Kapitalismuskritik im Faktencheck

Dem Kapitalismus wird zunehmend die Verantwortung für alles Ungemach dieser Welt zugeschoben – zu Unrecht. Prof. Stefan Kooths widmet sich in einer Rezension Rainer Zitelmanns neuem Buch „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten – Zur Kritik der Kapitalismuskritik“.
Kritik am Kapitalismus im Faktencheck
Eine Gruppe von Demonstranten.Foto: iStock
Von 19. August 2022

Der sozialistische Gesellschaftsentwurf ist mit großem Getöse gescheitert. Schon vor 100 Jahren hatte Ludwig von Mises mit seinem Unmöglichkeitstheorem der sozialistischen Wirtschaftsrechnung das theoretische Fundament zertrümmert. Friedrich A. von Hayek hat diese Trümmer später weiter zermalmt.

Trotzdem wurden rund um den Erdball Dutzende Großversuche unternommen, bei denen zwischenzeitlich über ein Drittel der Weltbevölkerung unter ein sozialistisches Gesellschaftssystem gezwungen wurde. Bekanntermaßen ist keines davon gut gegangen. Das wissen auch diejenigen, die heute noch sozialistischen Träumen anhängen. Daher ist es um die offensive Propaganda für den Sozialismus ruhiger geworden.

Stattdessen haben sich seine Fürstreiter auf die Kapitalismuskritik verlegt: Wenn schon der sozialistische Traum nicht mehr zum Glänzen zu bringen ist, dann soll umso heftiger der kapitalistische Gegenentwurf diskreditiert werden.

Agitation folgt einfachem Grundprinzip

Diese Form der Agitation folgt einem einfachen Grundprinzip, das aus dem Untergang des real existierenden Sozialismus kurzerhand eine propagandistische Tugend macht: Weil der Sozialismus als umfassendes Gesellschaftsmodell ausgedient hat, kann er auch für keine fortbestehenden Missstände verantwortlich gemacht werden.

Stattdessen wird unversehens die Verantwortung für alles Ungemach dieser Welt nun dem Kapitalismus zugeschoben, hat dieser doch den real existierenden Sozialismus überlebt. Das ist zwar primitiv (vom Kapitalismus in Reinform ist die Welt meilenweit entfernt), dafür verfängt es aber umso mehr.

An dieser Stelle setzt Rainer Zitelmann an, indem er sich im Hauptteil seines Buches mit den zehn gängigsten antikapitalistischen Thesen sachlich und kenntnisreich auseinandersetzt (in Kurzform: Kapitalismus führt zu/verstärkt … Armut, Ungleichheit, Umweltzerstörung, Wirtschaftskrisen, Lobbyeinfluss, Monopolmacht, Unmenschlichkeit, Konsumterror, Krieg und Faschismus). Jede dieser Thesen wird auf etwa 20 Seiten behandelt.

Kapitel für Kapitel kommen einschlägige Wissenschaftler zu Wort, und es wimmelt an historischen Beispielen und aktuellen Bezügen. Antikapitalisten werden nicht vorgeführt, sondern der Autor schlüpft in die Rolle eines geduldigen und unaufgeregten Erklärers, der gleichwohl messerscharf argumentiert. Langeweile kommt an keiner Stelle auf, das Buch ist spannend geschrieben und flüssig zu lesen.

Sozialistische Experimente und ihre inhumane Realität

Dem sozialistischen Kontrastprogramm ist ein eigener kurzer Teil gewidmet, in dem der Historiker Zitelmann einen gekonnten Abriss der bedeutendsten sozialistischen Regime liefert. Zu Recht beleuchtet er dabei die maßlose Brutalität, mit der die jeweiligen Parteieliten ihre Machtansprüche gegenüber der Bevölkerung durchgesetzt hatten und die sich wie ein roter Faden (man könnte auch sagen: wie eine Blutspur) durch die Epoche der sozialistischen Experimente zieht. Gerade durch die kompakte Darstellung entsteht so ein erhellender Kontrast zwischen sozialistischer Heilsverheißung und ihrer inhumanen Realität.

Den Soziologen Zitelmann zeichnet aus, dass er sich – wo immer möglich – auf empirische Befunde stützt. So auch in diesem Buch, für dessen dritten Teil er im vergangenen Jahr von etablierten Meinungsforschungsinstituten Umfragen hat durchführen lassen, um in 14 Ländern die Einstellungen der Menschen zum Kapitalismus zu ergründen. Die (allesamt hochinteressanten) Ergebnisse für die deutschsprachigen Länder werden ausführlicher dargestellt, aber auch über die Länder aus den wichtigsten übrigen Weltregionen wird berichtet.

Dass er die umfangreichen Datensätze (die mittlerweile um weitere Länder ausgebaut wurden) der weiteren Forschung zur Verfügung stellt, lässt demnächst weitere interessante Einblicke erwarten, warum sich antikapitalistische Ressentiments so hartnäckig halten bzw. immer wieder erneuern.

Schließlich enthält das Buch auch die gelungene deutsche Übersetzung eines äußerst lesenswerten Essays des chinesischen Wirtschaftsprofessors Weiying Zhang („Marktwirtschaft und allgemeiner Wohlstand“), einem prominenten Vertreter des freiheitlich-kapitalistischen Denkens in China, das dort unter Xi Jinping schon wieder auf dem Rückzug ist.

Vielleicht braucht es gerade einen solchen Hintergrund, um zu Einsichten wie dieser zu gelangen: „Unzählige Menschen sind ins Gefängnis gekommen und haben sogar mit ihrem Leben bezahlt, weil sie die Planwirtschaft kritisiert haben. Doch noch nie ist jemand in Schwierigkeiten geraten, weil er die Marktwirtschaft [= den Kapitalismus] kritisiert hat. Auch in dieser Hinsicht ist die Marktwirtschaft eine echte Wohltat, die wir wertschätzen sollten.“

Das Scheitern des sozialistischen Denkens

Rainer Zitelmanns neuestes Buch spielt in einer Liga mit „Fools, Frauds and Firebrands“ (Roger Scruton) und „Socialism – The Failed Idea That Never Dies“ (Kristian Niemietz), deren deutsche Ausgaben ebenfalls im FinanzBuch Verlag erschienen sind. Die drei Werke ergänzen einander perfekt.

Während Scruton die Idole des linken Denkens behandelt und ihre intellektuellen Fehlleistungen entlarvt, zeichnet Niemietz das Versagen des Sozialismus anhand der prominentesten Länderbeispiele nach. Zitelmanns Kritik der linken Kapitalismuskritik komplettiert nun diesen Reigen in thematischer Weise. Wer sein „Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ kennt, wird manches wiederfinden, aber auch viel Neues entdecken.

All diese Werke zeichnen das Scheitern des sozialistischen Denkens und seiner praktischen Umsetzung inklusive der antikapitalistischen Vorurteile in vorzüglicher Weise nach. Mit diesem Hintergrund wird die Lektüre von „Die Gemeinwirtschaft – Untersuchungen über den Sozialismus“ zu einem umso faszinierenderen Unterfangen, mit dem Mises (ohne die späteren Erfahrungen kennen zu können) vor genau 100 Jahren die wohl beste sozialwissenschaftliche Mustervorhersage aller Zeiten vorgelegt hatte.

Über den Autor:

Stefan Kooths ist Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum im Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School in Berlin/Hamburg. Er ist Vorsitzender der Friedrich August v. Hayek-Gesellschaft, Mitglied der Mont Pèlerin Society, gehört dem Präsidium des Internationalen Wirtschaftssenats (IWS) an und sitzt im Akademischen Beirat des Liberalen Instituts (Zürich).

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website des Ludwig von Mises Institut Deutschland

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 57, vom 13. August 2022.



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