Obstbau im Alten Land – von den Holländern aus der Taufe gehoben

Wo früher vor den Toren Hamburgs noch Ebbe und Flut über die Elbmarsch herrschten, befindet sich heute eines der größten Obstanbaugebiete Europas. Den Grundstein für die beispiellose Entwicklung legten holländische Siedler, die im 11. Jahrhundert damit begannen, das Gebiet urbar zu machen.
Titelbild
Ein Bauernhaus in Steinkirchen von 1618 mit prächtig verzierter Fassade. Auf dem Balken steht geschrieben: „Wer standhollt bet an´t Enn, de ward selig warden“. (Matth. 10, V. 22)Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 5. Juni 2023

Anfang Mai ist Blütezeit im Alten Land. Zehn Millionen Apfel- und Kirschbäume erstrahlen dann in hellem Weiß und Rosa. Manche nennen es das „größte geschlossene Obstanbaugebiet Europas“, in dem vor den Toren Hamburgs jetzt der Grundstein für eine reiche Ernte im Sommer gelegt wird.

Das Obst spielt hier schon seit vielen hundert Jahren eine Rolle – jedoch lange Zeit nicht eine so große wie jetzt. Gute Böden und ein günstiges Klima waren seit jeher die Hauptfaktoren dafür, dass es gut gedeihen konnte. Und mit der nahen Großstadt gab es einen großen Absatzmarkt. Viele der Obstbauern in der Gegend hat das wohlhabend gemacht, wovon die prächtigen Bauernhäuser Zeugnis ablegen. Doch wie hat alles angefangen?

Blütenpracht im Alten Land. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Neues Land wird zu Altem Land

Vor rund tausend Jahren gab es überhaupt noch kein Land, das man hätte bewirtschaften können. Die Altländer Marsch war ein Überschwemmungsgebiet der Elbe, die im Takt der Nordseegezeiten zweimal täglich überflutet wurde. Das Wasser konnte also kommen und gehen, wie es wollte, was eine Besiedlung oder gar Landwirtschaft nahezu unmöglich machte.

Ab dem Jahr 1113 n. Chr. änderte sich dies durch die Weitsicht des damaligen Erzbischofs Friedrich I. von Bremen und Hamburg. Er schloss mit einem Wasserbauexperten aus Holland – dem Priester Henricus, der im Volksmund „Mönch Heinrich“ genannt wurde, einen Vertrag für die Kultivierung der sumpfigen „Wildnis“ ab. Das Gebiet wurde von der einheimischen Bevölkerung nicht genutzt – also gab es auch keine Konflikte um Eigentumsfragen.

Die sogenannten „Holler-Kolonisten“, die in ihrer Heimat der Nordsee Land abtrotzten, vermochten es, die Marsch einzudeichen, durch Gräben zu entwässern und – in einem langwierigen Prozess – Land zu gewinnen. Die in Bearbeitung befindliche Fläche wurde „neues Land“, das urbar gemachte Areal, das besiedelt und bebaut werden konnte, „altes Land“ genannt, – ein Begriff, der bis heute für die ganze Region zwischen den Hansestädten Hamburg (-Cranz), Buxtehude und Stade gilt.

Die Lühe. Das Alte Land gliedert sich in die sogenannten drei Meilen, die von den Flüssen Este, Lühe und Schwinge begrenzt werden. Diese wurden ebenfalls von den Holländern angelegt. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Einfluss der Niederländer

Mit der Gewinnung des Landes schufen die Niederländer zugleich auch Strukturen. Das waren vor allem die langen, schmalen Parzellen für die Siedler, die linear angeordnet waren. Sie wurden nach dem holländischen Vermessungssystem der Längen- und Flächenmaße bestimmt. Die heutige Struktur des „Alten Landes“ folgt noch immer der ursprünglichen, im Hochmittelalter von den Holländern angelegten Landschaft, die als Hollerlandschaft bezeichnet wird.

Ein alteingesessener Altländer erzählt, wie die schmalen Streifen noch bis vor einigen Jahrzehnten genutzt wurden: Nahe beim Dorf wurden die Kirschen angebaut, dann kamen die Äpfel, noch weiter weg das Mischobst und ganz weit entfernt kamen Weiden, auf denen Schweine gehalten wurden. Die Schweine gibt es nicht mehr, der Schlachthof im Dorf wurde geschlossen, die Kirschen sind auf dem Rückzug, und der Apfel hat seinen Siegeszug angetreten. Er macht jetzt 90 Prozent des Obstanbaus aus.

Die von den Holländern vergebenen Flur-, Siedlungs-, Gewässer- und Personennamen belegen noch heute ihren holländischen Ursprung, wie beispielsweise die Ortsnamen, die auf –“cop“ enden, wie Nincop, Francop oder Ladekop.

Eine wichtige Rolle spielten die Deiche. Im Spätmittelalter galt der Grundsatz, „wer vom Wasser bedroht wird, muss es wehren“. Jeder, der Land am Wasser hatte, war daher für die Instandhaltung seines Deichteilstücks verantwortlich. Kam er dem nicht nach, drohten empfindliche Strafen und der Verlust des Grundstücks. Fragen dieser Art überwachten drei Deichverbände, die bereits im Mittelalter gegründet worden sind und auch heute noch existieren.

Das Gebiet war im 14. Jahrhundert weitgehend eingedeicht und entwässert und es wurde Landwirtschaft betrieben. Erste Ansätze für den Obstanbau gab es seit circa 1500. Dieser wurde an den Gehöften betrieben und später intensiviert. Auch Handwerker, Fischer, Kaufleute und Händler bepflanzten ihre Gärten mit Obstbäumen und erwirtschafteten so einen Nebenverdienst. Auch wenn der Obstbau zunahm, war noch im späten 18. Jahrhundert der Ackerbau die dominante Landnutzung. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts stellen die Obstanbauflächen die flächenmäßig größte Landnutzungsart dar.

Lühedeich im Guderhandviertel. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Prächtige Bauernhäuser

Beschaulich fließt die Lühe im Guderhandviertel dahin, beidseitig wird der kleine Fluss von einem Deich gesäumt. Obendrauf ein reetgedecktes Fachwerkhäuschen, daneben ein Kirschbaum in voller Blüte. Eine Idylle. Direkt am Fuß des Deichs liegt ein prachtvoller, von Kirschbäumen umgebener Altländer Hof, der schon vieles erlebt haben mag, denn sein Baujahr wird mit 1618 angegeben, dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges.

Steht hier seit 405 Jahren: Bauernhaus im Guderhandviertel. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Nicht nur hier, sondern an vielen Stellen im Alten Land sind alte reetgedeckte Bauernhäuser erhalten geblieben. Eine Vielzahl von großen Höfen mit prächtigen Fassaden aus Buntmauerfachwerk belegt, dass Kolonisten mit Landwirtschaft zu Wohlstand gekommen sind – und dass sie einen Sinn für das Schöne hatten.

Eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Fassaden spielt die Ausgestaltung der Gefache. Hier zeigen sich die Erbauer der Häuser von ihrer kreativen Seite: Die Zwischenräume zwischen den weiß getünchten Balken sind mit roten Backsteinen ausgefüllt, die in kunstvollen Mustern angeordnet sind und sich von Fach zu Fach unterscheiden. Manchmal erinnern sie an ein Kreuzstichmuster, manchmal an einen geflochtenen Korb.

Bauernhaus mit Prunkpforte (rechts). Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Nicht selten werden auch Symbole verwendet wie der „Hexenbesen“, der vor Blitzeinschlag und bösem Blick schützen sollte, sowie die „Teufelsmühle“, die dafür sorgen sollte, dass „immer Brot im Hause sei“.

Schmuckgiebel mit hölzernen Pferden oder Schwänen, über dem Eingang angebrachte Medaillons mit den Namen des Besitzerehepaars, sogenannte Brauttüren, die früher nur von innen zu öffnen waren, und Prunkpforten komplettieren das Gestaltungsspektrum, das zum Großteil wiederum den niederländischen Wurzeln zugeschrieben wird.

Auch ein christlicher Spruch darf auf der Hausfront nicht fehlen, wie zum Beispiel: „Wer standhollt bet an´t Enn, de ward selig warden (Matth. 10, V. 22).

Vier Geschosse, Muster aus Backsteinen, Brauttüre, darüber die Namen der Besitzer, Schmuckgiebel. Dieses prächtige Bauernhaus steht seit 1618. Rückwärtig schlossen sich direkt die Felder an. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times



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