NZZ-Kommentar: Moralweltmeister Deutschland

Warum verteidigte Bundespräsident Walter Steinmeier die illegale Hafeneinfahrt von Kapitänin Carola Racketes? Andere amtierende Staatsmänner würden nicht einer "Gesinnungsethik den Vorzug vor einer Verantwortungsethik" geben, so NZZ-Chefredakteur Eric Gujer.
Titelbild
Frank-Walter Steinmeier.Foto: Guido Bergmann/German Government Press Office vis Getty Images
Epoch Times7. Juli 2019

In einem Kommentar der NZZ zeigt Chefredakteur Eric Gujer die Widersprüche in der Kritik von Bundespräsident Walter Steinmeier und die Gefährlichkeit seiner Haltung auf, das Verhalten der Kapitänin Carola Rackete öffentlich zu verteidigen. Steinmeier rechtfertigte öffentlich das Verhalten der Kapitänin der „Sea-Watch 3“, als sie mit 40 Migranten an Bord im Hafen der italienischen Insel Lampedusa einlief und sich damit über eine staatliche Anordnung hinwegsetzte.

Steinmeier äußerte:

Wir dürfen von einem Land wie Italien erwarten, dass es mit einem solchen Fall anders umgeht. Schliesslich ist Italien ein Gründungsmitglied der EU. (…) Wer Menschenleben rettet, kann kein Verbrecher sein.“

Doch warum verteidigt Steinmeier nicht die Aktivisten in Deutschland, die die Umwelt retten wollen, indem sie sich an Bäume anketten, wie beispielsweise im Hambacher Forst? Warum hört man nichts von Steinmeier in Bezug auf die Aktivisten, die den Braunkohletagebau Garzweiler besetzten? Auch in Bezug auf die Atomkraftgegner, die Gleise blockieren, um einen Atommülltransport aufzuhalten? Verstoßen sie nicht alle gegen Gesetze, um sich für etwas „Höheres“ einzusetzen, fragt Gujer.

Steht die Gesinnungsethik über der Verantwortungsethik?

Eric Gujer erinnert in seinem Kommentar, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Eilantrag der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch ablehnte, dem Schiff das Anlegen in Lampedusa zu gestatten. Begründet wurde dies damit, dass man völkerrechtlich keine Handhabe hätte, um einen Staat zur Öffnung seiner Häfen zu zwingen.

Für Gujer schreckten Steinmeiers Vorgänger auch wohlweislich davor zurück, Äußerungen zu tätigen, wie der Bundespräsident im Fall von Kapitänin Rackete, „weil sie genau wussten, wie leicht Idealismus in Selbstermächtigung umschlagen kann“. Andere amtierende Staatsmänner würden nicht einer „Gesinnungsethik den Vorzug vor einer Verantwortungsethik“ geben, so der Schweizer.

Denn hierin liegt die Gefahr, dass beispielsweise auf den Umweltschutz bezogen sich so „jeglicher Gesetzesverstoß im Namen der geschundenen Natur“ gegen die „Profitinteressen des Kapitals“ rechtfertigen ließe. Der Schweizer Autor deutet an, dass das Widerstandsrecht sicherlich seine Daseinsberechtigung hat. Es bedeutet den Einspruch des Individuums gegen den Staat.

Wollte Steinmeier den „hässlichen Rechtspopulisten Salvini“ demaskieren?

Mit gewaltlosen bzw. rechtsstaatlichen Mitteln ausgeübt, ist dieser Einspruch sicherlich legitim. Doch was ist, wenn Gewalt, Sachbeschädigung, Verletzung von Grundrechten mit im Spiel sind? In einer Diktatur, einem totalitären Regime, kann man dies vielleicht anders einordnen, diesen Eindruck erweckt der Kommentar. Italien ist allerdings ein funktionierender Rechtsstaat, erklärt Eric Gujer.

Und weist darauf hin: Was ist allerdings, wenn solches Verhalten zur Regel wird?

Würde dies nicht „den Kollaps der öffentlichen Ordnung herbeiführen“, so der NZZ-Chefredakteur. Aber vielleicht wollte Steinmeier „den hässlichen Rechtspopulisten Salvini demaskieren“ mutmaßt Gujer und hat sich deshalb dazu hinreißen lassen, das „Widerstandsrecht“, ein „Recht“, das dem Gewissen folgt, zu betonen. Und mutmaßt weiter, dass es vermutlich auch eine Rolle spielte, dass nicht deutsches, sondern italienisches Recht verletzt wurde.

Deutschland als Moralmeister

Für Gujer ist das Verhalten, das der Bundespräsident zeigte, in der neueren deutschen Geschichte nicht neu.

Sich als Moralweltmeister zu gerieren und über andere zu erhöhen, ist ein regelmäßig wiederkehrendes Feature der jüngeren deutschen Geschichte“, so Gujer.

Er führt dazu das Beispiel der Bundeswehr in Afghanistan auf, die „anfangs lieber Brunnen baute, als zu kämpfen“. Damit soll Deutschland seinen Pazifismus gegen die angeblich moralisch minderwertigen amerikanischen Kampfmaschinen, von denen sich die Bundeswehr aber im Zweifelsfall gerne beschützen ließe, beweisen, so der NZZ-Chefredakteur.

Welche Heuchlerei in den Augen Gujer mit der Haltung Deutschlands noch verbunden ist, zeigt der NZZ-Chefredakteur am Beispiel der Nicht-Grenzschließung im Herbst 2015 auf. Damals „als Berlin ohne europäische Konsultation knapp einer Million Menschen die unkontrollierte Einreise gestattete“, hätte man die „Willkommenskultur“ zu der für alle Europäer gültigen Moral erhoben und von den EU-Partnern verlangt, „Deutschland gefälligst Flüchtlinge abzunehmen“.

Auch Deutschlands Haltung in der letzten Finanzkrise während des Massenmigration, wo es auf die unbedingte Einhaltung europäischer Regeln pochte, aber dann wenig später sie „großzügig zur Disposition stellte“, führt Gujer in diesem Zusammenhang auf.

„Hässlicher Deutscher hält immer eine gesinnungsethische Lektion bereit“

Und auch eine heuchlerische Doppelmoral der deutschen Regierung in Bezug auf ihre Flüchtlingspolitik zeigt Gujer auf. Deutschland hätte mit seiner Flüchtlingspolitik den Anstoss zu einer „präzedenzlosen Abschottung Europas“ gegeben, so der Schweizer.

Dabei nennt er auch Kanzlerin Angela Merkels „faustischen Pakt mit Recep Tayyip Erdogan“, durch den übrigens mit Millionen von Euro an Staatsgeldern das Einwandern von Migranten über die Türkei oder Griechenland nach Europa verhindert wird. Aber eine deutsche Kapitänin, die „Geflüchtete“ im Mittelmeer aufnimmt und widerrechtlich in einen italienischen Hafen einläuft, wird verteidigt.

Für den Schweizer Journalisten „trägt der hässliche Deutsche damit nicht mehr Stahlhelm und Wehrmachtsuniform“, sondern „er hält stattdessen in allen Lebenslagen eine gesinnungsethische Lektion bereit“. (er)



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