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Auf Bebauungsplan könnte verzichtet werden

Kabinett beschließt Gesetzentwurf für „Wohnungsbau-Turbo“

Bauen im Außenbereich, ohne Bebauungsplan – unter bestimmten Bedingungen wird das künftig bis 2030 möglich sein. Die Planungs- und Genehmigungsphase von Bauprojekten wird mit einem „Bauturbo“-Gesetzentwurf beschleunigt.

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Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (r) und Bauministerin Verena Hubertz bei der wöchentlichen Kabinettssitzung am 18. Juni 2025 in Berlin.

Foto: Nadja Wohlleben/Getty Images

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Lesedauer: 6 Min.

Die Planungs- und Genehmigungsphase von Bauprojekten in Deutschland soll deutlich kürzer werden: Statt bis zu fünf Jahren für ein Bauplanverfahren sollen für Bauvorhaben künftig nur noch zwei Monate nötig sein.
Das Kabinett beschloss am Mittwoch den Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung. „Wir zünden heute den Bauturbo“, sagte Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD).

Auf Bebauungsplan könnte verzichtet werden

Laut dem Gesetzentwurf können Städte und Gemeinden künftig von den bisher geltenden Vorschriften des Planungsrechts abweichen – sie können zum Beispiel ganz auf einen Bebauungsplan verzichten.
Aktuell dauert ein Bebauungsplanverfahren einer großen deutschen Stadt laut Bundesbauministerium im Schnitt fünf Jahre. Mit dem geplanten Gesetz könne die Bauaufsichtsbehörde ein Bauvorhaben auch ohne Bebauungsplan zulassen, wenn die Gemeinde die Zustimmung erteilt – dafür habe die Kommune zwei Monate Zeit, erklärte das Ministerium.
Voraussetzung ist laut Bundesbauministerium, dass die Abweichung mit den Interessen der Allgemeinheit vereinbar ist und dass entweder ein Wohngebäude errichtet wird oder ein Gebäude für neuen Wohnraum erweitert, geändert oder erneuert wird. Die Regelungen gelten demnach auch für soziale und kulturelle Einrichtungen wie Kitas oder Theater.

Lars Klingbeil und Verena Hubertz stellen den „Bau-Turbo“ vor.

Foto: via dts Nachrichtenagentur

Die Regelung soll bis 31. Dezember 2030 befristet sein. Eine Abweichung von Bauleitplänen soll zudem nur dann möglich sein, wenn sie „nach überschlägiger Prüfung“ keine zusätzlichen „erheblichen“ Umweltauswirkungen hat. Nachbarschaftliche Interessen müssen „gewürdigt“ werden.

Bauen im Außenbereich möglich

Das geplante Gesetz sieht weitere Regelungen vor, um schnell mehr Wohnraum zu schaffen. So soll die Nachverdichtung einfacher werden, indem Kommunen in zusammenhängend bebauten Ortsteilen von städtebaulichen Regelungen abweichen dürfen, um Gebäude aufzustocken oder Lücken zu schließen.
In Außenbereichen soll künftig „im räumlichen Zusammenhang mit bestehenden Siedlungen“ gebaut werden dürfen. Schließlich sollen Gemeinden von Immissionsgrenzwerten abweichen dürfen, etwa um Wohnungen näher als bisher an Gewerbegebieten bauen zu können.
Hubertz betonte, mit dem geplanten Gesetz werde auch der Umwandlungsschutz für Mieter um fünf Jahre verlängert. Er gilt in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt und soll Mieter schützen, aus ihrem gewohnten Lebensumfeld verdrängt zu werden, indem ihre Wohnung zu einer Eigentumswohnung umgewandelt wird.

Gesetz soll ab Herbst gelten

Der Gesetzentwurf soll nach den nötigen Beratungen im Bundestag laut Ministerium bereits im Herbst dieses Jahr in Kraft treten.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) sagte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Hubertz, die Regierung werde auch „massiv“ in den Bau neuer Wohnungen investieren.
Er werde in der kommenden Woche dem Kabinett den Haushaltsentwurf für dieses Jahr und die Einrichtung des Sondervermögens von 500 Milliarden Euro vorlegen. Darin würden „Spielräume“ dafür geschaffen, „dass in unserem Land mehr gebaut wird“.
Auf die Frage, warum der von ihrer Vorgängerin Klara Geywitz (SPD) angekündigte Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr nicht realisiert wurde, verwies Hubertz am Mittwoch auf „Krieg, Krise und hohe Zinsen“. Hinter den Wolken würden aktuell aber „langsam erste Sonnenstrahlen hervorkommen“. Sie könne „auf vieles aufsetzen“, was im Bauministerium in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht worden sei.
Sie wolle sich „in einer Zeit, die dynamisch ist“, nicht auf eine Zahl festlegen, sagte Hubertz. Ihren Erfolg wolle sie daran messen, „ob bezahlbarer Wohnraum entstanden ist“.
Mit Blick auf die aktuelle Lage sprach Hubertz von „ersten Sonnenstrahlen hinter den Wolken“. Die Zahl der Baugenehmigungen stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im April weiter – in den ersten vier Monaten wurden demnach knapp 74.000 Wohnungen genehmigt, 3,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Industrie: Baukosten sind der eigentliche Hebel

Die aktuellen Baugenehmigungen entsprächen allerdings weniger als 250.000 neuen Wohnungen pro Jahr, erklärte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
„Um eine Entlastung am Wohnungsmarkt zu sehen, sind aber über mehrere Jahre mindestens 350.000 neue Wohnungen notwendig.“
Die Bauindustrie wertete den Kabinettsbeschluss zur Beschleunigung des Wohnungsbaus als „erstes starkes Signal“. Er mahnte, dass damit die Kommunen in der Verantwortung stünden.
Eigentlicher Hebel für mehr Bezahlbarkeit am Wohnungsmarkt seien die Baukosten. Um sie zu reduzieren, müssen die 16 Landesbauverordnungen harmonisiert, die Anforderungen an die Gebäude reduziert und das Vergaberecht flexibilisiert werden. Auch der Zentralverband Deutsches Baugewerbe forderte einen „zweiten Turbo für einfacheres, kostengünstiges und standardisiertes Bauen“.
In einer am Mittwoch veröffentlichten Studie für acht Bau- und Wohnungsverbände heißt es außerdem, neuer Wohnraum brauche mehr Fläche. Aktuell würden knapp vier Prozent der Landesfläche für den Bausektor in Anspruch genommen.
Die Studienautoren fordern eine „ehrliche Diskussion über Zielkonflikte zwischen Wohnraumbedarf, ökologischen Zielen und der Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land“. Flächensparen dürfe nicht zur Wohnraumverknappung führen.
(afp/dpa/red)

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