Hunde von Tschernobyl: Führte Strahlung oder Mutation zur DNA-Veränderung?
US-amerikanische Forscher vermuten, dass nicht die radioaktive Strahlung in Tschernobyl zur DNA-Veränderung der dort frei lebenden Hunde führte. Mit dem Unglück hänge sie aber dennoch zusammen. Die Forschung dauert an.
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Optisch unterscheiden sich die Hunde aus dem Sperrgebiet in Tschernobyl nicht von anderen in Osteuropa, dafür aber genetisch.
Aus der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie sind vor allem zwei Orte in schlechter Erinnerung geblieben: Tschernobyl in der Ukraine und Fukushima in Japan. Beide Unglücke führten zu einer weitverbreiteten radioaktiven Verschmutzung, die im ersteren Fall bis Deutschland reichte – und reicht. Bis heute weisen Pilze im Bayerischen Wald erhöhte Strahlungswerte auf, die auf die Explosion in Tschernobyl zurückgeführt werden können.
Doch nicht nur Pilze und in der Folge Wildschweine sind betroffen. Untersuchungen verschiedener Tiere in der Umgebung des vor 39 Jahren havarierten Kernkraftwerks offenbarten schädliche Veränderungen von DNA und Beeinflussung der Fortpflanzung unter anderem bei Insekten, Mäusen und Vögeln.
Inwieweit die genetischen Schäden jedoch auf die erhöhte Strahlenbelastung zurückzuführen sind, wurde viel diskutiert. So kommen neben der radioaktiven Strahlung weitere Ursachen infrage, einschließlich natürlicher vererbbarer Mutationen sowie Umweltgifte und Schwermetalle.
Das havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl.
Foto: Helios8/iStock
Tschernobyl: Verstrahlt, verlassen, verändert
Die Nuklearkatastrophe von 1986 führte zur weltweit größten Freisetzung von radioaktiven Nukliden, darunter Jod-131, Cäsium-137 und Strontium-90. Die anschließende Kontamination war jedoch nicht nur auf Radioisotope beschränkt. Auch Sanierungsmaßnahmen und die Stilllegung mehrerer Militär- und Industriekomplexe führten nachweislich zu deutlich erhöhten Konzentrationen von Blei, Arsen, Pestiziden, Asbest und vielen anderen toxischen Chemikalien.
Kurz nach dem Unglück errichtete die Regierung der Sowjetunion eine Tschernobyl-Exklusionszone (CEZ) von etwa 2.600 Quadratkilometern. Dieses Sperrgebiet erstreckte sich in einem Radius von etwa 30 Kilometern rund um das Kernkraftwerk und schloss das am stärksten kontaminierte Gebiet ein.
Strahlenbelastung durch Cäsium-137 um Tschernobyl zehn Jahre nach dem Reaktorunglück.
Die Bewohner innerhalb der CEZ wurden 24 bis 36 Stunden nach der Katastrophe evakuiert. Zwar wurden auch Anstrengungen unternommen, die im Sperrgebiet zurückgelassenen Wild- und Haustiere zu retten, jedoch gelang dies nicht bei allen. Einige Tiere überlebten dennoch in der gefährlichen Zone und vermehrten sich in der Folgezeit.
Genau diese Tiere, zu denen auch Hunde gehörten, waren über viele Generationen hinweg der Strahlung und anderen giftigen Stoffen schutzlos ausgeliefert. Die Folgen der langfristigen Belastung sind aber nur unzureichend bekannt. Bei den noch heute in Tschernobyl frei lebenden Hunden konnten Forscher 2023 deutliche genetische Veränderungen feststellen. Optisch zeigen die ehemaligen Haustiere keinerlei Unterschiede zu anderen Hunden.
Doch was führte zu jenen genetischen Veränderungen der Tiere? Laut US-amerikanischen Forschern um Matthew Breen von der North Carolina State University sei dies nicht allein auf die isolierte Lage, Inzucht oder Unterschiede in der Hunderasse zurückzuführen. Liegt die Ursache stattdessen in der viel diskutierten radioaktiven Strahlung?
Unterschiede auf den zweiten Blick
Dieser Frage sind die Forscher in einer weiteren Studie nachgegangen, in der sie zwei benachbarte Hundepopulationen genetisch genauer untersuchten. Das Ergebnis: Es ist unwahrscheinlich, dass strahlenbedingte Mutationen zu den genetischen Unterschieden der Hunde aus Tschernobyl geführt haben.
„Wir haben zwei Hundepopulationen untersucht, die zwar nur 16 Kilometer voneinander entfernt sind, sich aber genetisch unterscheiden“, erklärte Matthew Breen. „Wir wollten herausfinden, ob eine geringe Exposition über viele Jahre hinweg gegenüber Umweltgiften wie Strahlung oder Blei einige dieser Unterschiede erklären könnten.“
Zuvor hatte das Team die über das gesamte Genom verteilten genetischen Varianten analysiert und 391 Unterschiede zwischen den beiden Populationen identifiziert. Es zeigte sich auch, dass die Hunde, die außerhalb der Sperrzone leben, genetisch sehr ähnlich zu Hunden aus Russland, Polen und den umliegenden Gebieten sind.
Ein frei lebender Hund in der Geisterstadt Prypyat, die sich innerhalb der Tschernobyl-Exklusionszone befindet.
Foto: Olena Lialina/iStock
„Auf diese Weise konnten wir die Hunde von Tschernobyl als Kontrollgruppe verwenden, um sie mit den Hunden aus dem Kernkraftwerk [der kritischen CEZ] zu vergleichen“, ergänzte Megan Dillon, Hauptautorin der Studie.
Die Forscher suchten zunächst nach Unterschieden auf Chromosomenebene sowie nach Anzeichen für Veränderungen, die in der DNA der Fortpflanzungszellen auftreten und im Laufe der Zeit vererbt werden.
„Obwohl diese Hundepopulation 30 oder mehr Generationen von derjenigen entfernt ist, die während der Katastrophe von 1986 lebte, wären Mutationen wahrscheinlich immer noch nachweisbar, wenn sie den ursprünglichen Hunden einen Überlebensvorteil verschafft hätten. Aber wir haben bei diesen Hunden keine derartigen Anzeichen gefunden“, sagte Matthew Breen.
Trennung als mögliche Ursache?
Die Forscher schlossen jedoch nicht aus, dass selektiver Druck eine Rolle bei der Erklärung der Unterschiede zwischen den beiden Hundepopulationen von Tschernobyl spielen könnte.
„Es ist möglich, dass die Hunde, die lange genug überlebten, um sich fortzupflanzen, bereits genetische Merkmale hatten, die ihre Überlebensfähigkeit erhöhten. Vielleicht gab es zu Beginn einen extremen Selektionsdruck, und die Hunde im Kraftwerk haben sich dann einfach von der Stadtpopulation getrennt“, erklärt Dillon.
Dieser Überlegung möchten die Forscher in künftigen Untersuchungen nachgehen. Ob letztlich die Ursache der DNA-Veränderungen sicher bestimmt werden kann, bleibt offen. Die Forscher weisen darauf hin, dass diese Ergebnisse nur ein Teil des Gesamtbildes der Rolle sind, die schädliche Umwelteinflüsse auf die Gesundheit von Lebewesen spielen können.
„Viele Menschen denken bei dem Reaktorunfall von Tschernobyl an die radioaktive Strahlung. Aber die möglichen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit sind viel weitreichender“, sagt Professor Norman Kleiman, Mitautor der Studie. „Das liegt an den vielen anderen Giftstoffen, darunter Schwermetalle, Pestizide und Asbest, die während der anschließenden Aufräum- und Sanierungsarbeiten über drei Jahrzehnte in die Umwelt freigesetzt wurden.“
Die Studie erschien am 27. Dezember 2024 im Fachjournal „PLOS ONE“.
Katharina Morgenstern entdeckte bereits früh ihre Passion für Historisches – von der Urzeit bis in die frühe Neuzeit. Für Epoch Times beschreibt sie die Geschichte der Erde, der Menschen und ihrer Kulturen.