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NKR schlägt „Deutschland-App“ vor

Normenkontrollrat: Bürokratie kostet Wirtschaft jährlich 64 Milliarden Euro

Formulare ausfüllen, Anträge stellen, Daten für Behörden bereitstellen – das gehören zum täglichen Brot der Unternehmer. Und geht ins Geld. Der Normenkontrollrat verlangt „Ambition, Mut und Kreativität“ beim Bürokratieabbau. Und striktere Maßnahmen der Regierung.

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Viele Branchen klagen über bürokratischen Aufwand.

Foto: Julian Stratenschulte/dpa

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Lesedauer: 6 Min.

Der Nationale Normenkontrollrat hat die Bundesregierung für ihre großen Ambitionen beim Bürokratieabbau gelobt. Gleichzeitig fordert der Rat die Koalition in seinem aktuellen Jahresbericht auf, Gesetzgebungsverfahren in Zukunft radikal anders anzugehen als bisher. Nur so komme man zu Gesetzen mit geringem bürokratischem Aufwand, die gut umzusetzen seien, schreibt der Vorsitzende, Lutz Goebel, im Vorwort des Berichts des unabhängigen Gremiums.
Künftig sollte es bereits in der „Frühphase“ grundsätzlich einen Praxis-Check mit Experten aus der Verwaltung, von Unternehmen und Betroffenen geben. „Vielleicht merkt man dabei auch, dass gar kein Gesetz nötig ist.“
Das unabhängige Beratungsgremium der Bundesregierung legte seinen Jahresbericht vor, in dem es „Ambition, Mut und Kreativität“ von den Ministerien bei dem Thema verlangt.
Der Bericht gibt an, dass die Bürokratiekosten für die Wirtschaft jährlich rund 64 Milliarden Euro betrügen. Diese Kosten entstünden durch Verpflichtungen der Unternehmen, Kennzeichnungen durchzuführen, Anträge zu stellen oder Daten für Behörden bereitzuhalten.
Zuvor hatte die Bundesregierung auf ihrer Kabinettsklausur eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung beschlossen, die rund 80 Maßnahmen für mehr Effizienz, Bürgernähe und Digitalisierung vorsieht.

NKR schlägt „Deutschland-App“ vor

NKR-Chef Lutz Goebel sagte, dass der Missmut über lähmende Bürokratie spürbar sei und zu Veränderungen in der Politik führe. Sein Team prüfte insgesamt über 300 Gesetzes- und Verordnungsentwürfe in der Zeit von Juli 2024 bis Juni 2025.

Vorstellung Jahresbericht Nationaler Normenkontrollrat zum Bürokratieabbau am 2. Oktober 2025.

Foto: via dts Nachrichtenagentur

Der Bericht richtet sich nicht nur an die aktuelle Regierung. Trotz erkennbarer Bemühungen und Verbesserungen unter der Vorgängerregierung seien die Folgekosten von Gesetzen und die Bürokratiekosten für die Wirtschaft nach wie vor deutlich zu hoch.
Seit 2011 seien knapp 167 Milliarden Euro an zusätzlichem Erfüllungsaufwand hinzugekommen. Allein in der dreieinhalbjährigen Amtszeit der Ampel-Regierung seien acht Milliarden Euro hinzugekommen – dies entspreche dem Gesamtzuwachs der zehn Jahre davor. Der NKR fordert, dass Gesetze „digitaltauglich“ sein müssen, um Prozesse effizienter zu gestalten und zu automatisieren.
Perspektivisch plädieren die Fachleute für die Einführung einer „Deutschland-App“ für alle Verwaltungsleistungen. Für Aufgaben der Länder könne die Bereitstellung von Leistungen über diese App freiwillig bleiben, für Aufgaben des Bundes sollte sie verpflichtend sein.

Neue EU-Richtlinien drohen

Zwischen Juli 2024 und Juli 2025 ging der Erfüllungsaufwand für Bürokratie-Vorschriften um rund 3,2 Milliarden Euro zurück. Für die Bürger sanken die bürokratiebedingten Kosten demnach im Jahresverlauf um 500 Millionen Euro. Die öffentliche Verwaltung wurde um 1,7 Milliarden Euro entlastet und die Wirtschaft um knapp eine Milliarde Euro.
„Der vermeintliche Abwärtstrend ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten“, sagte Goebel. Seit August 2025 seien bereits „mehrere sehr belastende Vorhaben beschlossen worden“, die Milliardenkosten für Unternehmen nach sich ziehen könnten.
Als Beispiele nannte er die Umsetzung der NIS2-Richtlinie für mehr Cybersicherheit oder die Umsetzung der CSR-Richtlinie für einheitlichere Nachhaltigkeitsberichterstattungen von Unternehmen. In beiden Fällen handelt es sich um EU-Rechtssetzung.

Doppelte Nachweispflicht

„In vielen Bereichen gibt es Doppelprüfungen“ – etwa wenn die gleichen Prüfungen zur Umweltverträglichkeit erst für den Bebauungsplan und dann noch einmal für die Baugenehmigung verlangt würden, klagt der Vorsitzende des Ausschusses Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein, Thomas Lüttgau.
Das Vergaberecht, das die Vorschriften bei der Vergabe öffentlicher Aufträge regelt, sei inzwischen so kompliziert, dass selbst für die Formulierung der Ausschreibung schon anwaltlicher Rat eingeholt werden müsse, sagt der Kölner Fachanwalt für Verwaltungsrecht.
Gesetze, die klar, verständlich und ohne innere Widersprüche sind, könnten aus seiner Sicht zwar helfen. Ohne einen Mentalitätswandel bei den Beamten vor Ort, die oftmals vor weitreichenden Entscheidungen zurückschreckten, werde man aber keine Trendwende erreichen, sagt Lüttgau.

Die Brüssler-Bürokratiewelle

Die stellvertretende Vorsitzende des Gremiums, Sabine Kuhlmann, forderte die Bundesregierung zur Intervention auf EU-Ebene auf, da ein großer Teil der zu erwarteten Kostenzuwäche auf EU-Recht zurückzuführen seien. „Wir sehen, dass neue Belastungen auf uns zurollen, vor allem durch EU-Rechtssetzung“, sagte Kuhlmann.
Kuhlmann sagt, gute Gesetzgebung benötige Zeit – etwa, um Vorhaben vor der Beratung im Kabinett auf ihre „Vollzugstauglichkeit“ hin zu prüfen. Das Kanzleramt müsse hier ein „Bollwerk gegen die Hektik“ in der Gesetzgebung sein und in Brüssel auf Bürokratieabbau drängen. In der neuen Legislaturperiode habe der Rat bei einem Viertel der Gesetzesvorhaben weniger als fünf Tage Zeit gehabt, um den jeweiligen Entwurf zu prüfen.
Der für das Thema zuständige Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) sagte bei der Vorstellung: „Der Bericht zeigt: Wir haben noch extrem viel zu tun.“ Er verwies auf die Beschlüsse der Kabinettsklausur von dieser Woche zum Bürokratieabbau, die nun umgesetzt würden.
Die Kabinettsbeschlüsse zur Modernisierungsagenda sehen unter anderem vor, die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 Prozent – also rund 16 Milliarden Euro – zu senken. NKR-Chef Goebel bezeichnete diese Zielmarke als „ambitioniert, aber erreichbar“. Der Bürokratieabbau sei dringend nötig. Er sehe „im Kern die Sorge, dass Deutschland nicht mehr vorankommt“.
Der Nationale Normenkontrollrat ist ein gesetzlich verankertes, unabhängiges Expertengremium, das die Bundesregierung berät. Er setzt sich für weniger Bürokratie, bessere Gesetze und eine digitale Verwaltung ein. Der Rat überprüft, welche Kosten neue Gesetze verursachen, ob praxistauglichere Alternativen bestehen und wie eine gute digitale Ausführung erreicht werden kann. (dts/afp/ks)

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