Tafeln unter Druck: „So angespannt war die Lage noch nie“

Der Ukraine-Krieg, steigende Lebensmittelpreise, höhere Energiekosten: Viele Menschen kommen nicht mehr über die Runden und sind auf Tafeln angewiesen. Doch auch die schlagen jetzt Alarm.
Angesichts steigender Lebensmittelpreise und höherer Energiekosten stehen Tafeln bundesweit immer mehr unter Druck.
Angesichts steigender Lebensmittelpreise und höherer Energiekosten stehen Tafeln bundesweit immer mehr unter Druck.Foto: Christophe Gateau/dpa
Epoch Times21. Juni 2022

Die Menschenmenge vor dem Fanhaus des Fußball-Bundesligisten 1. FC Union Berlin ist kaum zu übersehen oder zu überhören. Geordnet stehen und sitzen sie auf markierten Linien des Parkplatzes.

Es sind allerdings keine Union-Fans – sondern Mütter, Senioren, junge Männer oder Familienväter, die auf ein paar Lebensmittel warten. Einkaufstrolleys und Taschen haben sie mitgenommen, einige sogar Hocker, denn das Warten könnte hier länger dauern. „Ich kann aus gesundheitlichen Gründen nicht so lange stehen“, sagt ein Mann, der anonym bleiben möchte.

Jeden Dienstag um 14 Uhr findet an diesem Ort im Stadtteil Köpenick im Osten Berlins eine Lebensmittelausgabe statt. Der Fußballverein hat dafür seine Fläche am Fanhaus zur Verfügung gestellt. Einige stehen deswegen seit acht Uhr da, andere kamen sogar noch früher. „Viele nutzen den Ort auch als sozialen Treffpunkt“, sagt Carol Seele, Leiter der Köpenicker Ausgabestelle Laib und Seele. 47 solcher Ausgabestellen gibt es in der ganzen Stadt, der Verein ist Partner der Berliner Tafel.

„Ein signifikanter Anstieg“

Ob es zuletzt mehr Menschen geworden seien? „Wenn wir jetzt am Tag über 500 Menschen mit Lebensmittel versorgen, wo wir vorher nur 300 oder 320 hatten, dann ist das ein signifikanter Anstieg, absolut“, sagt Seele. „Wenn es mehr werden würden, müssen wir uns was einfallen lassen, wie wir das händeln. Denn wir können nicht alle versorgen.“

So wie hier geht es derzeit bei vielen Tafeln Deutschlands zu. Durch den Krieg in der Ukraine und die starken Preissteigerungen reiche es bei immer mehr Menschen nicht mehr für das Nötigste wie etwa ausreichend Lebensmittel, sagt Jochen Brühl, der Vorsitzende der Tafel Deutschland.

Das seien auch Menschen, die wenig verdienten, bis vor kurzem aber nicht auf Hilfe angewiesen waren. „Vorher kamen sie gerade so über die Runden, inzwischen können sie die hohen Preise für Lebensmittel, Sprit und Energie nicht mehr bezahlen.“ Auch Geflüchtete würden zum Teil von Sozialämtern direkt ohne vorherige Absprache zu den Tafeln geschickt, sagt Brühl.

In Deutschland gibt es über 960 Tafeln. Diese werden von vielen Unternehmen – etwa örtliche Bäckereien, Metzgereien, Supermärkten, Restaurants, aber auch Kfz-Betrieben oder Banken – gesponsert. Sie spenden Lebensmittel wie etwa Obst, Gemüse, Brot- und Backwaren oder Milchprodukte. Unterstützung gibt es aber auch in Form von Zuschüssen, beispielsweise beim Kauf eines Kleintransporters.

„So angespannt war die Lage noch nie“

Immer mehr Tafeln haben oder hatten nach Angaben des Bundesverbands einen Aufnahmestopp für neue Hilfesuchende verhängt. „Weil sie nicht genug Lebensmittelspenden haben, die sie an immer mehr Menschen weitergeben können, oder weil ihnen Helfer oder Räumlichkeiten für weitere Ausgabezeiten fehlen“, sagt Brühl. „So angespannt wie aktuell war die Lage der Tafeln noch nie.“

In Bayern haben die Tafeln einen Zuwachs von 50 bis 150 Prozent erlebt, sagt Peter Zilles, Vorsitzender des Landesverbands Tafel Bayern. Über 90 Prozent der Neuanmeldungen seien Geflüchtete aus der Ukraine. Auch hier hatte es schon bei mehreren Tafeln einen Aufnahmestopp gegeben. Dadurch sei allerdings das Problem nur aufgeschoben worden. „Es ist keine Patentlösung.“

So hatte es beispielsweise in Bayreuth direkt nach der Aufhebung des Aufnahmestopps „unglaublichen Andrang bei der Registrierung“ gegeben. Seit 14 Jahren arbeitet Zilles ehrenamtlich bei den Tafeln. Das sei bisher allerdings der größte Zulauf – während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 sei er nicht annähernd so hoch gewesen.

Auch andere Bundesländer zeichnen ein ähnliches Bild der Lage. In Sachsen würden die Tafeln „regelrecht überrannt“, sagte kürzlich ein Sprecher des zugehörigen Landesverbands. Die Zahl der Bedürftigen, die bei den Tafeln in Nordrhein-Westfalen Hilfe suchen, habe sich im Vergleich zu 2020 verdoppelt. So müssten beispielsweise in Essen nach Angaben des Landesverband-Vorsitzenden viele ohne Tafelausweis wieder weggeschickt werden.

Von einer „Akutsituation“ sprach die Tafel-Chefin in Brandenburgs Hauptstadt Potsdam kürzlich. Normalerweise würden dort 1.200 Kunden unterstützt, seit April seien zusätzlich 1400 ukrainische Geflüchtete hinzugekommen. In Hamburg ist der Andrang nach Auskunft der dortigen Tafeln so groß, dass etwa drei Viertel einen Aufnahmestopp verhängt hätten.

Stundenlanges Warten auf Lebensmittel

Vor dem Fanhaus von Union Berlin läuft die Lebensmittelausgabe bereits. Die Bedürftigen werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens hereingelassen. Ralf hat Platz 90. „Wenn ich Glück habe, bin ich um 16 Uhr zu Hause“, sagt er. Seit etwa 10 Uhr steht er auf dem Parkplatz. 1,50 Euro und ein Nachweis der Bedürftigkeit werden verlangt, dann darf der Rundgang beginnen. 50 bis 60 Ehrenamtliche helfen hier bei der Organisation der Ausgabe, beim Empfang oder auch beim Übersetzen.

„Die Supermärkte geben nicht mehr so viel ab, das ist schon knapp geworden“, sagt Wolfgang, einer der Ehrenamtlichen. Es gebe deswegen auch Menschen, die kein Verständnis dafür hätten, dass mal etwas weniger bereitstehe. Bis jetzt habe es aber immer für alle gereicht.

Am Ende des Rundgangs bei den Blumen steht Klaus Feske, einer der ältesten Ehrenamtlichen. Seit 17 Jahren und damit von Anfang an ist er dabei. „Die Massen werden immer mehr, und wenn es hoch hergeht, dann ist es schon anstrengend für einen älteren Herrn“, sagt der 87-Jährige.

Dennoch mache er seine Aufgabe noch mit großer Freude, nehme sich Zeit für jede individuelle Blumenberatung. Zu vielen hat er deswegen einen persönlichen Draht. Denn trotz aller Hektik: Hinter jedem Menschen hier steckt am Ende auch eine zum Teil leiderfüllte Geschichte. „Manche kommen und sagen: Bei mir haben sie Krebs festgestellt“, erzählt er. „Da muss man dann eben auch ein bisschen tröstende und aufmunternde Worte finden. Das ist uns wichtig.“ (dpa/red)



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