Mit 300 Menschen auf „Montagsspaziergang“ durch Berlin

Zuhören, Argumente aushalten, informieren. Und Corona sollte man endlich wie eine ganz normale Krankheit behandeln. Eine Reportage zu einer Berliner Montagsdemo.
Titelbild
Am 27.12.2021 zogen Menschen im Rahmen eines „Montagsspaziergangs“ Richtung Brandenburger Tor. Sie kritisieren die Corona-Politik.Foto: Erik Rusch / Epoch Times
Von 29. Dezember 2021

Ein eisiger Wind weht am 27. Dezember über Berlins Flaniermeile „Unter den Linden“. Zwischen den Laternen, die hell die mehrspurige Straße erleuchten, zieht eine Menschengruppe Richtung Brandenburger Tor. Die Polizei hat für sie den kompletten Autoverkehr, auf der sonst stark befahrenen Straße, gesperrt. Gestartet vom Alexanderplatz geht der angemeldete Aufzug, nach Polizeiangaben rund 300 Menschen stark, eskortiert von rund 250 Polizisten, gemächlich voran. Zahlreiche Polizeifahrzeuge mit Blaulicht folgen ihm.

Der Aufzug zeigt sich bunt gemischt. Alle Altersgruppen sind vorhanden. In der Mehrheit sind es Menschen mittleren Alters. Man geht locker nebeneinander mit Abstand. Auch einige Familien sind samt kleinen Kindern mit dabei. Weder Transparente noch Plakate sind zu sehen. Gemeinsam rufen die Teilnehmer „Friede, Freiheit, keine Diktatur“.

Auch Rufe von schwarz gekleideten Gegendemonstranten sind zu hören. Sie stehen am Rand des vorbeiziehenden Aufzugs. Sie halten Transparente hoch – auf einem steht: „Geradedenker sind mehr“. Die Polizei drängt sie vom Aufzug ab und bildet eine Polizeikette zwischen dem Aufzug und ihnen.

Sie erklären, sie seien heute hier, weil solche Demonstrationen die Infektionsgefahr hochtreiben würden und wegen solchen Leuten die Intensivstationen voll seien. „Wegen solchen Leuten muss entschieden werden, ob Leute, die einen Herzinfarkt haben, noch auf eine Intensivstation können. Und das ist wirklich nicht viel, was man von ihnen erwartet. Sie sollen eine scheiß Maske aufsetzen und Abstand halten. Damit wir irgendwann mal aus dieser Situation rauskommen. Mit diesen Demos kommen wir da nie raus.“

Gegendemonstranten mit ihrem Transparent, die sich gegen die „Montagsspaziergänger“ stellen, die die Coronapolitik kritisieren. Foto: Erik Rusch / Epoch Times

Immer wieder ist Bewegung am Rande des Aufzuges. Kleine Polizeitrupps ziehen im Laufschritt an den Demoteilnehmern vorbei, um sich dann an Straßenkreuzungen zu positionieren oder an Seitenstraßen Polizeiketten zu bilden.

„Angst um die Zukunft meines Kindes“

Unter den „Montagsspaziergängern“ ist Sven Burk (35), ein selbstständiger Baudienstleister aus Wetzlar (Hessen), der gerade in Berlin war, als er von der Demo erfuhr.

In Wetzlar hat er schon mehrere Male an einer Demo teilgenommen, die die Coronapolitik kritisiert. Er ist heute hierhergekommen, weil er für die Grundrechte einsteht, erklärt er. „Weil der Punkt gekommen ist, an dem ich mich schäme, nur noch zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und zu kommentieren, dass in dem Land was falsch läuft und ich Angst habe um die Zukunft meines Kindes und auch um meine eigene.“

Am meisten bewegt ihn der Impfzwang, den er kommen sieht. Er trägt eine Maske, die beim Sprechen immer wieder verrutscht. Immer wieder bringt er sie wieder in die richtige Position. Seine Brille beschlägt beim Sprechen durch die Atemluft, er setzt sie ab, putzt die Gläser und setzt sie wieder auf. Er erklärt: „Es ist mein erstes Interview!“

Dann erzählt er weiter. Sein sechsjähriger Sohn, der getrennt von ihm in Berlin aufwächst, ist kürzlich eingeschult worden. „Er trägt in der ersten Klasse eine Maske. Das finde ich furchtbar als liebender Vater. Denn alles spricht dafür, dass es für Kinder überhaupt keinen Sinn ergibt. „Mein Sohn und die anderen Kinder müssen in der Grundschule auf der Schaukel eine Maske tragen, auf dem Klettergerüst eine Maske tragen, stundenlang mit einer Maske im Unterricht sitzen, erklärt der stämmige Hesse. Es ist für mich eine Katastrophe.“ Er wünscht sich, dass man Corona endlich wie einen ganz normalen Infekt behandele, der nicht aufzuhalten sei.

„Spätfolgen der Coronamaßnahmen werden uns erschrecken“

Eine andere Teilnehmerin, die Berlinerin Katrin Radtke (42) – als Künstlerin und Buchhalterin tätig – war gerade am Brandenburger Tor und wollte hier die Weihnachtsbeleuchtung anschauen. „Ich mache das einmal im Jahr und sah dann die Polizei. Und dann bin ich einfach mitgelaufen und hörte mir das mal an.“

Sie fürchtet, dass die Spätfolgen der Coronamaßnahmen „uns ein bisschen erschrecken werden“. „Und ich weiß nicht, was die da oben, unsere Entscheidungsträger, sich dabei denken.“

„Ich wünsche mir, dass die Politik einsieht, dass jeder selbstbestimmt leben kann. Und wenn ich entscheide, ich möchte mich impfen lassen, dann tue ich das. Und wenn ich mich dazu entscheide, ich möchte mich nicht impfen lassen, dann tue ich das auch. Ich möchte dann aber auch in Ruhe gelassen werden und nicht in meiner Freiheit eingeschränkt werden.“

Durch Corona fühlt sie sich nicht bedroht. In ihren Augen sei es keine Pandemie. „Es ist eine Krankheit, die natürlich ernst zu nehmen ist und die auf jeden ja auch anders wirkt. So wie die Grippe auch oder andere Krankheiten auch. Beim einen ist es schlimmer, beim anderen nicht so schlimm. Mutter Erde gibt uns alles, um zu heilen. Das ist meine feste Überzeugung.“

„Eine Entmenschlichung der Sprache“

Nach einer kurzen Kundgebung mit Redebeiträgen beim ZDF-Hauptstadtstudio macht sich der Aufzug auf den Rückweg. Es geht zurück zum Alexanderplatz. Hier äußert sich Simon Schneider (50), ein Augsburger Wahlberliner, der bereits seit zwanzig Jahren in der Hauptstadt lebt und als Konzeptioner für eine Marketingagentur arbeitet.

Da die Meinungsfreiheit und Berichterstattung immer einseitiger werde und eine Spaltung in „Die“ und „Wir“ sich immer stärker vollziehe, ist er auf der Straße.

Er erlebe im Freundeskreis immer mehr, dass es gar keine Diskussionen mehr gebe, sondern dass Leute auf ihren Standpunkten beharren würden. Eigentlich sollte das beste Argument gewinnen, doch diese Ansicht gehe hier in Deutschland immer mehr verloren, so der Wahlberliner. Stattdessen gebe es eine vorherrschende Meinung, ein Narrativ, eine Wahrheit, eine Moral, die gesetzt sei. Ein Austausch der Argumente und eine Gesellschaft, die vom Kompromiss lebt, das verliere sich immer mehr, erzählt er weiter.

Im Gespräch sucht er immer wieder den Blickkontakt. Warm eingepackt, mit einem leichten Drei-Tage-Bart im Gesicht, spricht er sichtlich innerlich bewegt – doch in leisem ruhigen Ton.

Sein Urgroßvater Karl Schneider hat die SPD damals im Saarland mitbegründet. „Wenn ich heute den SPD-Bundeskanzler höre, wenn er davon spricht, dass es keine roten Linien mehr gibt, das war für mich echt so ein Erweckungserlebnis, wo ich sage, das geht für mich nicht. Es gibt ein Grundgesetz und es gibt auch für den Bundeskanzler eine Linie, die man nicht überschreiten darf. Denn was bedeutet das denn? Also es gibt keine roten Linien mehr?“

Ein Polizist schaut sich ein Maskenbefreiungs-Attest einer Montagsdemo-Teilnehmerin an. Foto: Erik Rusch / Epoch Times

„Tyrannei der Ungeimpften“

Er zeigt sich alarmiert über die Sprache, wie sie jetzt benutzt werde. So hätte eine Dame von der Ethikkommission geäußert, dass man die Maßnahmen gegen Impfgegner „eskalieren muss“. Auch würde von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ gesprochen. Und ein Ärztepräsident stoße sich daran, dass „kleine Richterlein sich hinstellen und 2G im Einzelhandel kippen“, erklärt er in leichtem bayerischen Dialekt.

Für ihn ist das eine Entmenschlichung der Sprache. Er erwartet, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen oder öffentliche Posten bekleiden, mit Sprache anständig umgehen und nicht spalten. „Denn auch Sprache kann spalten.“ Er erwarte einen sensiblen Umgang mit Sprache und keine Stammtischparolen.

Gleichzeitig wünscht er sich von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, dass sie Fehler eingestehen. Gerade in Bezug auf die Corona-Impfung sollte man eingestehen, dass dies nicht die erhoffte Lösung sei.

Für notwendig hält er auch, wieder zu lernen, sich zuzuhören und ein Argument, „was einem erst mal abwegig erscheint oder nicht schlüssig oder was man völlig ablehnt, auszuhalten“.  Dieses Beharren auf den eigenen Positionen müsse aufhören, so Schneider.

Was die Presse angeht, hat Schneider den Eindruck, man kaue ihm etwas vor „und ich habe das zu akzeptieren.“ Dafür sei die Presse nicht da, so der gebürtige Bayer. „Also dafür sind Kolumnen da, da kannst du Meinung hören.“ In erster Linie sollte es der Presse ums Informieren gehen.

Sieben vorläufige Festnahmen

Laut Polizeiangaben verlief der „Montagsspaziergang“ weitestgehend störungsfrei. Sieben vorläufige Festnahmen gab es wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz. So wären trotz Ansprache Mund-Nasen-Bedeckungen von Teilnehmern nicht aufgesetzt und Abstände missachtet worden.

Das blaue Lichtermeer aus Polizeifahrzeugen ist nach zwei Stunden wieder verschwunden. Auch von den dick eingepackten Berliner Polizeihundertschaften ist nur ein Teil übrig geblieben. In kleinen Gruppen stehen sie verteilt auf dem Alexanderplatz. Der eisige Wind weht durch die Straßenschluchten. Die letzten „Spaziergänger“ verlassen jetzt den Platz. Ihre Spur verliert sich zwischen den Einkaufsbummlern in der Anonymität der Großstadt.



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