Wie der Ukraine-Krieg zu einem globalen Casino wurde
Geld, Politik, Krieg – und ein digitales Casino, das alles verbindet. Auf der Onlineplattform Polymarket werden in Echtzeit Wetten über den Ausgang des Ukraine-Krieges im Wert von über 100 Millionen Dollar abgeschlossen. Wie funktioniert das – und ist das überhaupt legal?
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Auf den sogenannten Gesellschaftswetten basiert eine lukrative Online-Industrie. Der Krieg in der Ukraine ist ein heißes Thema auf der Plattform Polymarket.
Online-Wetten auf „Leben und Tod“: Auf der US-Wettbörse Polymarket kann man auf fast alles setzen – vom kuriosen Ereignissen bis zum Ukraine-Krieg.
Mit über 120 aktiven Wetten ist der Ukraine-Krieg eines der heißesten Themen.
Die Prognosen der Community schlagen oft Expertenmeinungen.
In Deutschland verboten, in den USA ein florierendes Geschäft.
„Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine im Jahr 2025? Setze 100 Dollar auf ,Ja’ und gewinne 2.535,23 Dollar.“
Die Frage, ob Moskau und Kiew bis Ende dieses Jahres einen Waffenstillstand schließen, war am 10. Dezember auf der Online-Wettbörse Polymarket die beliebteste. Das Wettvolumen lag bei über 52 Millionen US-Dollar. Gleichzeitig schätzten die Teilnehmer die Wahrscheinlichkeit eines Waffenstillstands jedoch zunehmend niedriger ein – bei nur 4 Prozent.
Die Plattform mit Sitz in New York City bietet ihren Nutzern mehr als 120 aktive Wetten im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine an. Der Gesamtwert dieser Wetten liegt bei über 110 Millionen US-Dollar.
Auf den Ukraine-Krieg wetten
Das auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion spezialisierte englischsprachige Nachrichtenportal „Meduza“ zitierte vor Kurzem Serhij Sternenko, einen ehemaligen Funktionär der nationalistischen ukrainischen Organisation Prawyj Sektor („Rechter Sektor“). Er sagte, dass während der Krieg für die Ukrainer eine Tragödie sei, stelle er für manche Ausländer lediglich eine Gelegenheit zum Glücksspiel dar.
Das ukrainische Open-Source-Nachrichtendienstprojekt DeepState hat auch in den vergangenen Tagen die Wettplattform scharf kritisiert. Auf Grundlage der Daten von DeepState konnten nämlich die Nutzer von Polymarket auf der Partnerwebsite Polyglobe mithilfe eines interaktiven Globus die Kampfereignisse in der Ukraine nahezu in Echtzeit verfolgen. DeepState warf der amerikanischen Plattform vor, ihre Daten auf unangemessene Weise zu nutzen, um Wetten auf den Verlauf des Krieges zu fördern.
Nach der öffentlichen Kritik stellte sich das Unternehmen Pentagon Pizza Watch (PPW), das die Polyglobe-Website betreibt, in einer Stellungnahme Ende November klar, dass es „weder Krieg noch Gewalt oder Leiden jeglicher Art befürwortet“.
Wenige Tage später berichtete es jedoch von einer „noch besseren“ Neuerung: Mithilfe von Datenquellen, die auf dem Open-Source-Projekt „Project Owl“ basieren, kann die Karte inzwischen sogar mehr Informationen darstellen als je zuvor.
Eine Momentaufnahme der interaktiven Karte „Ukraine Control Map“, die vom Project Owl erstellt wurde, am 9. Dezember 2025. Mithilfe der Karte können die Kampfhandlungen in der Ukraine kontinuierlich verfolgt werden.
Foto: Screenshot/http://uacontrolmap.com
Nach Angaben von PPW könne man damit den Kriegsverlauf anhand einer frei verschiebbaren Zeitleiste verfolgen, präzise geolokalisierte Ereignisse am Boden untersuchen, sowie Positionen und Bewegungen russischer und ukrainischer Einheiten einsehen. Zudem hieß es, die Karte zeige schattierte Kontrollzonen und sich nahezu in Echtzeit verändernde Frontlinien.
POLYGLOBE’S UKRAINE MAP IS BACK — AND IT’S WAY BETTER 🇺🇦🌐
We’ve relaunched the live Ukraine frontline overlay on the globe, now powered by the open-sourced @projectowlosint .
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Wie funktioniert das Echtzeit-Casino?
Polymarket ist so etwas wie das Las Vegas der Weltpolitik – nur digital und datengetrieben. Hier setzen Nutzer echtes Geld darauf, wie sich die Zukunft entfaltet: ob Israel erneut zuschlägt, wann Jesus zurückkehrt oder ob Frankreichs Präsident sich 2026 scheiden lässt. Nichts ist zu absurd, nichts zu heikel.
Das Prinzip ist simpel: Man kauft „Ja“- oder „Nein“-Anteile, deren Preis zwischen 0 und 1 US-Dollar schwankt und die geschätzte Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses abbilden. Werden etwa „Ja“-Anteile für einen Waffenstillstand in der Ukraine 2025 zu 0,05 Dollar gehandelt, entspricht das einer Marktprognose von 5 Prozent.
Jede neue Nachricht, jede diplomatische Entwicklung, jede militärische Eskalation bewegt den Kurs. Die Community reagiert in Sekunden, kauft, verkauft, korrigiert – und so entsteht ein Preis, der das kollektive Wissen Hunderter Insider, Hobby-Analysten und Beobachter bündelt.
Wer den richtigen Ausgang eines Ereignisses trifft, wird belohnt – manchmal mit überraschend hohen Gewinnen für scheinbar aussichtslose Wetten.
Auf der Website von Polymarket finden sich derzeit 333 abgelaufene Wetten zum Thema Ukraine. Eine der Wetten mit dem höchsten Gesamtwert bezog sich mit über 56 Millionen Dollar darauf, ob Donald Trump in den ersten 90 Tagen seiner Amtszeit den Krieg beenden kann.
Eine der Wetten mit dem höchsten Gesamtwert bezog sich mit über 56 Millionen Dollar darauf, ob Donald Trump in den ersten 90 Tagen seiner Amtszeit den Krieg beenden kann.
Foto: Bildschirmfoto/Polymarket.com
Die „Weisheit der Masse“
Als Begründung für Wetten im Zusammenhang mit militärischen Konflikten hat Polymarket während des US-Iran-Konfliktes im Juni folgende Erklärung abgegeben:
„Das Versprechen von Prognosemärkten besteht darin, die ‚Weisheit der Masse‘ zu nutzen, um genaue und unvoreingenommene Vorhersagen zu den wichtigsten Ereignissen für die Gesellschaft zu erstellen.“
Nach eigenen Angaben habe Polymarket sogar mit Betroffenen der Angriffe gesprochen – und dabei festgestellt, dass Prognosemärkte ihnen Antworten geben könnten, „wie es Fernsehnachrichten oder X nicht können“.
Doch woraus speist sich diese kollektive Weisheit eigentlich? Zum einen aus subjektiven Einschätzungen und persönlichen Informationsquellen: eigene Erfahrungen, Gerüchte, News und Analysen. Zum anderen hat sich ein Ökosystem von Tools entwickelt, das Nutzer mit immer mehr Daten versorgt.
Anwendungen wie Polyglobe oder Pentagon Pizza Index dienen genau dieser Informationsvermittlung. Diese, mit Polymarket kooperierenden Portale, benutzen sogenannte Open-Source-Intelligence-Daten (OSINT). Dabei handelt es sich um öffentlich zugängliche nachrichtendienstliche Informationen aus Quellen wie Satellitenbildern, sozialen Medien, Videos, Nachrichten oder offenen Datenbanken, die gesammelt, geordnet und ausgewertet werden – so auch zur Beobachtung von Kriegsereignissen.
Die Polyglobe-Anwendung bietet mithilfe eines interaktiven Globus Informationen zu den Wetten auf Polymarket. So enthält sie beispielsweise Fast-Echtzeit-Meldungen von der ukrainischen Front.
Das Pentagon-Pizza-Projekt – das auch Polyglobe betreibt – basiert ursprünglich auf einer Idee, die angeblich auf Methoden des russischen Geheimdienstes zurückgeht: Dabei wird das Bestellaufkommen der Pizzerien rund um das Pentagon beobachtet. Anhand dieser Daten versuchen die Betreiber abzuschätzen, wann die USA in einer angespannten Situation eine größere militärische Operation vorbereiten.
Die Logik dahinter: Wenn kurzfristig viele Mitarbeiter einberufen werden, bestellen sie erfahrungsgemäß große Mengen Pizza, um während langer Einsatzzeiten versorgt zu bleiben. Auf der Website des Projekts lassen sich die Pizzabestellungen nahezu in Echtzeit verfolgen. Auf X veröffentlichen die Betreiber zudem regelmäßig ihre Schlüsse und Analysen dazu.
Sind die Wettquoten genauer als die Prognosen von Experten?
Es gibt zahlreiche Berichte über Beispiele, bei denen Polymarket und ähnliche Plattformen schneller auf weltweite Ereignisse reagierten und genauere Vorhersagen lieferten als Experten und mit ihnen assoziierte Institutionen.
So stellte Jason Wingard in „Forbes“ fest, dass während der jüngsten Bürgermeisterwahlkampagne in New York Polymarket den Gewinner – Zohran Mamdani – deutlich früher anzeigte, noch bevor eine Umfrage oder Nachrichtenagentur diese Entwicklung widerspiegelte.
„Die traditionellen Prognostiker passten ihre Vorhersagen erst an, nachdem der Markt sich bereits bewegt hatte“, schreibt Wingard.
Wie konnte ihre Schätzung so präzise sein? Prognosemärkte bündeln die unabhängigen Einsichten einer sehr breiten Teilnehmerbasis. „Dieses kollektive Bestreben verdichtet unterschiedliche Perspektiven zu einem einzigen Preis, der das geteilte Wissen der Gruppe widerspiegelt“, schreibt „Bettor Edge“, der Social-Betting-Marketplace, über die Macht dieser kollektiven Intelligenz.
„Prognosemärkte bewegen sich im Wesentlichen mit dem Fluss der Informationen“, stellt Wingard fest. Er fasst diese Dynamik auf pointierte Weise zusammen:
„Menschen sind einfach ehrlicher, wenn Ehrlichkeit Geld kostet.“
Für viele ist mit dem Begriff „Wetten” wohl am ehesten das traditionelle Pferderennen verbunden. Selbstverständlich gibt es diese auch in der modernen Welt weiterhin. Das Bild zeigt einen Wettstand, der vor dem letzten Tag des Grand-National-Pferderennens in Aintree, England, am 13. April 2024 vorbereitet wird.
Foto: Paul Ellis/AFP via Getty Images
Ist das alles legal?
Bevor man nun selbst eine Wette platziert, lohnt sich ein Blick auf die rechtliche Lage – und die ist alles andere als eindeutig. In Deutschland gelten sogenannte Gesellschaftswetten als illegal. Aufgrund der „hohen Manipulationsgefahr“ seien sie gesetzlich nicht genehmigungsfähig, heißt es in einer Mitteilung der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder vom 5. September. Erlaubt sind demnach ausschließlich Wetten auf „klar definierte Sportereignisse mit überprüfbaren Ergebnissen und festen Regeln“.
Auch in vielen anderen Ländern bewegt sich Polymarket in einer rechtlichen Grauzone. Selbst in den USA, dem wichtigsten Markt der Plattform, gab es bis in jüngste Vergangenheit Probleme mit den Behörden, die den Zugang zur Börse für US-Nutzer sperrten. Dennoch ist dem 2020 gegründeten Unternehmen in nur fünf Jahren der Aufstieg zur größten Online-Wettbörse und zum Prognosemarkt der Welt gelungen.
Trotz aller Kontroversen mangelt es nicht an prominenter Rückendeckung: Im August stieg Donald Trump Jr., der Sohn des US-Präsidenten, als Berater ein. In einer Pressemitteilung zeigte er sich begeistert: „Polymarket ist der größte Prognosemarkt der Welt – und die USA brauchen unbedingt Zugang zu dieser wichtigen Plattform!“
Polymarket-Gründer: Insidergeschäfte? Kein Problem
Dass auch Menschen mit echtem Insiderwissen auf der Plattform teilnehmen könnten, sieht Polymarket-Gründer Shayne Coplan gelassen. In einem Interview mit dem „Axios“-Redakteur Dan Primack erklärte er, dies sei praktisch erlaubt und vielleicht sogar erwünscht als Mittel, um die Validität des Marktes zu demonstrieren.
Wie real dieses Szenario ist, zeigt ein Beispiel, über das „CasinoBeats” jüngst berichtete: Einige Polymarket-Nutzer sollen Konten eröffnet und auf israelische Luftangriffe auf den Iran Mitte Juni gesetzt haben – Stunden bevor diese tatsächlich stattfanden. „Sie wurden ausgezahlt und verschwanden dann“, heißt es dort.
Coplan sieht darin keinen Widerspruch: „Glaubt wirklich jemand, dass niemand die Antwort kennt? Natürlich gibt es Menschen, die daran arbeiten und wissen, wann etwas passieren wird. Und das Erstaunliche an Polymarket ist, dass es einen finanziellen Anreiz schafft, dieses Wissen in den Markt einzuspeisen. Der Preis passt sich an – und plötzlich steht man bei 95 Cent.“
Wer jedoch die „wahren Insider“ sind, bleibt offen. Im Markt über einen Waffenstillstand in der Ukraine chattet etwa ein Nutzer namens „Joe-Biden“ – mit 1,45 Millionen „Nein“-Anteile. Ob dahinter tatsächlich jemand mit Einblick steht, ist unklar.
Sicher ist nur: In den Chats mischen sich Stimmen aus der Ukraine, Betroffene, Spekulanten – und sogar Menschen, die mit „Ja“ stimmen, vielleicht einfach nur, da sie damit ein kleines Zeichen für den Frieden setzen wollen.
Mária S. Szentmagyari ist eine ungarische Juristin mit deutschen Wurzeln und lebt im Grünen unweit von Budapest. Mit Leidenschaft und großem Interesse an geopolitischen Zusammenhängen berichtet sie für Epoch Times über die aktuellen Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, der Ukraine, Russland und dem Nahen Osten. Die Kommentare unter ihren Artikeln liest sie mit besonderer Neugier.