Vorzeitiger Almabtrieb: Schäfer ziehen Reißleine zum Schutz vor Wolf und Bär

In Tirol haben einige Viehbauern die Almsaison beendet, bevor sie richtig begonnen hat. Nach nur knapp zwei Wochen holten sie ihre Herden von der Alm – beziehungsweise das, was noch davon übrig war.
Titelbild
Eigentlich sollten sich die Schafe auf ihrer Sommerweide hoch oben auf der Alm erfreuen. Für einige war es nur ein kurzer Ausflug, andere bezahlten mit ihrem Leben. (Symbolbild.)Foto: iStock
Von 28. Mai 2023

Ratlosigkeit zum Auftakt der Almsaison in Österreich. Gerissene Schafkadaver machen in den Medien die Runde.  Die Tiere auf die Alm zu bringen, sei derzeit wie „Russisch Roulette“, beschreibt Stefan Brugger die Lage. Er ist Obmann des Vereins „Weidezone Tirol“, einem Zusammenschluss von Tausenden Schafbauern im ganzen Land.

In der vergangenen Woche war die rote Linie des Erträglichen für einige Viehbauern deutlich überschritten. Im Ötztal wurden nur knapp zwei Wochen nach dem Almauftrieb neun tote Schafe aufgefunden. Laut Amtstierarzt fielen sie einem Wolf zum Opfer, so Brugger.

Auch in Weißenbach im Schwarzwassergebiet schlugen die Wellen hoch. Hier waren über 500 Schafe zu Monatsbeginn auf die Alm getrieben worden. 14 wurden getötet, zwei schwer verletzt. Zudem gab es 20 vermisste Tiere. Allerdings wurde hier als Übeltäter neben dem Wolf auch ein Bär identifiziert, wie die „Tiroler Tageszeitung“ berichtete. An einem Kadaver konnten Spuren beider Tiere gesichert werden, erklärt der Obmann.

Nach dem Vorfall kamen etwa 50 Schafhalter zu dem Schluss, dass die rund 750 Tiere schnellstens aus dem Wald und nach Hause gebracht werden müssten. Doch ganz so einfach war das nicht. Denn es galt, Transportmittel zu organisieren, um die Schafe nach dem Abtrieb zu ihrem Bestimmungsort zu bringen, was die Schäfer vor ein weiteres Problem stellte.

Wohin mit den Tieren?

Dass die Tiere den Sommer auf ihren heimatlichen Weiden verbringen, scheint ein logischer Schluss, ist jedoch nicht umsetzbar. Die Tiere haben sich über die Jahrzehnte daran angepasst, dass sie den Sommer auf den Hochweiden verbringen, erklärt Michael Bacher, Obmann des Tiroler Schafzuchtverbands. Dort seien die Temperaturen erträglicher als im Tal.

Zudem drohe den Tieren im Tal Parasitenbefall. Man könnte die Schafe zwar scheren, aber dann bekämen sie einen Sonnenbrand, heißt es von Schäfern. Außerdem braucht man die Heimweide als Futtergrundlage für die Wintermonate.

Laut Brugger wurden etwa 300 Schafe quer durch Tirol gekarrt, bevor sie ihr Ziel erreichten. Nach seiner Aussage spielen einige Schafhalter mit dem Gedanken, ihre Berufung an den Nagel zu hängen, andere wollen ihre Herde verkleinern. Denn die Risse haben auch bei den Bauern tiefe Spuren hinterlassen.  Es sei, „als ob man einen ganzen Winter lang die Schafe nur aufgepäppelt habe, um sie nun Wolf und Bär vorzusetzen“, schreibt die „Tiroler Tageszeitung“.

Zum Abschuss freigegeben

Um sogenannten Schadwölfen Einhalt zu gebieten, werden Abschussverordnungen erlassen, die jeweils acht Wochen gelten. In Osttirol und im Ötztal wurde je ein Schadwolf in der vergangenen Woche freigegeben – in Osttirol für 39 Jagdgebiete, im Ötztal für 45.

In der Ötztaler Gemeinde Umhausen gibt es noch einen zusätzlichen Anreiz, eine Art Kopfgeldprämie auf den Wolf. „Jenem Revier im Gemeindegebiet von Umhausen […], das aufgrund eines vom Land Tirol erlassenen Abschussbescheids einen Wolf/Bär erlegt, wird seitens der Gemeinde Umhausen die Hälfte der heurigen Jagdpacht refundiert“, gab der Umhauser Bürgermeister Jakob Wolf bekannt.

Wie auf der Website der Tiroler Volkspartei zu lesen ist, gilt: „Entnommen werden können Schadtiere, die fachgerechte Herdenschutzzäune überwinden oder auf nicht schützbaren Almen mehr als einmal Nutztiere reißen oder bei einem Riss mindestens fünf Schafe töten oder verletzen.“ Aber der Partei gehen die Verordnungen nicht weit genug. Sie sieht die Europäische Union in der Pflicht. Landeshauptmann Anton Mattle fordert die Anpassung der seit 30 Jahren geltenden Richtlinie für Fauna-Flora-Habitate an die aktuelle Situation.

„Nachdem die Probleme mit Großraubtieren in Tirol und dem gesamten Alpenraum in den vergangenen Jahren exponentiell gestiegen sind, fordere ich die EU dazu auf, hier entschlossen zu handeln und die Probleme der Menschen ernst zu nehmen!“, so Mattle.

Längst beträfen die Auswirkungen nicht mehr nur die Bauern. Wenn die Schafhalter keine Tiere mehr auf die Almen treiben, werden diese unzugänglich und verwildern. „Wenn unsere Almen nicht mehr beweidet werden können, leidet nicht nur die Landwirtschaft darunter, sondern auch der Tourismus und die Freizeitwirtschaft. Vielen ist noch immer nicht klar, was für uns alle auf dem Spiel steht“, so Tirols Landwirtschaftskammer-Präsident und Nationalrat Josef Hechenberger.



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