Fragen und Gedanken: Die Sportwelt nach der Corona-Krise

Wahre Einsichten oder doch nur notgedrungenes Handeln im Existenzkampf? Wie wird Corona den Sport verändern? Eine Zukunftsforscherin und ein Philosoph machen sich Gedanken. Es geht vom Breitensport bis Olympia.
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Im Jahr 2021 statt 2020 finden die Olympischen Spiele von Tokio statt.Foto: kyodo/dpa/dpa
Epoch Times11. April 2020

Ein sonniger Tag im August 2021. In Tokio brennt das Olympische Feuer. Die Menschen sind gut gelaunt, Sportlerinnen und Sportler springen, rennen, kämpfen um Medaillen, auf den Tribünen jubeln die Zuschauer.

Die deutschen Fußball-Nationalspieler haben sich gerade von der EM in zwölf Ländern erholt und trainieren wieder mit ihren Kollegen im Verein – alle zusammen, alle auf einem Platz.

Lewis Hamilton schickt sich an, mit dem achten WM-Titel Rekordweltmeister Michael Schumacher endgültig als erfolgreichsten Piloten der Formel 1 abzulösen. Die ganze Welt dreht sich wieder im normalen Tempo. Die Corona-Krise aus dem Jahr 2020 ist vor allem schlimme Erinnerung mit vielen Toten, mit Entbehrungen und Einschränkungen weltweit. Der Sport stand still und viele fragten sich: Wie wird er in der Zeit nach der Pandemie aussehen?

Wird dieser Sport-Tag im August 2021 vielleicht ganz anders aussehen als angenommen, selbst wenn es keine Einschränkungen mehr gibt?

GELD ODER DAS WESEN DES SPORTS

Zurück in die Zukunft, zurück nach Tokio. Menschen mit Schutzmasken gehörten schon vor dem Virus zum Bild der Millionenmetropole wie proppenvolle U-Bahnen. Das Internationale Olympische Komitee und die japanischen Verantwortlichen rangen lange mit der Verschiebung, die für andere schon längst unstrittig gewesen war. Es ging um viel Geld.

Wie überhaupt die Corona-Krise noch mal offenlegte, was im Sport vor allem regiert. Profi-Fußballvereine, die sonst mit den Millionen nur so jonglierten, fürchteten um ihr Wohl, weil zum Teil ausstehende TV-Gelder bereits ausgegeben waren, diese aber zu stocken drohten. Formel-1-Teams, die sich nach jahrelangem Ausgabenwahn selbst in der Krise zunächst nicht einigen konnten, weniger als 175 Millionen US-Dollar pro Jahr auszugeben – Fahrergehälter exklusive.

Doch was ist Sport eigentlich, wofür steht er? „Sport kann Vieles sein: Tradition oder Trend. Einzel oder Team. Ehrenamt oder Beruf“, heißt es auf der Homepage des Deutschen Olympischen Sportbundes. „Er ist jedoch immer eine Plattform für gemeinsame Werte und Leidenschaften. So bringt Sport Menschen zusammen – unabhängig von persönlichen Überzeugungen und Voraussetzungen, von Herkunft, Geschlecht oder Alter.“

Im alten Rom stimmte sich der Kaiser das Volk mit „Brot und Spielen“ wohlgesonnen. Schon immer war Sport auch Unterhaltung. Und genau die fehlt vielen auch beim Shutdown während der jetzigen Corona-Krise.

DER SPORT VERÄNDERT SICH BEREITS

Die gute Nachricht sei, „dass sich trotz Corona an der Sportgesellschaft und dem Interesse der Menschen an Bewegung und Sport nichts ändern wird“, prophezeit die Zukunfts- und Trendforscherin Anja Kirig. „Sport ist aber bereits dabei, sich durch die Pandemie zu verändern. Das betrifft zum einen den Breitensport wie auch den professionellen Sport als auch die Fankultur.“ Vieles werde aktuell auf den Kopf gestellt, was früher selbstverständlich war und vieles auf die Beine gestellt, was vor Corona für viele undenkbar gewesen sei.

Sporttreiben in Vereinen ist in Zeiten von Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen praktisch nicht möglich. Die Bedeutung digitaler Angebote wächst. Seien es Online-Kurse oder Plattformen zum Mitmachen. Klarer Trend: Der Sport kommt zum Menschen, anders geht es durch die Maßnahmen im Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Virus Sars-CoV-2 auch meist gar nicht.

„Künftig wird es selbstverständlich sein, dass sich analoge mit digitalen Angeboten vermischen. Es geht darum, diejenigen, die nicht an einem Training teilnehmen können, dennoch mit einzubinden, Angebote zu unterbreiten“, erklärt Kirig in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Das Entweder-Oder müsse und werde sich auflösen. „Es geht nicht darum, entweder digitale Angebote oder analoge zu schaffen, sondern beides sinnvoll zu verbinden. Das wird eine der großen Aufgaben für die Post-Corona-Zeit im Sport werden.“

DAS ENDE DER ZÜGELLOSIGKEIT – ODER DOCH NUR EIN INTERMEZZO

Immer schneller, immer weiter, immer höher, immer besser, immer erfolgreicher – immer gieriger. Corona könnte ein Entschleuniger auch im Sport sein. Ein Rückbesinner, auch und erst recht im Milliardengeschäft Fußball. „Das Virusgeschehen kann noch lange dauern, und es kann auch sein, dass dann sehr viele Leute, die im Fußball tätig sind, Angehörige verloren haben. Das sind sehr elementare Erfahrungen, die man macht; Erfahrungen der Verunsicherung, des sich Ängstigens, vielleicht entwickelt man auch ein anderes Verhältnis zum eigenen Körper“, erklärt Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer in einem dpa-Gespräch.

Die Wiedererkennung von Gesundheit als höchstem Gut. „Das hat zur Folge, dass man auch eine etwas andere Sporteinstellung gewinnt. Diese Unbefangenheit und auch die Bereitschaft, Raubbau zu treiben am eigenen Körper, könnte durch diese Krise etwas gedämpft werden. Das wäre eine Vermutung, jedenfalls zunächst einmal im Breitensport. Einiges davon könnte auch im Spitzenfußball hängenbleiben. Dann sind diese irrsinnigen Ablösesummen eigentlich nichts mehr, was das Publikum besonders entzückt.“

Vereinsmanager, Spielerberater, sie alle rechnen mit einem stark gebremsten Transfermarkt in diesem Sommer. Die Einnahmen sind knapp, viel ausgeben will keiner in diesen unsicheren Zeiten. Wird die Corona-Krise also zur Langzeit-Lehre? Reiner Calmund hat da so seine Bedenken. „Wenn irgendwann Normalität einkehrt, werden die guten Vorsätze vermutlich wieder über den Haufen geworfen. Dann gilt wieder: höher, schneller, weiter“, sagte der 71 Jahre alte ehemalige Manager von Bayer 04 Leverkusen der Funke-Mediengruppe. Wie wird es dann bestellt sein mit der Solidarität, die derzeit beschworen und vielfach auch vorgelebt wird?

ENDE DER SORGLOSIGKEIT ODER WIE FANVERHALTEN KÜNFTIG AUSSEHEN KÖNNTE

Der Sport als Unterhalter braucht sein Publikum. Geisterspiele, Geisterrennen – notgedrungen und in manchen Sportarten zumindest noch besser als gar nichts, solange diese durch ihre TV-Präsenz die fehlenden Zuschauereinnahmen abdecken können. Zuschauer motivieren, Zuschauer treiben an, Zuschauer fiebern mit.

Und noch mehr: Beim Stadionerlebnis sei es gar nicht so wichtig, ob der Verein gewinne oder immer verliere, „wenn die Gemeinschaftskultur stimmig erlebt werden kann. Die Fans dabei wollen eingebunden sein, mitgestalten. Wir bewegen uns aus der reinen Konsum-, Berieselungs- und Erlebniskultur raus. Gerade aktuell kann man ganz exzellent sehen, wie viel Kreativität Menschen an den Tag legen. Diese Kreativität verbindet auch“, sagt Zukunftsforscherin Kirig.

Verbindung trotz Abstand. Philosoph Gebauer rechnet auch damit, dass die Unbefangenheit oder die Sorglosigkeit, „mit der man aufseiten des Publikums Massenevents bis jetzt begrüßt und verfolgt hat“, künftig auf jeden Fall sehr gedämpft sein wird. „Wir werden vermutlich nach der Corona-Krise nicht mehr den gleichen Enthusiasmus, die gleiche Bereitschaft, uns diesen Events hinzugeben, sich bedingungslos für Sport zu interessieren, haben.“

Kaum ein Bereich ist nicht von der Pandemie irgendwie berührt. „Jede Familie wird vermutlich davon betroffen sein, dass irgendjemand seinen Job oder Geld verliert. Das ist etwas, was die Hochphase, in der wir in den letzten 30 Jahren gelebt haben, auf jeden Fall nicht nur dämpfen, sondern auch weitgehend beenden wird“, befürchtet Gebauer.

Zuschauer, die sich in den Armen liegen vor Freude, Fans, die zusammen tanzen, singen und lachen, Fußballer, die sich in den Kurven von ihren Anhängern betatschen lassen, Formel-1-Stars, die Selfies mit fremden Menschen machen – alles Vergangenheit?

AUFGABE FÜR OLYMPIA

Der Sport könnte sich rückbesinnen. Alles ein bisschen kleiner, bescheidener. Die Athletinnen und Athleten rücken wieder mehr in den Vordergrund. „Die Frage aus Perspektive der Sportlerinnen und Akteure wird sein, ob diese Formate, die häufig auf Leistung und Nationen abgestimmt sind, in Zukunft noch adäquat sind“, sagt Zukunftsforscherin Kirig sogar. „Trotz nationaler Eskapaden zeigt sich aktuell weltweit ein einzigartiges Gemeinschaftserleben, dass die kollektive Identität stärken kann. Olympiaden und Weltmeisterschaften sollten überlegen, wie sie ihr Konzept anpassen können, so dass Athleten, Sportler und Teams sich beweisen können, aber jenseits der gestrigen Parameter.“ Man darf also gespannt sein auf den sonnigen Tag im August 2021 in Tokio. (dpa)



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