Ex-CIA-Analyst zu Ukraine: „Wahl zwischen Demütigung und Atomkrieg verhindern“

George Beebe vom Quincy-Institut will mit Diplomatie wie in der Kubakrise den Ukraine-Krieg beenden. Dies sei eine Sache zwischen dem Kreml und den USA.
Ex-CIA-Analyst zu Ukraine: „Wahl zwischen Demütigung und Atomkrieg verhindern“
Ein Raketeneinschlag in Kiew.Foto: ---/ukrinform/dpa
Von 15. Oktober 2022

Vor einer möglichen atomaren Eskalation des Krieges in der Ukraine warnt George Beebe vom Quincy Institute for Responsible Statecraft im Gespräch mit der „Süddeutschen“. Gleichzeitig hält er eine diplomatische Deeskalation für möglich und empfiehlt dazu Geheimgespräche zwischen Russland und den USA. Als Vorbild solle die Lösung der Kubakrise im Jahr 1962 fungieren.

Analyst weist These eines russischen Expansionswillens zurück

Beebe war Leiter der Abteilung für Russlandanalysen der CIA und außenpolitischer Berater des früheren US-Vizepräsidenten Dick Cheney. Das Quincy Institute ist ein in Washington, D.C. angesiedelter Thinktank, der seit 2019 existiert. Er wird sowohl vom linksliberalen US-Philanthropen George Soros als auch von den konservativen Koch-Brüdern finanziert. Sein Ziel ist es, durch realistische Außenpolitik ein „Ende der endlosen Kriege“ für die USA zu bewirken.

Im Gespräch mit der „Süddeutschen“ beklagt Beebe, dass schon einige Möglichkeiten zur Entschärfung des Konflikts verpasst worden wären. Der Krieg hätte sich bereits als solcher verhindern lassen, hätte man einen Kompromiss bezüglich des militärischen Status der Ukraine gefunden. Dass dies nicht gelungen sei, habe auch daran gelegen, dass Russland „wie üblich plump und kontraproduktiv“ reagiert habe.

Allerdings tritt der Analyst auch dem Narrativ entgegen, der Kreml würde Verhandlungen zur Vorbereitung weiterer Eskalationen nutzen. Beebe hält diese Darstellung nicht für glaubwürdig:

Die Russen schaffen es ja nicht einmal, Gebiete direkt an ihrer Grenze einzunehmen, wo sie von kurzen logistischen Wegen profitieren. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Polen oder gar in Deutschland einmarschieren werden, ziemlich gering.“

Ukraine-Konflikt muss unter Gesichtswahrung gelöst werden

Gleichzeitig warnt der frühere Cheney-Berater davor, die begrenzte Effizienz der russischen Streitkräfte zum Anlass zu nehmen, auf einen Siegfrieden zu setzen. Dass viele an einen solchen glauben, vergrößere die Gefahr einer Eskalation:

Die gehen aber davon aus, dass Russland eine konventionelle Niederlage akzeptieren und nicht eskalieren lassen würde. Dass Russland bereit wäre, diesen Krieg nach den Regeln des Westens zu führen. Ich glaube aber nicht, dass Russland sich an diese Regeln halten wird. Das sehen wir ja jetzt schon. Und diese Eskalationen werden weitergehen.“

Beebe tritt dafür ein, die Unterstützung der Ukraine aufrechtzuerhalten, aber militärische Stärke mit Diplomatie zu paaren. Vor allem dürfe Russland nicht in die Ecke gedrängt werden. Auch dies sei eine Lektion aus der Kubakrise:

Kennedy sagte, dass die wichtigste Lektion der Kubakrise gewesen sei, dass die Führer von Nuklearmächten sich nicht gegenseitig in die Lage bringen dürfen, dass es nur noch die Wahl zwischen Demütigung und Atomkrieg gibt.“

Der Niedergang der diplomatischen Kultur, der derzeit die schlechten Voraussetzungen für eine Beendigung des Krieges schaffe, sei auch die Konsequenz des Endes des Kalten Krieges.

Russisches Staatssystem bietet Chance für Geheimdiplomatie

Die bipolare Welt, in der ein Dialog gleichrangiger Rivalen zu einer wechselseitigen Selbstbeschränkung geführt habe, sei nicht mehr vorhanden. Das vermindere auch jetzt die Bereitschaft, einen diplomatischen Dialog zu führen.

Dass Russlands Präsident Wladimir Putin glaube, die USA strebten eine völlige Zerschlagung Russlands als Großmachtrivalen an, schaffe eine „sehr, sehr gefährliche Situation“. Allerdings biete die sehr stark präsidiale Ausrichtung des politischen Systems in Russlands auch die Chance auf direkte Diplomatie. Beebe meint dazu:

Das ist etwas, das sich auf den Kreml konzentrieren muss. Im Idealfall müssten wir uns zunächst im Geheimen engagieren, so wie während der Kubakrise bei den Geheimgesprächen zwischen Bobby Kennedy, dem Bruder des Präsidenten, und Anatoli Dobrynin, dem sowjetischen Botschafter in Washington. Die waren entscheidend, um einen Kompromiss zu finden.“

Auf US-amerikanischer Seite müsste jemand, der das volle Vertrauen des Präsidenten genießt, damit betraut werden. In Russland sollte man sich um Sicherheitsratschef Nikolai Patruschew als Gesprächspartner bemühen.

„Entscheidungen sollten in Washington und nicht in der Ukraine fallen“

Was die Frage anbelangt, inwieweit der Westen noch einen Einfluss auf die Entscheidungen der Ukraine habe, verweist Beebe auf deren existenzielle Abhängigkeit. Ohne die westliche Unterstützung könnte die Regierung in Kiew nicht mehr weiterbestehen, und auch den Krieg nicht fortsetzen.

Allerdings hätte der Westen schon so viel an Darlehen in die Ukraine investiert, dass auch eine Abhängigkeit in der Gegenrichtung bestehe. Das sei „ein gewaltiges Problem“, da der Westen seine Sicherheit nicht in die Hände Kiews legen solle. Deshalb gelte mit Blick auf etwaige Friedensschlüsse:

Diese Entscheidungen sollten in Washington und im Westen gefällt werden, nicht in der Ukraine.“

Beebe kritisierte die US-Regierung dafür, dass diese den Minsk-II-Prozess nicht unterstützt habe. Dies sei mit ein Grund für den heutigen Krieg, da Putin nicht mehr an den Nutzen dieses Verhandlungsformats geglaubt habe.

Territoriale Frage am schwierigsten zu lösen

Was mögliche Kompromisse gegenüber Putin anbelange, sei eine Nichtmitgliedschaft der Ukraine in einem westlichen Militärbündnis ein relevanter Ansatz. Schwieriger würde eine Einigung mit Blick auf die territorialen Ansprüche. Kurzfristig sei ein Kompromiss da nicht zu erzielen. Allerdings lasse sich die Krise auf diplomatischem Wege zumindest eindämmen:

Manchmal muss man Dinge flicken, anstatt sie gleich zu reparieren.“

Erst jüngst hatte der Physiker Max Tegmark vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Chance auf eine atomare Eskalation des Ukraine-Krieges auf 1:6 geschätzt. Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Eingreifens der NATO liege bei 80 Prozent – die einer nuklearen Reaktion Moskaus darauf bei 70.

Als nichtatomare Lösungsoptionen gäbe es neben einem Siegfrieden für die Ukraine oder Russland jedoch noch drei weitere. Dies wären ein „köchelnder“ Krieg wie in Libyen, ein eingefrorener Konflikt wie in Korea oder ein tatsächlicher Frieden wie in Finnland. Auch vor diesem Hintergrund hatte Tesla-CEO Elon Musk jüngst auf Twitter einen eigenen Friedensplan vorgestellt.



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