Schuldnerberater befürchten noch mehr Privatinsolvenzen

Die Preisentwicklung stürzt immer mehr Menschen in Deutschland in die Schuldenfalle. Beratungsstellen befürchten eine starke Zunahme an Privatinsolvenzen.
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Schuldnerberater rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Privatinsolvenzen in Deutschland.Foto: Alexander Heinl/dpa
Von 14. Oktober 2022

Bereits die Corona-Maßnahmen der Jahre 2020 und 2021 hatten viele kleinere Unternehmer und Privatpersonen in existenzielle Probleme gestürzt. Die Energiekrise und die hohen Preise für Strom und Gas könnten nun einen weiteren Schub im Bereich der Privatinsolvenzen auslösen, warnen Schuldnerberater.

Hohe Anzahl an Privatinsolvenzen vom Vorjahr könnte übertroffen werden

Mit 109.031 Privatinsolvenzen verzeichneten deutsche Gerichte im Jahr 2021 die höchste Anzahl seit 2014. Dass im Jahr 2020 lediglich 56.324 Fälle zu verzeichnen waren, war die Konsequenz aus Sonderbestimmungen in der Insolvenzordnung. Diese ermöglichten nicht zahlungsfähigen Schuldnern in bestimmten Fällen einen Aufschub der Verpflichtung zum Stellen eines Insolvenzantrages.

Die kommenden Monate könnten wieder einen Schub an Anträgen auf Privatinsolvenz auslösen. Die explodierenden Preise für Grundbedürfnisse wie Strom, Gas oder Lebensmittel erfassen eine Bevölkerung, in der viele kaum über Rücklagen verfügen.

In der Vorwoche erklärte eine Sprecherin des Bundesverbraucherschutzministeriums gegenüber dem „Handelsblatt“:

Wir sehen mit Sorge, dass die gestiegenen Preise auch die Überschuldungsrisiken insbesondere für einkommensschwächere Haushalte erhöhen können und auch Privatinsolvenzen zunehmen könnten.“

Ein Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung geht „n-tv“ zufolge von vermehrten „Überschuldungssituationen“ aus. Diese seien vor allem durch hohe Nachzahlungen für Strom und Gas bedingt und könnten zu einem „erheblichen Anstieg“ der Privatinsolvenzen führen.

Wohlstandsverluste erreichen die Mittelschicht

Der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Helmut Schleweis, sieht die Krise zunehmend in der Mittelschicht ankommen. Bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte könnten mit ihren monatlichen Einkommen möglicherweise ihre Ausgaben nicht mehr bestreiten – oder sogar ins Minus rutschen.

Selbst Menschen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 3.600 Euro könnten seinen Berechnungen zufolge davon betroffen sein. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte zuvor bereits angemerkt, dass fast 40 Prozent der Menschen in Deutschland kein oder nur ein geringes Sparvermögen aufwiesen. Im „Handelsblatt“ erklärt Schleweis:

Die Krise und der Wohlstandsverlust kommen in der Mittelschicht an, die bislang nicht gewohnt war, Transferleistungen in Anspruch zu nehmen, und das zum Teil sogar abgelehnt hat.“

Was den Mittelzufluss von Sparkunden anbelange, sei dieser im Vergleich zum Vergleichszeitraum 2021 um 98 Prozent zurückgegangen.

Schuldnerberater rechnen mit Privatinsolvenzen infolge nicht vorhersehbarer Ausgaben

Jüngst veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge verfüge, wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) berichtet, ein Drittel der Bevölkerung gerade einmal über 1.150 Euro an Sparguthaben. Das bedeutet, bei 31,9 Prozent der Bevölkerung würden darüberliegende unvorhergesehene Ausgaben das Budget sprengen. Neben Nachzahlungen für Strom und Gas könnten aber bereits Zahnbehandlungen, austauschbedürftige Haushaltsgeräte oder erforderliche Dachreparaturen diese Mehrausgaben verursachen.

Dem Bundesamt zufolge lebt ein Fünftel der Einwohner des Landes von einem Nettoeinkommen unter 16.300 Euro. Die Armutsschwelle wird bei etwa 14.000 Euro angesetzt. Ein weiteres Fünftel müsse mit weniger als 22.000 Euro im Jahr das Auslangen finden.

Viele Bürger hätten „keinerlei finanziellen Spielraum“, warnt auch Michael Weinhold von der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungen (AG SBV). Erhöhte Abschläge oder Nachzahlungen könnten „dramatische Auswirkungen“ haben. Gegenüber dem RND erklärte er, er rechne mit insgesamt mehr Privatinsolvenzen.

Besonders gefährdet ist die untere Mittelschicht

Ob die angekündigte Gaspreisbremse Erleichterung schaffe, sei ungewiss. Zum einen greife diese erst im März des kommenden Jahres. „Schon 10 bis 15 Prozent Mehrkosten übersteigen den Spielraum von vielen Menschen mit geringen Einkommen“, schildert Weinhold. Besonders stark betreffe die Situation Menschen, deren Einkünfte knapp über der Grenze liege, die zum Bezug von Sozialleistungen berechtige:

Die zehren jetzt alle Reserven auf, aber wenn dann noch Jobverluste oder Kurzarbeit hinzukommen, haben die keine Chance.“

Schuldnerberatungen fordern nun eine bessere Finanzierung ihrer Beratungsdienstleistungen für betroffene Verbraucher. Ines Moers von der AG SBV hält es für „weiterhin überfällig, dass endlich ein Recht auf kostenfreie Schuldnerberatung im Sozialgesetzbuch verankert wird“. So könnten sich mehr Menschen rechtzeitig Hilfe suchen und zusammen mit professionellen Beratern sinnvolle Regulierungskonzepte erarbeiten.



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