag der AfD im durch Zuwanderung geprägten NRW keine entscheidenden Impulse zu verleihen. 

Ukraine-Krieg könnte die AfD zerreißen

Stattdessen stellt der Krieg in der Ukraine die Partei vor eine Zerreißprobe. Bereits bei der Abstimmung über Waffenlieferungen haben vier AfD-Abgeordnete sich der Stimme enthalten und drei, darunter das langjährige Vorstandsmitglied Albrecht Glaser, explizit für diese votiert. Vor allem westdeutsche und Berliner Repräsentanten der Partei sind seit Kriegsbeginn durch scharfe kremlkritische Aussagen aufgefallen. 

Die Gründe für die demonstrative Parteinahme für die Ukraine reichen dabei von der Angst um Wählerstimmen aus dem westdeutschen Bürgertum bis hin zur Erwartung, dass der radikal-nationalistische politische Konsens in der Ukraine früher oder später auf den Rest Europas abfärben würde. So gibt etwa ein Vordenker der europäischen Konservativen, Prof. David Engels, in einem Interview mit „RMX News“ seiner Hoffnung Ausdruck, die derzeitige Kampferfahrung werde die Ukraine zu einem möglichen konservativen Faktor in Europa machen: 

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ukrainische Männer plötzlich die Idee akzeptieren, dass Patriotismus toxische Männlichkeit ist, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ukraine plötzlich akzeptiert, dass alle Weißen des systemischen Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus schuldig sind.“ Zudem sei Russland ein „Zivilisationsstaat“, der auf Homogenität wenig Wert lege und sogar ein Erstarken des dort seit mehr als 250 Jahren anerkannten Islam hinnehme. 

In den noch vergleichsweise starken AfD-Landesverbänden im Osten Deutschlands wird eine mögliche Kehrtwende in der Russlandpolitik hingegen als Garantie für einen Verlust auch noch der verbliebenen Hochburgen gesehen. Eine gemeinsame Position erscheint immer unerreichbarer, und ein Misserfolg in NRW würde innerhalb der Partei als Brandbeschleuniger wirken.



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