Deutschlands Tafeln sind überlaufen und immer mehr Menschen „containern“ in Abfällen ihre Nahrung

Der Deutschland-Chef der Tafeln sieht in straffreiem Containern „Symbolpolitik“. Aber das Problem ist viel größer als nur die Selbstbedienung von ein paar abgelaufenen Lebensmitteln in der rechtlichen Grauzone. Ein Kommentar.
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Frau am Container.Foto: iStock
Von 16. Februar 2023

Mehr Bedürftige, weniger Ehrenamtliche zur Verteilung von Nahrungsmitteln und ansteigende Armut in Deutschland – die Nachfrage bei den Tafeln, wo ehrenamtlich Lebensmittel aus Spenden an Bedürftige verteilt werden, hat in den letzten Jahren einen starken Anstieg der Nachfrage erlebt. Allein im vergangenen Jahr haben 50 Prozent mehr Menschen die Tafel genutzt als im Vorjahr, insgesamt sind es bereits über zwei Millionen Menschen, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armutsquote im vergangenen Jahr einen Höchststand von 16,6 Prozent erreicht, dennoch spricht Bundespräsident Steinmeier vom „besten Deutschland, das es je gegeben hat.“

Nicht nur immer mehr Deutsche brauchen Unterstützung beim Erwerb von Nahrungsmitteln, auch jeder dritte der wachsenden Gruppe von Migranten geht zur Tafel, um über die Runden zu kommen; oder sie gehen „Containern“. Wer jetzt noch nicht weiß, worum es sich dabei handelt, dem sei diese Form der Nahrungsbeschaffung kurz erklärt:

Kriminelle Handlung oder Rettung von Lebensmitteln?

„Containern“ bezieht sich in Deutschland auf das Sammeln von Lebensmitteln aus Containern, die von Supermärkten oder anderen Lebensmittelhändlern entsorgt werden. Oft werden genießbare Lebensmittel weggeworfen, obwohl sie noch „gut“ sind. Rechtlich gesehen bewegen sich Menschen, die Lebensmittel aus Containern nehmen, in einer Grauzone. Das Containern an sich ist nicht ausdrücklich gesetzlich verboten, jedoch kann es in bestimmten Fällen als Diebstahl gem. § 242 StGB oder als Hausfriedensbruch gewertet werden. In letzterem Fall käme § 123 Abs. 1 StGB in Betracht. Dies setzt voraus, dass zum Beispiel die Behälter auf privatem Grund stehen und das Betreten des Geländes ohne Erlaubnis erfolgt.

Immer wieder gelangen Fälle von „Containern“ in die Schlagzeilen. Diese haben den Hintergrund, dass viele Supermärkte abends nach Geschäftsschluss Lebensmittel in ihre Container werfen, um sie zu entsorgen, obwohl diese im Grunde noch verzehrt werden könnten. Da aber das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, befürchten die Händler, dass ihre Ware im Regal liegen bleibt. Diese Praxis wird zunehmend kritisiert, zumal in Deutschland jedes Jahr etwa 11 Millionen Lebensmittel weggeschmissen werden, obwohl sie noch gegessen werden könnten.

Es gibt auch Initiativen, die das Containern unterstützen und legalisieren wollen, da sie sich für eine Reduzierung der Lebensmittelverschwendung einsetzen. In diesem Zusammenhang wurde schon diskutiert, das Containern ausdrücklich zu erlauben und sogar gesetzlich zu regeln.

Dazu hat sich jetzt auch der Bundesvorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, gemeldet und prinzipiell eine Straffreiheit für das sogenannte Containern befürwortet; er hält einen solchen Schritt aber gleichzeitig für „Symbolpolitik“. Eine rein politische Inszenierung also, ohne dass diese unbedingt zu konkreten Maßnahmen führt.

„Erlaubnis zum Containern zynisch“

„Natürlich sollten Menschen, die aufgrund von Armut nach Lebensmitteln suchen müssen, dafür nicht strafrechtlich verfolgt werden“, sagte Brühl dem RND. „Es ist jedoch zynisch, dass es Menschen erlaubt werden soll, im Müll nach Lebensmitteln zu suchen, um sich ernähren zu können. Das ist eine Symbolpolitik, die am Kern vorbeigeht und keine Lösung für die Probleme Armut sowie Lebensmittelverschwendung darstellt.“

Der Tafel-Chef meint, um gegen Lebensmittelverschwendung anzugehen, müsse die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. „Jedes dritte Lebensmittel wird entsorgt statt gegessen“, so Brühl. „Es herrscht eine massive Überproduktion, weil die Supermärkte auch am Abend noch gut gefüllt sein sollen.“

Mehr als 50 Prozent der Lebensmittelverschwendung falle zudem in privaten Haushalten an. „Hier benötigt es Bildungskampagnen und Aufklärungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene“, so der Tafel-Bundesvorsitzende. „Gute und noch genießbare Lebensmittel dürfen erst gar nicht in der Tonne landen.“

Lebensmittelpreise steigen, Armut auch

Ob diese Privathaushalte jedoch diese unbedachte Verschwendung noch lange fortführen werden, könnte man durchaus infrage stellen angesichts der Teuerungsraten im letzten Jahr. So sind die Lebensmittelpreise laut Statistischem Bundesamt alleine im Dezember 2022 um 20,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen.

Ob aufgrund der extrem verteuerten Lebensmittel oder auch aus anderen Gründen, jedenfalls sind die Lebensmittelspenden für die Tafeln schon im letzten Jahr massiv zurückgegangen – genauso wie auch die Anzahl der sich engagierenden Freiwilligen, die sich deutschlandweit auf ungefähr 60.000 belaufen. Man kann hierbei durchaus in Betracht ziehen, dass immer mehr von denen, die vorher unterstützt und bei der Essensausgabe geholfen hatten, möglicherweise selber zu Bedürftigen geworden sind.

Denn „Magenknurren ist die neue Deutsche Nationalhymne“, schrieb Ende 2022 der Journalist Alexander Wallasch und führte aus:

„Laut Armutsbericht 2022 hat die Armut in Deutschland mit einer Quote von 16,6 Prozent im zweiten Pandemiejahr (2021) einen neuen Höchststand erreicht. 13,8 Millionen Menschen müssen demnach hierzulande derzeit zu den Armen gerechnet werden, 600.000 mehr als vor der Pandemie.“

Ob dieser steigenden Armutsgrenzen schlug die Dachorganisation Tafel Deutschland Alarm. Der Ansturm derer auf Nahrungssuche war so stark wie nie zuvor, sodass bei rund 30 Prozent der knapp 1.000 Tafeln Deutschlands keine weiteren Abholer mehr zugelassen werden konnten.

Nur kleines Puzzleteil des großen Problems

Ob beim Thema „Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten“  allein Aufklärung, wie Tafel-Chef Jochen Brühl meint, hinreichend ist, um das unnötige Wegwerfen von Nahrungsmitteln zu reduzieren?

Wahrscheinlich nicht. Das Problem geht weit darüber hinaus. Dieser wohl nur recht kleine Teil der Gesamtproblematik spiegelt vielmehr die größer werdende Kluft innerhalb der Gesellschaft wider. Während die eine Hälfte noch darüber diskutiert, ob und unter welchen Umständen es strafbar sei oder nicht, ohnehin entsorgte Lebensmittel „zu retten“, scheint der andere Teil, der auf Spenden angewiesen ist, immer größer. Und den Bedürftigen und Hungrigen ist es vielleicht nicht nur egal, ob sie abgelaufene Lebensmittel essen, sondern auch, woher sie diese bekommen.

Brühl sagte schon im letzten Jahr angesichts der mehr als 2 Millionen Nahrungssuchenden bei den Tafeln: „Wir können nicht auffangen, was der Staat nicht schafft“.

(Mit Material von Agenturen)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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