101 Umbenennungen gefordert: Berlin-Studie zu antisemitisch belegten Straßennamen

Berlin arbeitet an der Änderung seiner Straßennamen. Ein Leipziger Politologe recherchierte ein halbes Jahr und präsentierte dann im Auftrag des Senats für Gleichstellung und Antisemitismus ein Dossier zu 290 Straßen und Plätzen in Berlin mit antisemitisch beanstandeten Namen wie Konrad Adenauer, Martin Luther oder Richard Wagner.
Titelbild
Die Konrad-Adenauer-Straße in Berlin-Tiergarten.Foto: Istockphoto
Von 16. Dezember 2021
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Die Berliner Regierung will künftig antisemitisch belegte Straßennamen ändern. Der Berliner Antisemitismusbeauftragte, Samuel Salzborn, legte ein Dossier über beanstandete Straßennamen in den zwölf Bezirken der Hauptstadt vor – als Ergebnis einer „umfassenden systematischen Recherche zu Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin“.

Salzborn sagte laut RBB: „Wir wollten eine systematische Grundlage für eine wichtige gesellschaftliche Diskussion schaffen.“ Für betroffene Anwohner von umzubenennenden Straßen hatte Salzborn den Tipp, dies nicht als Last anzusehen, sondern als Prozess politischer Bildung, denn auch Straßennamen unterlägen gesellschaftlichen Veränderungen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt, dass es laut Salzborn notwendig sei, das Thema um die antisemitischen Bezüge im Straßenbild der Hauptstadt zu erweitern und zu vertiefen. Eine Änderung im Berliner Straßengesetz ermögliche es, einzugreifen, wenn Namen nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung dem Ansehen Berlins schaden würde. Es sei ihm wichtig gewesen, dafür eine systematische Grundlage zu schaffen.

Berlin agiere hierbei ganz im Sinne des Deutschen Städtetages. Der habe festgestellt, Straßennamen seien „hohe Formen der Ehrung“, spiegelten aber immer auch den Zeitgeist wider. „Sie unterliegen dem gesellschaftlichen Diskurs“, sagte Salzborn. Deshalb tue man gut daran, regelmäßig zu prüfen, ob sie noch zeitgemäß seien.

Leipziger Politologe recherchierte 6 Monate

Erarbeitet wurde das 340-Seiten-Werk des Leipziger Politologen Felix Sassmannshausen, laut Linkedin Freier Journalist bei „Kreuzer“ (ehemals „Connewitzer Kreuzer“), einem der Leipziger Stadtmagazine. Dem Autor zufolge solle das Dossier, dessen Recherchen von Mai bis Oktober 2021 dauerten, als „Ausgangspunkt für die vertiefte Auseinandersetzung“ mit der Thematik zu verstehen sein.

Der Politologe gibt seine „Handlungsempfehlungen“ nach dem „Grad antijüdischer und antisemitischer Bezüge“ der Personen an. Demnach sei ein Autor, der im Mittelalter in einer Schrift ein antijüdisches Motiv aufgreife und unkritisch wiedergebe, anders einzuordnen als ein Mitglied der völkisch-antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei. Auch jemand, der sich zwar antisemitisch geäußert, aber dennoch gegen offene Formen des Antisemitismus Partei ergriffen habe, sei anders einzuordnen.

Sassmannshausen empfiehlt als niedrige Handlungsintensitäten (1) einen „Forschungs- bzw. Rechercheauftrag“, in Stufe (2) die „digitale Kontextualisierung“, die auf den jeweiligen online Straßenguides ergänzt werde, in Stufe (3) eine „Kontextualisierung vor Ort, etwa durch eine Tafel oder Plakette“, zusätzlich zur digitalen Kontextualisierung. In Stufe (4), der höchsten, heißt es „Umbenennung“.

Der Autor fand bei seinen Recherchen auch heraus, dass der größere Teil der beanstandeten Namen sich im Westen Berlins findet. Viele stammten demnach aus der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, sagte der Autor laut der „Süddeutschen Zeitung“.

Doch wer sind diese offenbar fraglichen Menschen, nach denen so manche Straßen und Plätze Berlins einst benannt wurden? Hier gibt das Dossier selbst Antwort.

Adenauer – Weitere Untersuchungen nötig

Die Auflistung fängt alphabetisch geordnet mit dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und hier als Erstes mit dem Adenauer-Platz an. Erklärt wird, dass Konrad Hermann Joseph Adenauer (1876-1967) ein konservativer Politiker, Mitbegründer der CDU und ab 1949 (bis 1963) der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war.

Mit Quellen belegt wird aufgeführt, dass Adenauer zur Zeit der Weimarer Republik für die Zentrumspartei in Köln Bürgermeister (1917-1933) wurde. Er habe sich um Distanz zur NSDAP bemüht, heißt es im Dossier. Als Bundeskanzler habe er jedoch ehemalige NS-Funktionäre in seiner Regierung um sich gesammelt.

Als Adenauer von 1951 bis 1955 zusätzlich Außenminister von Deutschland war, habe er sich intensiv für die deutsch-israelischen Beziehungen eingesetzt. „Es gibt verschiedene Hinweise auf antisemitische Ressentiments im Denken Adenauers, die sich auf ein Interview aus dem Jahr 1965 und auf Äußerungen Adenauers bei einem Treffen im Jahr 1954 beziehen“, schreibt der Leipziger Politologe.

Auch habe Adenauer während der antisemitischen „Schmierwelle“ Ende der 1950er-Jahre den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft bagatellisiert, so der Vorwurf. Fazit Dr. Sassmannshausen zu Adenauer: „Weitere Forschung, digitale Kontextualisierung“.

Laut „Welt“ habe ein Sprecher der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hierzu mitgeteilt, dass die Politik des Christdemokraten klar gegen Antisemitismus gerichtet gewesen sei und Adenauer als Oberbürgermeister von Köln jüdisches Leben in seiner Stadt gefördert habe.

Auch in Hinsicht von Adenauers Einsatz für die deutsch-israelischen Beziehungen habe der Sprecher gesagt, dass man es nicht nachvollziehen könne, dass in dem Dossier eine Verbindung von Konrad Adenauer zum Thema Antisemitismus gezogen werde.

Wagner und Luther: Zur „Umbenennung“ vorgeschlagen

Auch andere geschichtsträchtige Personen kamen nicht so gut weg. In 101 Fällen schlug der Leipziger Politologe die „Umbenennung“ von Straßen und Plätzen vor. Ein ganz klarer Fall für „Umbenennung“ ist nach Ansicht von Sassmannshausen der deutsche Dichter, Komponist und Schriftsteller Richard Wagner, der Werke wie „Der Ring der Nibelungen“ und „Tristan und Isolde“ schuf, um nur einige zu nennen.

Der Politologe zu Wagner: „Wagner war überzeugter Antisemit und Verfasser der antisemitischen Schrift ‚Das Judenthum in der Musik‘ (1850). Werk und Weltbild lassen sich u. a. deshalb nicht trennen.“

Sassmannhausens Wagner-Bann nimmt auch Straßennamen zur Umbenennung aufs Korn, weil sie nach Opern von Wagner benannt wurden, wie etwa die Rienzistraße, die Tannhäuserstraße und die Walkürenstraße in Berlin-Lichtenberg oder aber die Lohengrinstraße in Marzahn-Hellersdorf.

Dies geht so weit, dass auch Figuren aus Wagners Opern verbannt werden sollen, wenn es nach dem Leipziger Politologen geht. Die Stolzingstraße in Berlin-Reinickendorf wäre hier ein Kandidat, benannt nach einem jungen Ritter in „Die Meistersinger von Nürnberg“.

Weitere Kandidaten für Umbenennungen waren Straßen und Plätze, die in Zusammenhang mit dem Theologen und Reformator Martin Luther (1483-1546) stehen, wie die Martin-Luther-Straße in Reinickendorf oder Junker-Jörg-Straße in Berlin-Lichtenberg. Denn: „Martin Luther verfasste antijüdische Schriften und war prägend für die weite Verbreitung des christlich motivierten Antijudaismus.“

Auch der Pastor-Niemöller-Weg in Pankow wäre demnach zur Umbenennung fällig. Dem späteren NS-Widerstandskämpfer und KZ-Häftling wurde vorgeworfen, vor der Nazizeit Mitglied in der antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei „und aktiv im antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ gewesen zu sein.

„Bereits Mitte der 1920er war er nationalsozialistisch eingestellt, stand in den 1930ern dem Regime inhaltlich nahe und teilte offen antisemitische Ressentiments in seinen Predigten“, schreibt der Politologe. Pastor Niemöller habe lediglich nicht die Mittel der antisemitischen Verfolgung durch das NS-Regime geteilt, heißt es.

Vorwurf der antijüdischen Gedichte

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), Germanist und Dichter, ist Autor von „Das Lied der Deutschen“, dessen dritte Strophe den Text der Deutschen Nationalhymne bildet. „Die ersten beiden Strophen sind aufgrund ihres aggressiven Nationalismus und revanchistischen Gehalts nach dem NS verboten worden.“

Besagtes Lied wurde 1922 vom sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert erstmals zur Nationalhymne erklärt. Weitere Kritik an von Fallersleben im Dossier: Er habe antijüdische Gedichte verfasst. Als Beispiele werden ‚Emancipation‘ (1840), ‚Das Lied von Sandomir‘ (1842) und Prosa genannt, wobei Letzteres nicht näher erläutert wurde. Sassmannshausens „Urteil“: „Weiter Recherche, Kontextualisierung, gegebenenfalls Umbenennung.“

Hauptsächlich ist von Fallersleben vor allem durch seine 550 Kinderlieder heute bekannt. Am bekanntesten sind wohl „Alle Vögel sind schon da“, „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“, „Ein Männlein steht im Walde“ oder „Morgen kommt der Weihnachtsmann“.

Von Fallersleben war auch der Erfinder des Schlaraffenlandes, über das er ein Gedicht schrieb. Ob nun auch, wie im Falle Richard Wagners, Straßennamen im erweiterten Fall geändert werden sollen, bleibt ungewiss: der Kuckucksweg in Steglitz-Zehlendorf oder die Vogelweide und der Bienenweg in Spandau, weil von Fallersleben auch das berühmte Bienchenlied „Summ, summ, summ“ geschrieben hatte.

Berlin ändert Straßengesetze

In den Ausführungsvorschriften zu Paragraf 5 des Berliner Straßengesetzes (BerlStrG) wurde im Dezember 2020 „die Beseitigung von Straßennamen“ ermöglicht:

  • mit Bezug auf die Zeit von 1933 bis 1945, sofern die Straßen nach aktiven Gegnern der Demokratie und zugleich geistig-politischen Wegbereitern und Verfechtern der nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft oder aus politischen Gründen nach Orten, Sachen, Ereignissen, Organisationen, Symbolen oder Ähnlichem benannt wurden
  • mit Bezug auf die Zeit von 1945 bis 1989, sofern die Straßen nach aktiven Gegnern der Demokratie und zugleich geistig-politischen Wegbereitern und Verfechtern der stalinistischen Gewaltherrschaft, des DDR-Regimes und anderer kommunistischer Unrechtsregime oder aus politischen Gründen nach Orten, Sachen, Ereignissen, Organisationen, Symbolen oder Ähnlichem benannt wurden
  • mit Bezug auf die Zeit vor 1933, wenn diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen Berlins schaden würde
  • mit Bezug auf den Kolonialismus, sofern die Straßen nach Wegbereitern und Verfechtern von Kolonialismus, Sklaverei und rassistischimperialistischen Ideologien oder nach in diesem Zusammenhang stehenden Orten, Sachen, Ereignissen, Organisationen, Symbolen, Begriffen oder Ähnlichem benannt wurden



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