Wie reagiert die Welt auf Russlands Teilmobilmachung

Im Westen stieß die angekündigte Teilmobilmachung der russischen Streitkräfte erwartungsgemäß auf scharfe Kritik. Chinas KP ruft zur Waffenruhe und zum „Dialog“ auf.
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Ein ausgebranntes Fahrzeug im Donbass. April 2022.Foto: RONALDO SCHEMIDT/AFP via Getty Images
Von 21. September 2022


Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, hat in einer Fernsehansprache am Dienstagabend, 20. September, die Teilmobilmachung männlicher russischer Staatsangehöriger in wehrfähigem Alter angeordnet. Verteidigungsminister Sergej Schoigu zufolge sollen bis zu 300.000 Reservisten Russlands Armee und separatistische Milizen im Süden und Osten der Ukraine verstärken. Wie es aus dem Kreml heißt, werden nicht alle Reservisten auf einmal eingesetzt. Außerdem ziehe man keine Rekruten oder Studenten ein. Vorrang bei der Mobilmachung hätten Personen mit militärischer Kampf- und Diensterfahrung, wie die „New York Post“ berichtet.

Referenden als weitere Konfliktkomponenten

Gleichzeitig bereiten die separatistischen Administrationen in den von Russland kontrollierten Gebieten der Regionen Luhansk, Cherson, Saporischschja und Donezk Referenden über eine staatsrechtliche Angliederung an die Russische Föderation vor.

Denis Miroschnitschenko, ein Sprecher der Verwaltung der Volksrepublik Lugansk, hatte russischen Medien zufolge am Dienstag als Zeitspanne für das Referendum über die Vereinigung mit Russland den 23. bis 27. September angekündigt. Wenig später kündigte auch sein Amtskollege aus Donezk, Denis Puschilin, ein solches Referendum im gleichen Zeitraum in der dortigen Volksrepublik an. Auch in den Gebieten Cherson und Saporoschje sollen zwischen dem 23. und 27. September Abstimmungen stattfinden.

Die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer sprechen jetzt schon von „Scheinreferenden“ und kündigen an, diesen die Anerkennung zu verweigern. Dennoch könnten die Abstimmungen, die voraussichtlich im Sinne der Russischen Föderation ausgehen werden, weitreichende Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Konflikts haben.

Zypern-Modell für Waffenruhe vom Tisch

Zum einen wäre die Tür zu einem möglichen Zypern-Modell im Rahmen eines Waffenstillstandes endgültig geschlossen. Dieses hätte späteren Generationen zumindest eine theoretische Möglichkeit erhalten, die von der Regierung in Kiew und die von Russland kontrollierten Gebiete wieder zu vereinen. In einigen Thinktanks wurde eine solche Option ins Spiel gebracht, um ein Ende der Kampfhandlungen zu erreichen.

Zum anderen würde Russland Angriffe der Ukraine auf das betreffende Territorium als Angriff auf das eigene Staatsgebiet betrachten. Damit würde aus der bisher noch „begrenzten Militäroperation“, von der in Moskau bis dato die Rede war, offiziell ein Krieg.

Der frühere Präsident und stellvertretende Chef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, erläuterte die Bedeutung der Referenden wie folgt: Sollten diese einen Beitritt zur Russischen Föderation befürworten, wären die veränderten Grenzen „unverrückbar“. Russland würde „alle Mittel“ ausschöpfen, um diese zu verteidigen.

Offen bleibt, inwieweit ein solches Szenario auch Beistandsverpflichtungen anderer Staaten der „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) nach sich ziehen würde. Diesem Verteidigungsbündnis, dessen Statuten jenen der NATO nachempfunden sind, gehören neben Russland noch Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan an.

Ukraine und Russland erhöhen den Einsatz

Unterdessen lassen Schritte beider Konfliktparteien ein weiteres Eskalationspotenzial befürchten. Die russische Staatsduma stimmte am Dienstag für eine Verschärfung der Gesetze gegen Desertion, Kapitulation und Plünderung durch russische Truppen. Dies deutet darauf hin, dass Russland sich auf einen langwierigen und möglicherweise verschärften Konflikt vorbereitet. Die Abgeordneten stimmten auch für die Einführung möglicher zehnjähriger Haftstrafen für Soldaten, die sich weigern zu kämpfen.

Die Führung der Ukraine drohte unterdessen Organisatoren und Teilnehmern an den Referenden in den Separatistengebieten Haftstrafen von bis zu fünf Jahren an. Zudem drohe die Beschlagnahmung von Eigentum, erklärte die ukrainische Vizepremierministerin Irina Wereschtschuk gegenüber dem Internetportal „strana.ua“.

Wereschtschuk forderte die Bewohner in den nicht von Kiew kontrollierten Regionen auf, sich an den Referenden nicht zu beteiligen – und diese Territorien nach Möglichkeit zu verlassen. Die ukrainische Regierung droht zudem eigenen Staatsangehörigen aus dem Osten des Landes mit bis zu 15 Jahren Haft für den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft. Dies soll künftig als „Hochverrat“ verfolgt werden.

Der Erhalt eines russischen Passes sei der geplanten Gesetzesnovelle zufolge nur noch dann gerechtfertigt, wenn die Person, die ihn erhalten habe, über Russland und Drittländer in die Ukraine zurückkehre.

Bundesregierung bleibt bei ihrer Position in Sachen Kampfpanzer

Die Bundesregierung wolle die Ukraine weiterhin „vollumfänglich unterstützen“. Allerdings habe sich die Haltung Berlins bezüglich der Lieferung westlicher Kampfpanzer und sonstiger potenzieller Angriffswaffen nicht geändert. Man wolle „die Ukraine ertüchtigen, sich zu verteidigen“, erklärte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Mittwoch in Berlin. „Aber es geht nicht darum, Waffen zu liefern, mit denen Russland angegriffen werden kann.“

Auch für eine Neueinschätzung der atomaren Bedrohungslage sehe man in der Teilmobilmachung noch keinen Anlass. „Wir haben derzeit keine Kenntnisse darüber, bekommen keine Nachrichten darüber, dass seitens Russlands die Bereitschaft der Nuklearkräfte hochgefahren würde“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums. Es gebe in diesem Bereich „kein neues Lagebild“.

Die Frage nach neuen westlichen Sanktionen infolge der angekündigten Referenden ließ Büchner ebenfalls vorerst unbeantwortet. „Wenn wir das Ergebnis kennen, können wir über weitere Dinge sprechen, aber nicht vorher“, hieß es von seiner Seite. Die Bundesregierung halte die Abstimmungen jedoch „selbstverständlich für einen völkerrechtswidrigen Akt“.

Selenskyj spricht weiter von Rückeroberung besetzter Gebiete

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sieht die Teilmobilmachung als Zeichen, dass die „Invasion“ der russischen Streitkräfte scheitert. „Noch so viele Drohungen und noch so viel Propaganda können die Tatsache nicht verhehlen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt“, so der Minister.

Die US-Botschafterin in Kiew, Bridget Brink, interpretiert den Schritt Moskaus ebenfalls als „Zeichen der Schwäche, des russischen Versagens“, wie sie am Mittwoch auf Twitter schrieb. Sie kündigte an, dass die Vereinigten Staaten der Ukraine „so lange wie nötig“ zur Seite stehen würden.

„Das ist alles Teil der Rhetorik, die wir kennen“, kommentierte wiederum der niederländische Premierminister Mark Rutte gegenüber dem Sender NOS die Ankündigungen des Kreml. „Ich würde dazu raten, ruhig zu bleiben.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte „allen Freunden und Partnern der Ukraine für die heutige massive und prinzipienfeste Verurteilung der russischen Versuche, neue Scheinreferenden zu veranstalten“. Gleichzeitig bezeichnete er diese als „Lärm“, der dennoch nichts an der Situation an der Front ändere. Diese zeige deutlich, „dass die Initiative bei der Ukraine liegt“. Es bleibe eine Verpflichtung der Ukraine, „die von den russischen Streitkräften besetzten Gebiete zurückzuerobern“.

Der prowestliche russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ließ am Mittwoch ein Video verbreiten, in dem er den Schritt Putins scharf verurteilt und erklärt: „Dies wird zu einer riesigen Tragödie führen, zu einer riesigen Anzahl von Toten.“ Über soziale Netzwerke lässt der seit 2021 nach einer Verurteilung wegen Finanzdelikten inhaftierte Nationalist Aufrufe zu Protesten in zahlreichen Städten verbreiten.

Vučić übt Kritik an Politik der Großmächte

Im Rahmen seines Auftritts vor der UN-Generalversammlung in New York äußerte sich Serbiens Präsident Aleksandar Vučić besorgt über die Entwicklungen. Die Welt nähere sich einem großen Konflikt, wie es ihn seit 1945 nicht mehr gegeben habe, warnte Vučić. „Wir sehen Krisen in allen Teilen der Welt.“

Großmächte hätten auf Kosten der UNO die bisherige Ordnung der vergangenen Jahrzehnte praktisch zerstört. Mit Blick auf die Ukraine gehe er davon aus, dass die Phase der militärischen Sonderoperation verlassen worden sei und ein großer bewaffneter Konflikt drohe:

Und jetzt stellt sich die Frage, wo die rote Linie liegt und ob wir in absehbarer Zeit – vielleicht sogar in ein oder zwei Monaten – in einen großen globalen Konflikt übergehen werden, den es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.“

Für kleine Nationen, die lediglich in Sicherheit existieren und ihren Bürgern Sicherheit bieten wollen, werde es keine guten oder angenehmen Entwicklungen geben, warnte Vučić. Stattdessen werden sich die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland, aber auch die zwischen dem Westen und China zunehmend verkomplizieren.

Europa tauscht Abhängigkeit von Russland gegen jene von China ein

Die kommunistische Führung in Peking versucht unterdessen weiter, eindeutige Parteinahmen zu vermeiden. Chinas KP-Regime rief russischen Medien zufolge alle Konfliktparteien in der Ukraine zu einem „Waffenstillstand und einer Regulierung im Rahmen eines Dialogs“ auf. Dies erklärte der offizielle Vertreter des chinesischen Außenministeriums Wang Wenbin in Reaktion auf die angekündigte Teilmobilmachung. Die Nachrichtenagentur TASS zitiert Wang mit den Worten:

Die Position Chinas hinsichtlich der Ukraine-Krise ist konsequent und klar. Wir rufen alle Seiten zu Dialog und Verhandlungen auf, um Kriegshandlungen zu beenden und Wege zur Regulierung der berechtigten Sicherheitssorgen aller Seiten zu finden.“

Der chinesische Diplomat hob außerdem hervor, dass die internationale Gemeinschaft geeignete Rahmenbedingungen für Verhandlungen schaffen müsse. Das Regime in Peking vermeidet politischen Beobachtern zufolge eindeutige Positionierungen im Ukraine-Krieg. Grund dafür sei die Aussicht, selbst perspektivisch geopolitischen Nutzen zu ziehen.

Mit dem Bruch des Westens und vor allem Europas mit Russland wird dessen Abhängigkeit von Peking als Handelspartner noch größer. Außerdem beherrscht China den Weltmarkt für Solarpanels und Teile für Windkraftanlagen. Die dominierende Stellung im Bereich der Seltenen Erden sorgt ebenfalls dafür, dass Europas Wechsel von fossiler zu erneuerbarer Energie die Abhängigkeit von Russland mindert – hingegen jene von China noch weiter ausbaut.

(Mit Material von dpa und dts)



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