Kühnert auf Otto Grotewohls Spuren: Kapitalismus nicht mehr nur „zähmen“, sondern „überwinden“

Die „demokratische Bodenreform“ bildete eine tragende Säule der „antifaschistisch-demokratischen“ Ordnung, die unter Federführung durch die sowjetische Besatzungsmacht nach 1945 in der späteren DDR entstehen sollte. Kevin Kühnerts Enteignungs-Fantasien lassen einige Parallelen erkennen – sei es mit Absicht oder aus Versehen.
Von 2. Mai 2019

„Juso-Chef Kevin Kühnert hat offen und laut über den Sozialismus nachgedacht ­­– und provoziert damit das politische Establishment quer durch alle Parteien in Deutschland“, frohlockt das einstige SED-Organ „Neues Deutschland“.

Dass die Forderungen Kühnerts nach Kollektivierung von Unternehmen wie BMW „auf demokratischem Wege“ oder umfassender staatlicher Wohnraumbewirtschaftung in einer Regierungspartei laut ausgesprochen werden, scheint aus Sicht der Zeitung sogar schwerer zu wiegen als die Tatsache, dass die ihr eigentlich nahestehende Partei, „Die Linke“, fast Identisches schon seit Jahr und Tag in ihrem Programm stehen hat.

Bisherige Trennlinie zwischen SPD und „Die Linke“ beseitigt

Bis dato war es die strategische Positionierung zum „Kapitalismus“, die eine grundsätzliche Trennlinie zwischen der westdeutsch dominierten Sozialdemokratie und den SED-Erben bildete. Die SPD wollte diesen dem eigenen Selbstverständnis zufolge stets „zähmen“, sodass der Staat einen mehr oder minder engen Rahmen für das freie Spiel der Marktkräfte setzen würde – ein Grundgedanke des Godesberger Programms von 1959 lautete demnach: „Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig.“

Die „Partei des Demokratischen Sozialismus“ als Zwischenschritt auf dem Weg von der SED zur Partei „Die Linke“ hingegen sah im „demokratischen Sozialismus“ eine Gesellschaftsordnung, die den „Kapitalismus“ in letzter Konsequenz „ablösen“ soll. Zu diesem Ziel der „Überwindung des Kapitalismus“ bekennt sich nun auch Kevin Kühnert und reißt damit eine wesentliche programmatische Abgrenzung zur extremen Linken ein. Wenig überraschend, dass „Linke“-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler ihn auf Twitter dafür würdigt.

Die Linke dürfte allerdings präzisere Vorstellungen darüber haben, wie die angestrebte Kollektivierung aussehen sollte. Was den Weg dorthin anbelangt, ist Kühnert recht flexibel:

„Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ‚staatlicher Automobilbetrieb‘ steht oder ‚genossenschaftlicher Automobilbetrieb‘ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht.“ Entscheidend sei, dass die Verteilung der Profite „demokratisch kontrolliert“ werde. Das aber „schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt“.

Grotewohl bescheinigte West-SPD „illusionäre Gesellschaftsauffassung“

Mit Kühnerts Konzept, unter dem Banner der „demokratischen Kontrolle“ privatwirtschaftliches Handeln auf dem Automobilmarkt, dem Wohnungsmarkt oder in weiteren Bereichen zu unterbinden, schließt er historisch gesehen den Kreis, in dem sich die SPD seit der Nachkriegszeit zunächst von linkstotalitären Wirtschaftskonzepten wegbewegt hat.

Dazu gehörte auch jenes des SPD-Vorsitzenden in der sowjetischen Besatzungszone, Otto Grotewohl, der den „demokratischen Sozialismus“ der damaligen SPD im Westen als „illusionäre Gesellschaftsauffassung“ brandmarkte. Im Gegensatz zum „wissenschaftlichen Kommunismus“ werde dieser nämlich als „Ideal interpretiert, das ohne tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen andauernd anzustreben sei“.

Statt des gesellschaftlichen Eigentums an Produktionsmitteln strebe man die „Kontrolle der Monopole“ durch den „klassenneutralen Staat“ an, der „imperialistische Staat“ solle nicht revolutionär gestürzt werden, sondern auf dem Wege der Erringung parlamentarischer Mehrheiten.

Demgegenüber war zwar im Godesberger Programm noch von „wirtschaftlicher Macht“ die Rede, die „die Demokratie gefährden“ könne – den „Kapitalismus“ allerdings gleichsam als Antithese zur Demokratie zu betrachten, das war zumindest in der westlichen Sozialdemokratie in dieser Form lange Zeit nicht denkbar.

Anders in der Ostzone. Dort war es der SED gelungen, unter tatkräftiger Mithilfe der sowjetischen Besatzungsmacht eine „antifaschistisch-demokratische“ Grundordnung zu schaffen, die im Sinne der Dimitroff-These den „Faschismus“ als die „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ definierte. Demzufolge könne diesem nur dadurch die Grundlage entzogen werde, dass man die „kapitalistischen Produktionsverhältnisse“ beseitige.

„Kapitalismus“ als Conditio sine qua non des „Faschismus“

Im Sinne einer „antifaschistischen“ Ordnung, wie sie bald in der Vereinigung der zugelassenen, „demokratischen“ Parteien und politischen Gruppierungen der Ostzone in der „Nationalen Front für das Demokratische Deutschland“ ihren politischen Ausdruck finden sollte, war der „Kapitalismus“ die vermeintliche Conditio sine qua non für den „Faschismus“. Als solcher galt er in der DDR schon von Beginn an als der natürliche Widerpart der „Demokratie“, weshalb die Herstellung der „demokratischen Kontrolle“ über die Produktionsmittel von höchster Priorität war.

Die „demokratische Bodenreform“ unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ war bereits seit 1945 eine der zentralen Forderungen der KPD. Die Direktiven dazu kamen aus Moskau, etwa 35 Prozent aller Ländereien auf dem Gebiet der Ostzone kamen in einen Bodenfonds, um in weiterer Folge durch den Staat an Landarbeiter, Vertriebene, Kleinbauern oder einfach nur politische Günstlinge verteilt zu werden.

Rund 7000 Besitzer von Grundstücken über 100 Hektar wurden entschädigungslos enteignet, begleitet von einem propagandistischen Trommelfeuer der kommunistischen Medien, die Betroffene taxfrei zu „Kriegsverbrechern“, „Spekulanten“ oder „NSDAP-Günstlingen“ erklärten.

Die Zuteilung der Landflächen an die neuen Besitzer erwies sich jedoch als ineffizient, in den meisten Fällen waren diese zu klein, um darauf Betriebe wirtschaftlich führen zu können. Die Folge war, dass die SED-Führung dazu überging, den Zusammenschluss in „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ (LPG) voranzubringen – denen die Betroffenen „freiwillig“ beitreten konnten, widrigenfalls bei Bedarf aber auch „nachgeholfen“ werden konnte.

„Das Wir entscheidet“

Unter dem Banner „Vom Ich zum Wir“ war bis 1960 der freie Bauernstand in der DDR so gut wie beseitigt. Zuvor hatten 400 000 Landwirte ihre Eigenständigkeit verloren. Agrarhistorikern zufolge entzogen sich 15 000 Landwirte ihrer Kollektivierung durch Flucht in den Westen, eine Option, die ab dem Bau der Mauer 1961 nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Etwa 200 Betroffene wählten den Freitod.

Nicht zuletzt das Befremden der westdeutschen Bevölkerung über die Zwangsmaßnahmen und die Willkür, die mit der „demokratischen Bodenreform“ und anderen Formen der Zwangskollektivierung in der DDR einhergingen, begünstigte im Westen mehrheitlich die Erkenntnis, dass es zwar Demokratie ohne Freiheit, aber niemals Freiheit ohne Kapitalismus geben könne.

Entsprechend konzentrierte sich die radikale Linke im Westen angesichts der katastrophalen Wirtschaftsbilanz der sozialistischen Staaten auf gesellschaftspolitische Umwälzungen und die „Demokratisierung aller Lebensbereiche“, die darauf abzielte, den staatlichen Einfluss auf zuvor strikt private Zusammenhänge auszuweiten.

„Das Wir entscheidet“, der „antifaschistische Konsens“ der „demokratischen Parteien“ und jetzt auch noch die Kollektivierung ganzer Wirtschaftsbereiche unter dem Banner der „demokratischen Kontrolle“: Es ist ungewiss, ob der wenige Monate vor dem Ende der DDR geborene Kevin Kühnert einen Schulunterricht genoss, in dem die Geschichte der Errichtung der Diktatur in der Ostzone eine Rolle spielte.

Auch wenn es heute keine Besatzungsmächte mehr gibt, stattdessen eine stark linksorientierte Medienlandschaft und finanzstarke NGOs: Sollten die Parallelen, die sich zwischen den Entwicklungen in der Sowjetzone ab 1945 und den Enteignungsfantasien Kühnerts offenbaren, nicht beabsichtigt sein, dann beruhen sie auf einem nicht unbedingt geringfügigen Grad des Versehens.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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