„Heul doch, Griechenland“: Erdoğan erweitert türkischen Festlandsockel in Abkommen mit Libyen

Nach Jahren vermeintlicher Entspannung im Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland sorgt ein Festlandsockel-Abkommen zwischen Ankara und Libyen für böses Blut. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan weitet damit seine Einflusszone im östlichen Mittelmeer aus.
Titelbild
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am 4. Dezember 2019 – vor dem NATO-Gipfel – im Grove Hotel in Watford, England.Foto: Chris J Ratcliffe/Getty Images
Von 10. Dezember 2019

Der Festlandsockel der Türkei im Mittelmeer umfasst ein Gebiet von 462 000 Quadratkilometern unterhalb des Meeresspiegels, und dieses erstreckt sich im östlichen Mittelmeer zwischen Zypern und den griechischen Inseln über die halbe Strecke zur Küste Nordafrikas. Dies geht aus dem Abkommen mit dem Titel „Restriktionen in der Seerechtsjurisdiktion“ hervor, das der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bereits am 27. November in Istanbul mit Fayiz as-Sarradsch ausgehandelt hat, dem Vorsitzenden des Präsidentenrates von Libyen.

Von den drei großen Machtblöcken, die in Libyen zurzeit den Anspruch erheben, die legitime Regierung zu sein, repräsentiert as-Sarradsch den international anerkannten, und dieser Umstand stärkt Erdoğan zusätzlich den Rücken. Die „Hürriyet“ dokumentiert die nunmehrige Ausdehnung des Festlandsockels, wie Ankara sie definiert und der führende Geschäftsträger des Außenministeriums, Çağatay Erciyes, sie auf der Basis des Abkommens mit Libyen am 2. Dezember vorgestellt hat.

Vereinbarungen zum Grenzschutz als Teil der Vereinbarung

Der Festlandsockel gehört völkerrechtlich nicht zum Staatsgebiet des Küstenstaates und geht über die Ausschließliche Wirtschaftszone von 200 Meilen vor der Küste des jeweiligen Landes hinaus. Der Küstenstaat beansprucht aber kraft des Internationalen Seerechtsübereinkommens über die gesamte Reichweite seines Festlandsockels hinaus souveräne Rechte zu Erforschung und Nutzung seiner natürlichen Ressourcen.

Insbesondere nimmt der entsprechende Staat für sich in Anspruch, andere Staaten an einer Erforschung und Ausbeutung der Bodenschätze seines Festlandsockels ohne seine Zustimmung zu hindern. Mit dieser Problematik steht beispielsweise auch die aggressive Politik der VR China im Südchinesischen Meer im Zusammenhang.

Auf den ersten Blick erscheint ein Abkommen zwischen Mittelmeer-Anrainerstaaten über Sicherheit und militärische Kooperation nicht als ungewöhnlich. Auch die EU hat mit der international anerkannten Regierung Libyens Vereinbarungen geschlossen, etwa über die Rückführung von „Seenot“-Flüchtlingen, die von der libyschen Küstenwache aufgegriffen werden, zurück nach Afrika.

Eine ähnliche Lösung könnten nun auch die Türkei als Nicht-EU-Staat und die anerkannte libysche Regierung treffen – was in weiterer Folge auch im griechischen und im Interesse der EU wäre. Immerhin ließen sich auf diese Weise Migranten, die versuchen, über das Mittelmeer illegal in die Türkei und anschließend weiter nach Griechenland zu gelangen, von der Balkanroute fernhalten.

Künstliche Seegrenze geschaffen

Tatsächlich enthält das Abkommen jetzt schon Vereinbarungen zur Grenzsicherung – im Gegenzug liefert die Türkei Waffen an die libysche Regierung. Diese muss sich nicht nur islamistischer Terrorgruppen erwehren, die versuchen, in dem teilweise von Anarchie geprägten Land Fuß zu fassen. Ihre Autorität wird auch von einem der Erzfeinde Erdoğans angefochten, dem früheren Armeegeneral Khalifa Haftar, der die Rückendeckung der Russischen Föderation, aber auch Ägyptens, der Saudis und der Vereinigten Arabischen Emirate genießt.

Das Problem an der nunmehrigen Vereinbarung, die zwischen zwei Staaten, die keine natürliche Seegrenze miteinander aufweisen, de facto eine künstliche schafft, besteht darin, dass die Türkei auf diese Weise Griechenland und der mit diesem verbundenen „Koalition der Willigen“ aus Zypern, Ägypten und Israel auf die Parade regnen will.

Diese hatten in den vergangenen Jahren Vereinbarungen getroffen, in denen es um die gemeinsame Nutzung von Erdgas und weiteren natürlichen Ressourcen im östlichen Mittelmeer geht. Zudem wollen die beteiligten Staaten eine LNG-Pipeline durch das östliche Mittelmeer führen, um die dominanten Landmächte auf diesem Gebiet wie Russland oder die Türkei umgehen zu können.

Ankara will Berücksichtigung Nordzyperns gewährleisten

Die Türkei fühlt sich durch diese Vereinbarung ausgebootet, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Griechenland eine Beteiligung Ankaras an Vorhaben dieser Art davon abhängig macht, dass es eine Lösung zur Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Insel Zypern gibt. Deren Nordteil wird seit damals von türkischen Militärs kontrolliert, während der Süden sich politisch an Griechenland orientiert. Ankara will jedoch, dass nicht ohne Beteiligung Nordzyperns mit der Ausbeutung der Erdgasfelder durch die Regierung in Nikosia begonnen wird.

Die Türkei, die sich als Schutzmacht der Türken auf Zypern und der nur von Ankara anerkannten Regierung der „Türkischen Republik Nordzypern“ betrachtet, hatte unterdessen bereits vor dem Abkommen auf eigene Faust Explorationen nach Kohlenwasserstoffen im östlichen Mittelmeer gestartet.

Dies hatte die EU und ihren Mitgliedstaat Südzypern gegen Ankara aufgebracht. Brüssel erwägt sogar Sanktionen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) berichtet, dass Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis am Rande des jüngsten NATO-Gipfels in London vergeblich versucht habe, mit Erdoğan einen Modus vivendi zu erzielen. Am vergangenen Freitag (6.12.) hat Athen den libyschen Botschafter des Landes verwiesen, Erdoğan hat dies einen Tag später als „Skandal“ bezeichnet.

Türkei bezichtigt Griechen des „Expansionismus“

Die Türkei beschuldigt ihrerseits Griechenland, Hoheitsrechte im östlichen Mittelmeer weit über das Maß hinaus zu beanspruchen, das dem Land zustehe. In einem Kommentar für die „Hürriyet“ unter dem Titel „Warum Griechenland heult“ schreibt Yusuf Kanli von einem „Zusammenbruch der gierigen und expansionistischen Pläne Griechenlands im Mittelmeer, das auf optimale Weise die verworrene Lage in Ägypten, Libyen, dem Libanon und Syrien für sich nutzen wollte“.

Athen, so heißt es aus der Türkei, habe selbst versucht, mithilfe von Rebellen in Libyen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die eigene maritime Wirtschaftszone und die Südzyperns auf mehr als 40 000 Quadratkilometer auszuweiten. Haftar hat das türkisch-libysche Abkommen bereits als „null und nichtig“ bezeichnet. Erdoğan erklärte laut Hürriyet, die Türkei habe schon mit dem 2011 gestürzten Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi über ein ähnliches Abkommen verhandelt. Ein Abschluss scheiterte aber am Bürgerkrieg, der im Land ausbrach.

Aus Griechenland werden unterdessen zurzeit massenhaft Protestnoten über das Abkommen an die UNO geschickt, berichtet die emiratische Zeitung „The National“. Außenminister Nikos Dendias hat am Montag beim Treffen mit Amtskollegen um Unterstützung gebeten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat zugesagt, die Angelegenheit prüfen zu wollen.



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