EU-Wahlen: FDP könnte Zwei-Prozent-Hürde schon für 2019 ermöglichen

Die Regierungskoalition in Berlin strebt bereits für die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament eine Sperrklausel für die Wahl der deutschen Abgeordneten an. Verpflichtend ist eine solche erst für 2024. Die FDP hat Verhandlungsbereitschaft signalisiert, mehrere Kleinstparteien wären betroffen.
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Vor der EU-Kommission in Brüssel.Foto: iStock
Von 30. September 2018

In der Zeit vom 23. bis zum 26. Mai 2019 werden in den EU-Mitgliedsländern wieder deren Abgeordnete zum Europäischen Parlament (EP) gewählt. In Deutschland ist dies einmal mehr ein Anlass, um die Modalitäten des Wahlrechts zu feilschen.

Der Grund: Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2011 die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde, wie man sie von Bundestagswahlen kennt, aufgehoben. Auch eine Drei-Prozent-Hürde fand keine Billigung in Karlsruhe. Die Rechtfertigung für dieses Konstrukt, das in Deutschland geschaffen wurde, um, wie es heißt, „Weimarer Verhältnisse“ mit zu vielen und kleinen Parteien im Parlament zu verhindern, greife mit Blick auf das Parlament in Straßburg nicht.

Da dessen gesetzgeberischen Befugnisse ebenso wie die Kontrollfunktionen gegenüber der Kommission überschaubar sind, sei es salopp gesagt einerlei, ob die eine oder andere Splittergruppe mehr oder weniger einen der üppig dotierten Versorgungsposten erringt. Eine Regierung hänge nicht permanent vom Vertrauen des EP ab.

Derzeit acht Kleinstparteien durch deutsche Abgeordnete vertreten

Dem Gesetzgeber war es nicht gelungen, bis zu den EU-Wahlen 2014 eine tragfähige Ersatzregelung zu schaffen. Die Folge war, dass die deutschen Abgeordneten ohne Sperrklausel gewählt werden konnten. Nicht nur die FDP, die nur auf 3,4 Prozent der Stimmen kann, konnte sich so erstmals seit 1994 wieder Mandate in Europäischen Parlament sichern. Auch die Familienpartei, die Freien Wähler, Martin Sonneborns PARTEI, die Piraten, die Tierschutzpartei, die ÖDP und die NPD konnten sich jeweils ein Mandat sichern.

Der Abgeordnete der Familienpartei wechselte später zu den Freien Wähler, infolge der Turbulenzen in der AfD ist diese nur noch durch Parteichef Jörg Meuthen vertreten, während die übrigen gewählten EU-Parlamentarier nun den Liberal-Konservativen Reformern (LKR) oder der „Blauen Partei“ angehören – oder parteilos sind wie die Abgeordneten, die jüngst auch die LKR im Streit verließen. Ob die LKR-Abtrünnigen ihrerseits eine neue Partei gründen werden, ist noch nicht abzusehen. Sollte dies der Fall sein, wäre damit eine neunte deutsche Kleinstpartei im EP vertreten. Die nur in Bayern kandidierende CSU kam zuletzt bundesweit nur noch auf 5,3 Prozent und würde nach derzeitiger Lage eine Fünf-Prozent-Hürde möglicherweise gar nicht mehr überschreiten.

Was die Einführung einer Sperrklausel für die Wahl der deutschen Abgeordneten zum EU-Parlament anbelangt, verkompliziert es die Sache nun ungemein, dass für eine gesetzliche Neuregelung eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag erforderlich ist. Union, SPD und Grüne, die einen neuen Anlauf auf der Basis einer Zwei-Prozent-Hürde anstreben, haben eine solche Mehrheit jedoch im Vorjahr verloren. Aus der AfD und der Linken, die eher die Gier nach Posten denn die Sorge um ein arbeitsfähiges EP für das Hauptmotiv hinter der geplanten Neuregelung halten, ist kaum Unterstützung zu erwarten.

EU-Richtlinie setzt Deutschland und Spanien unter Zugzwang

Nun hat Stefan Ruppert, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, gegenüber dem Portal „Telepolis“ auf Anfrage mitgeteilt, er halte eine Zwei-Prozent-Hürde für einen „guten Kompromiss“, um ein „arbeitsfähiges Europaparlament sicherzustellen“. Die Meinungsbildung dazu sei in der FDP-Fraktion jedoch noch nicht abgeschlossen.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält die Einführung einer Sperrklausel erst ab 2024 für möglich, weil eine im Juli auf Druck der Bundesregierung verabschiedete EU-Richtlinie eine solche erst für die dann beginnende Legislaturperiode fordert. Künftig sind Staaten mit mehr als 35 Sitzen im Parlament verpflichtet, eine Sperrklausel einzuführen, die zwischen zwei und fünf Prozent liegen soll. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die kleinen Parteien diesmal auch gegen eine Zwei-Prozent-Hürde wieder vor das Bundesverfassungsgericht ziehen würden.

Die EU-Richtlinie setzt Deutschland und Spanien unter Zugzwang. Während in Deutschland vor allem die derzeit im EP vertretenen Kleinstparteien von der Sperrklausel betroffen sein dürften, müssen in Spanien vor allem kleinere separatistische oder autonomistische Kräfte um ihre Vertretung bangen. Sie könnten deshalb auf die Option schielen, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angeregt hatte, nämlich transnationale Listen zu bilden.

Kein Rückhalt für transnationale Listen

Bereits im Februar 2018 wurde jedoch ein Bericht, der die Schaffung einer solchen Option empfahl, mit deutlicher Mehrheit im Europaparlament abgeschmettert. In den meisten Ländern ist der Widerstand gegen den damit verbundenen weiteren Souveränitätsverlust erheblich.

Zudem erscheint die Bildung einer EU-weiten Liste für Regionalisten als unrealistisch: Jenseits der Forderung nach mehr Autonomie wären die politischen Gemeinsamkeiten zwischen extrem linken Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland oder Nordirland und beispielsweise konservativen Gruppen wie der Südtiroler Volkspartei oder der Bayernpartei schnell erschöpft.

Ein Blick in die Geschichte: Die Bildung der Grünen

Mit Blick auf die jüngere Geschichte in Deutschland bekommt die Sperrklausel-Problematik ein gewisses Geschmäckle. Eine Zwei-Prozent-Klausel, verbunden mit der bereits auf niedrigerem Level ansetzenden Wahlkampfkostenrückerstattung, könnte den Weg öffnen, um über die Europa-Schiene neue Parteien zu etablieren. Ein Beispiel dafür war die Schaffung der Grünen – als parlamentarischer Schlussakkord zum gelungenen „Marsch durch die Institutionen“ vonseiten der 68er Bewegung.

Im Vorfeld hatten sich in der BRD unzählige K-Gruppen, Umweltgruppen, Studenten- und Antikriegsverbände gebildet, mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Jede der Gruppen war für sich selbst zu klein, um bei einer Wahl Erfolg zu haben. Der „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ schlug daher vor, an den Europa-Wahlen 1979 teilzunehmen, da dafür keine formelle Parteigründung notwendig war. In diesem Jahr bildete sich daraufhin die „Sonstige Politische Vereinigung (SPV)/Die Grünen“ mit einer eher bürgerlich-konservativen Ausrichtung, die Spitzenkandidaten waren Ex-CDU-Mann Herbert Gruhl, Petra Kelly und der Künstler Joseph Beuys.

Die Liste „SPV/Die Grünen“ gelangte nicht über die Fünf-Prozent-Hürde, kassierte aber anschließend 4,5 Millionen DM Wahlkampfkostenerstattung.

Das erste Parteivermögen war somit vorhanden, 1980 gründete sich daraufhin in Karlsruhe die Partei „Die Grünen“, 1983 zog sie erstmals in den Bundestag ein. Eine Sachverständigenkommission urteilt später:

Ein in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartiger Fall staatlich subventionierter Parteiengründung“.

 



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