Debatte über Rentenreform
Früh einzahlen - früher raus? Bas offen für Südekum-Modell zum Rentensystem
Nach der kontroversen Verabschiedung des Rentenpakets signalisiert die Bundesregierung Reformbereitschaft: Ein Vorschlag des Ökonomen Jens Südekum zur Kopplung des Rentenalters an die Zahl der Beitragsjahre rückt in den Fokus – begleitet von Zustimmung, Kritik und vielen offenen Fragen.

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas äußert Sympathien für das Südekum-Modell. (Archivfoto)
Foto: Kay Nietfeld/dpa
In Kürze:
- Die Koalition zeigt Reformwillen nach Verabschiedung des Rentenpakets.
- Ökonom Südekum schlägt eine Kopplung des Rentenalters an die Beitragsjahre vor.
- Ministerin Bas findet das Modell „spannend und gerechter“.
- Experten warnen vor neuen Ungleichheiten.
Nach der teilweise von Kritik aus den eigenen Reihen begleiteten Verabschiedung des Rentenpakets am Freitag, 5. Dezember, im Bundestag beabsichtigt die Koalition nun offenbar, ihren Reformwillen zu beweisen.
Zwar ist die Rentenkommission, die Vorschläge für eine umfassende Rentenreform ausarbeiten soll, noch nicht eingesetzt. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat jedoch schon anklingen lassen, dass die jüngste Idee des Ökonomen Jens Südekum Gegenstand ihrer Beratungen sein wird. Diese läuft auf eine deutliche Anhebung des Renteneintrittsalters hinaus.
Keine festen Alterszahlen nach dem Südekum-Modell mehr relevant
Südekum, der zum Beraterstab von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) gehört, hat eine Kopplung des Rentenalters an die Beitragsjahre gefordert. Gegenüber „BILD“ erklärte er, eine generelle Anhebung des Renteneintrittsalters, etwa auf 70 Jahre, sei falsch. Stattdessen sei die Lebensarbeitszeit die relevante Stellschraube:
„Besser ist es, den Renteneintritt nicht an eine starre Alterszahl zu koppeln, sondern an eine Mindestanzahl von Beitragsjahren.“
Da die Masse der Babyboomer jetzt erst ins Rentenalter eintrete, stehe die große finanzielle Belastung für das gesetzliche Rentensystem erst bevor. Ökonomen hatten deshalb – auch aufgrund steigender Lebenserwartung und immer ungünstiger werdender Demografie – tiefgreifende Reformen gefordert.
Eine Anhebung des Renteneintrittsalters würde die Bezugsdauer reduzieren und das System der gesetzlichen Rente damit entlasten. Zudem könnte eine Maßnahme dieser Art dazu beitragen, das Absinken des Rentenniveaus zu bremsen. Aufgrund des anhaltenden Geburtenrückgangs bei gleichzeitigem Anwachsen der Zahl der Rentenbezieher steigt der Druck auf die Rentenkassen immer stärker.
Bas: „Mutige Entscheidungen“ zur Sicherung des Rentensystems nötig
Rückenwind bekommt Südekum mittlerweile von Ministerin Bas selbst. Am Sonntag erklärte sie gegenüber der ARD, sie finde eine Kopplung des Renteneintritts an die Zahl der Beitragsjahre „spannend und auch gerechter“. Sie könne dem Vorschlag des Ökonomen viel abgewinnen.
„Wer früh einzahlt, kann dann auch früher gehen, und die, die erst später einzahlen, wissen, dass sie dann länger arbeiten müssen.“
Bas wies darauf hin, dass Akademiker erst deutlich später beginnen, in die Rentenkasse einzuzahlen, als junge Menschen, die schon mit 16 oder 18 Jahren dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Der Südekum-Vorstoß werde zweifellos auch in der Rentenkommission diskutiert, fügte sie hinzu.
Die Ministerin betonte, es werde erforderlich sein, „mutige“ Entscheidungen zu treffen. Es werde nicht ausreichen, „nur an zwei Schräubchen zu drehen“. Erforderlich sei im Bereich der gesetzlichen Rente vielmehr „ein ganz neues System“.
Der Südekum-Ansatz hätte zur Folge, dass jeder, der früher ins Berufsleben starte, auch früher aufhören könne. Wer später einsteige, wie es typischerweise bei Akademikern der Fall sei, müsse sich auch auf einen späteren Renteneintritt einstellen.
Fratzscher sieht „männliche, gut bezahlte Industriearbeiter“ durch Südekum-Modell bevorzugt
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, übte Kritik an dem Vorschlag. Es schaffe „neue Ungerechtigkeiten im Rentensystem“ und werde zu einer „stärkeren Umverteilung von Arm zu Reich und von Frauen zu Männern“ führen. Ähnlich wie bei der abschlagsfreien vorzeitigen Rente nach 45 Beitragsjahren profitierten vorwiegend „männliche, häufig gut bezahlte Industriearbeiter“ von der Regelung.
Die einst als „Rente mit 63“ bekannt gewordene Regelung zum vorzeitigen Renteneintritt sollte Personen dieser Gruppe ermöglichen, die lange Zeit körperlich anstrengende Arbeit verrichtet haben. Dies trifft in erster Linie auf diese Bevölkerungsgruppe zu.
Tatsächlich gebe es jedoch Bevölkerungsgruppen, die durch eine Regelung, wie Südekum sie vorschlägt, benachteiligt würden. Dies wären vor allem Personen ohne stabile Erwerbsbiografien – wie Mütter, pflegende Angehörige, Personen mit längeren Jahren der Erwerbslosigkeit oder gesundheitlichen Einschränkungen.
Kein Nachkauf von Beitragszeiten im deutschen Rentensystem vorgesehen
Anders als in Österreich gibt es im System der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung auch keine generelle Möglichkeit eines „Nachkaufs“ von Versicherungszeiten. Es gibt lediglich bei bestimmten Berufsgruppen wie Beamten, Soldaten oder Geistlichen eine Nachversicherungspflicht vonseiten des Arbeitgebers.
Nichtversicherte können hingegen lediglich freiwillige Beiträge während einer Zeit fehlender Versicherungspflicht leisten oder eine Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten geltend machen. Kindererziehungszeiten werden zwar teilweise angerechnet – was auch in Form der Verbesserung der Mütterrente im Rentenpaket behandelt wurde. Allerdings ist dies nicht im gleichen Umfang der Fall wie bei vollen Erwerbsjahren.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm unterstützt grundsätzlich die Forderung einer Kopplung des Renteneintrittsalters an eine längere Lebenserwartung. Sie erklärte gegenüber „BILD“:
„Alle, die fit genug sind, sollten länger arbeiten.“
Rentenexperte Bernd Raffelhüschen will es ebenfalls nicht bei der ausschließlichen Berücksichtigung der Beitragsjahre belassen. Dies schaffe weitere Ungleichheiten:
„Solange das Renteneintrittsalter nicht generell angehoben wird, hätten Akademiker ab 70 Jahren noch höhere Rentenansprüche, weil sie entsprechend länger eingezahlt haben – und in der Regel länger leben als etwa Handwerker.“
Eingriff in Lebensplanungen würde lange Übergangsphase nötig machen
Ein weiteres Problem bezüglich der Umstellung auf ein Beitragsjahre-System wäre auch der Vertrauensschutz nach Artikel 3 Grundgesetz. Dieser verbietet es, Regelungen zu schaffen, die gleichsam rückwirkend in tiefgreifender Weise in die Lebensplanung von Menschen eingreifen.
Dies wäre der Fall bei derzeit berufstätigen Akademikern, aber möglicherweise auch schon bei Personen, die sich derzeit im Studium befinden. Die Konsequenz wäre, dass das angestrebte System erst ab einem sehr späten Zeitpunkt greifen könnte und es lange Übergangsregelungen geben müsste.
Reinhard Werner schreibt für Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
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