„Bekämpft den Brand, nicht die Presse“: TV-Sender 112 Ukraine im Visier der Politik

Legitimer Kampf gegen „russischen Imperial-Chauvinismus“ oder ein Vorwand zur Aushebelung der Medienfreiheit? Das Parlament in Kiew schuf jüngst die Grundlage für mögliche Sanktionen gegen mehrere ukrainische TV-Sender, darunter die beliebten Programme 112 Ukraine und NewsOne. Die Stationen selbst wittern politische Willkür.
Titelbild
Explosionen in einem Militärwaffenlager in der Ukraine (Archivbild).Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP/Getty Images
Von 16. Oktober 2018

Einige Medien in der Ukraine sehen sich weiterhin erheblichem Druck aus der Politik ausgesetzt – und dies betrifft nicht nur explizit prorussische Publikationen. Der TV-Sender 112 Ukraine ist einer der zehn meistgesehenen Kanäle des Landes. Er bietet neben Nachrichten noch Fernsehshows mit Livegästen, Investigativjournalismus, Talkshows und Interviews.

Vor zwei Wochen sah sich CEO Yegor Benkendorf jedoch genötigt, in aufrüttelnden Worten vor einem Angriff auf die Medienfreiheit zu warnen, nachdem das Parlament, die Werchowna Rada, mit den Stimmen von 229 der 450 Abgeordneten den Gesetzesentwurf Nr. 9157 angenommen hatte. Dieser bezeichnete die „Zustimmung für Empfehlungen zur Einführung persönlicher und spezieller wirtschaftlicher Sanktionen oder anderer restriktiver Maßnahmen“ gegen mehrere Medien. Zu diesen gehören unter anderem Publikationen der Ariadna TV LLC, der Novy Format LLC, der TV Vybir LLC, von 112-TV Television and der Radio Broadcasting Company, neben 112 Ukraine ist auch der populäre Sender NewsOne betroffen.

Die Stationen, so meinen die Initiatoren des Gesetzes, offenbarten „systematische Anzeichen der Imitation von Diskurspraktiken russischer imperial-chauvinistischer Propaganda in den Aktivitäten einer Vielzahl von legalen Einheiten, eine permanente Zurschaustellung von Propaganda und die Ausbreitung der Ideologie des Terrorismus“.

Will Poroschenko den Verkauf an einen befreundeten Oligarchen erzwingen?

Unter den möglichen empfohlenen Maßnahmen, die in zwölf Punkten aufgezählt wurden, befinden sich unter anderem das Einfrieren von Konten, die Verhinderung von Vermögenstransfers ins Ausland, die Verweigerung von Radiofrequenzen, die Verweigerung der Mitbenutzung von Kommunikationsservices oder Shareware oder der temporäre oder vollständige Entzug von Lizenzen.

Neben Anhängern des Präsidenten Petro Poroschenko stimmten auch namhafte oppositionelle Kräfte für die Maßnahmen für den Entwurf, darunter Julia Timoschenko oder Oleh Ljaschko. 112 Ukraine wird regelmäßig vorgeworfen, der nominelle Eigentümer Andrej Podschipkow sei ein bloßer Strohmann eines Ministers der 2014 entmachteten Regierung Janukowytsch. Der Sender hingegen wittert den Versuch, Podschipkow dazu zu zwingen, den Sender an den Poroschenko-treuen Oligarchen Alexander Onischtschenko zu verkaufen.

Tatsächlich, so CEO Benkendorf, lasse man eine Vielzahl an Persönlichkeiten aller politischen Lager zu Wort kommen, allerdings vielfach auch ungeschnitten und ohne Nachbearbeitung, um so den Gästen die Möglichkeit zu geben, ihre Meinungen zu den drängendsten Problemen, die das Land bewegen, authentisch darzulegen.

„Entsprechend ist es natürlich“, betont Benkendorf, „dass unsere Gäste auch Leute sein können, die die derzeitige Regierung kritisieren, die auf die zunehmenden Fälle von Korruption hinweisen oder auf die Beschneidung der Redefreiheit.“

Schlamperei in der Informationspolitik den Medien angelastet

Ein möglicher weiterer Aufhänger für eine Schließung des Senders – wie Benkendorf sie befürchtet – könnte die jüngste Kontroverse um die Berichterstattung über ein Feuer an einem Munitionslager in Itschnja im Oblast Tschernihiw sein. Noch am gestrigen Montag berichtete das deutschsprachige Portal „Ukrinform“ unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium, dass die Löscharbeiten voranschreiten, während immer noch mehrere Ortschaften ohne Gasversorgung sind.

Die ersten Meldungen über ein Feuer an der sensiblen Anlage wurden am Dienstag der Vorwoche bekannt. Das ukrainische Verteidigungsministerium wirft 112 Ukraine vor, die offiziellen Daten der Regierung über den Vorfall nicht wiederzugeben, Minister Stepan Poltorak sprach in einer Erklärung an den Premierminister sogar von „Fake-News“, die der Sender verbreite, sowie von der Preisgabe vertraulicher Informationen.

Das Feuer in den betroffenen Anwesen soll am 9. Oktober um 3.30 Uhr ausgebrochen sein. Etwas mehr als zwei Stunden später hatte das Verteidigungsministerium darüber auf seiner Facebook-Pinnwand geschrieben. Außer diesem Post gab es bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Meldung. Elf Minuten später berichtete 112 Ukraine als erster Sender über das Feuer, wobei man offizielle Quellen zitierte, darunter den Facebook-Eintrag des Ministeriums. Später sollte das Ministerium behaupten, der Sender habe dessen Informationen nicht genutzt.

Ministerium und Premier wettern gegen „Fake-News“

Um 8.16 sendete 112 Ukraine eine Liveshow mit Bohdan Senyk, den Pressesprecher der ukrainischen Streitkräfte, der Details zur Situation in Itschnja bekannt gab. Der staatliche Notrufdienst nahm eineinhalb Stunden später zur Lage am 6. Depot um 9.30 Uhr Stellung sagte unter anderem: „Etwa 88 000 Tonnen Munition bleiben in den Lagern.“ 112 Ukraine zitierte die Erklärung wörtlich, wobei die Zahl auch in der Überschrift zu lesen war.

Drei Minuten später postete das Verteidigungsministerium, es habe „Fake-News“ aufgedeckt, zahlreiche Nachrichtenagenturen, Onlineportale und „bestimmte TV-Kanäle (112 Ukraine)“ hätten unkorrekte Informationen über die Anzahl der im 6. Arsenal der Region Tschernihiw gelagerten Munition verbreitet. Mehrere Medien hatte diese aus offizieller Quelle stammende Information verbreitet, das Ministerium nannte einzig 112 Ukraine namentlich.

Etwas später erklärte ein Sprecher des Ministeriums, dass die Information über die Größe des Bestandes in dem Depot „vertraulich“ sei, aber er könne den Medien sagen, dass deren Angaben darüber etwa „um das Anderthalb- bis Zweifache daneben lagen“. Es dauerte nicht lange, dann wurde die Information über die Anzahl der Munitionsteile im Depot offiziell deklassifiziert.

Eine Entschuldigung an Journalisten dafür, dass die offiziellen Stellen sich offenbar nicht einig waren, ob und wann welche Information veröffentlicht werden dürfe, erfolgte bis heute nicht. Stattdessen beschwerte sich Verteidigungsminister Poltorak während der Kabinettssitzung am Tag nach dem Unglück, 112 Ukraine habe seine Informationen ignoriert – obwohl sich der Sender auf offizielle Informationen berief und in einer Livesendung am gleichen Vormittag Sprecher Senyk zu Wort kam. Warum das Ministerium trotzdem erfolglos versucht haben will, den Sender noch vor offiziellem Sendebeginn telefonisch zu erreichen, damit das Studio „das Thema nicht ohne offizielle Repräsentanten diskutiert“, blieb intransparent.

„Wir haben die Arbeit des Ministeriums getan“

Nichtsdestotrotz beschwerte sich Premierminister Wolodymyr Hrojsman über „Fake-News“ und wie diese zur Panikverbreitung beitrügen. Tatsächlich sollten sich, wie das Verteidigungsministerium nicht abstritt, am Ende Serhij Paschynsky, der Chef des parlamentarischen Ausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigung, sowie der Abgeordnete Igor Mosytschuk von der Radikalen Partei als die einzigen Urheber tatsächlicher Fake-Fotos erweisen. Diese wurden im Zusammenhang mit dem Vorfall verbreitet, um bestimmte Armeeoffiziere zu diskreditieren.

112 Ukraine betont, der erste Sender gewesen zu sein, der über den Vorfall berichtet hätte, um die Bevölkerung zu warnen. Auf diese Weise habe man exakt die Arbeit geleistet, die eigentlich das Verteidigungsministerium hätte machen müssen.

Man hoffe, dass die unterschwelligen und offenen Angriffe aus dem Apparat „nur ein unglücklicher Zufall und nicht Teil einer gezielten Kampagne“ des Verteidigungsministeriums gewesen wären. Dass der Sender bei einigen einflussreichen Politikern auf der Abschussliste steht, spricht jedoch eher nicht für eine unglückliche Verkettung von Umständen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion