Antipreußischer Affekt? Uni Münster will Kaiser Wilhelm II. aus Namen entfernen

Kaiser Wilhelm II. muss weg aus dem Namen der Universität Münster. Der Kaiser hatte die Universität 1902 nach einer zwischenzeitlichen Herabstufung in den Stand einer Universität erhoben. Nun scheint es so weit zu sein, dass die Uni umbenannt wird. Im Gespräch mit dem Historiker Dr. Eberhard Straub.
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Die ehemalige Residenz des Fürstbischofs wird von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster genutzt.Foto: iStock
Von 26. April 2023

Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster möchte zukünftig nur noch Universität Münster heißen. Namensgeber Kaiser Wilhelm II., König von Preußen (1859-1941), soll aus dem Namen gestrichen werden. Sie wurde als münsterische Landesuniversität 1771 gegründet und trägt den Namen seit 1907.

Am 5. April hat sich der Senat der Universität mit deutlicher Mehrheit für die Umbenennung ausgesprochen. Die Uni ist nach der Studentenzahl die achtgrößte Universität Deutschlands.

Entscheiden muss das Land Nordrhein-Westfalen. Stimmt das Land der Änderung der Universitäts-Grundordnung zu, tritt die Namensänderung ab 1. Oktober in Kraft. Doch womit begründet man den im Vergleich mit anderen Nationen ungewöhnlichen Schritt?

Kaiser Wilhelm II. „antislawisch und geradezu obsessiv antisemitisch“?

Den jetzigen Prozess sollen Studenten im Jahr 2018 angestoßen haben. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Historikern erarbeitete daraufhin 2020 eine Diskussionsgrundlage. Sie kam zu dem Schluss, dass Wilhelm II. „überaus militaristisch und nationalistisch, antislawisch und geradezu obsessiv antisemitisch“ gewesen sei und dass er von sich aus keinen Wert auf eine Verbindung zu der Hochschule in Münster gelegt habe.

Sind die Vorwürfe wahr? Wir sprachen dazu mit Dr. Eberhard Straub. Der Historiker und Publizist ist ein Kenner der „Belle Epoque“. In seinem Buch „Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit – Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne“ setzte er sich intensiv mit Deutschlands letztem Kaiser auseinander. Es erschien 2008 im Landt Verlag.

Herr Dr. Straub, können Sie die durch die Arbeitsgruppe dem Kaiser zugeschriebenen Wesenszüge durch Ihre Forschung bestätigen?

Nein, das sind alles nur Pauschalurteile. Man kann jederzeit ein anderes Bild von Kaiser Wilhelm II. entwerfen. Etwa 1904 hieß er im Volksmund schlicht und einfach „Wilhelm der Ängstliche“. Im damaligen Deutschland gab es genug Menschen, die meinten, der Kaiser mag gewisse Talente haben, aber er scheut vor dem Krieg zurück. Er ist friedensbedürftig. Er wolle im Grunde mit allen Staaten in Harmonie und Eintracht leben. Ihm warf man vor, sich nicht genug um die deutschen Interessen zu kümmern.

Tatsächlich gab es durchaus Überlegungen bei Wilhelm II., die diesem Klischee entsprechen. Er hatte etwa 1904 sehr das Bedürfnis, endlich mit dem französischen Staatspräsidenten zusammenzukommen und eine deutsch-französische Annäherung vorzubereiten. Und tatsächlich gab es auf französischer Seite ähnliche Kräfte, die auch eine solche Annäherung wollten.

Dabei gab es die Idee, die auch Wilhelm II. unterstützte und die gesamteuropäisch ist und keine rein deutsche oder kaiserliche Idee, einen großen Kontinentalblock innerhalb Europas zu schaffen. Ein Band von Paris über Berlin bis nach Moskau sollte den ganzen europäischen Kontinent umspannen. Dann wären die vier großen Mächte Frankreich, das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und Russland vereint. England tat alles, um solch eine Eintracht zu verhindern.

Die Politik von Wilhelm II. muss als viel komplizierter angesehen werden. Er hatte durchaus ganz Europa im Blick, und er musste auf seine wichtigsten Verbündeten, nämlich Österreich-Ungarn Rücksicht nehmen und konnte gar keine allein nach deutschen Interessen ausgerichtete Politik betreiben.

Gemaltes Porträt von Kaiser Wilhelm II. in zeremonieller Militärkleidung, 1914. Foto: Archive Photos/Getty Images

Also kann man in Bezug auf Kaiser Wilhelm II. auch nicht von einer „antislawischen“ Grundhaltung sprechen?

Nein, das ist völlig absurd. Als Politiker wollte er ja sehen, dass er mit Russland in ein militärisches Bündnis kommt. Er hat immerhin 1905 in Björkö ein Militärabkommen mit Nikolaus II. vereinbart. Es sah eine erneute militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland vor. Daraus ist dann nichts geworden.

Aber die europäische Idee, das Kaiserreich mit Russland und Frankreich zu vereinigen, verschwand damit nicht. Kaiser Wilhelm II. gab sie nicht auf.

Wenn man also nicht von einem „militaristischen, nationalistischen und antislawischen“ Wilhelm II. sprechen kann, wie sieht es mit dem Vorwurf aus, er sei „geradezu obsessiv antisemitisch“ gewesen?

Dieser Vorwurf ist vollkommen töricht. Wilhelm II. trug unter den Deutschen den Spitznamen Semi-Kaiser in Anlehnung an S. M., die Abkürzung von „Seine Majestät“, weil er als Kaiser beziehungsweise als König von Preußen ununterbrochen Juden zu sich einlud, mit denen er enge freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Von den Juden brauchte er Geld, zum Beispiel für die Forschungsinstitute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die heute nach dem Physiker Max Planck genannt werden, oder Stiftungen für die preußischen Museen.

Die Forschungsinstitute, ab 1910 gegründet, galten dem Zweck, Deutschland in den Wissenschaften, auf deren Exzellenz auch die Wirtschaft angewiesen war, seine Spitzenposition – gerade in Konkurrenz mit den finanzstarken USA – in der Welt zu behaupten. Das ist ihm und seinen Beratern gelungen.

Die Kaiser-Wilhelm-Institute trugen mit gutem Recht den Namen „Kaiser Wilhelm“. Denn nicht der König von Preußen, sondern der deutsche Kaiser regte diese Reichsaufgabe an, unterstützt von vermögenden Bürgern, auch außerhalb Preußens, die es mit ihren Spenden überhaupt erst ermöglichten, dass diese Institute gegründet und unterhalten werden konnten.

Zu den Unterstützern gehörten viele Juden, oft als „Kaiserjuden“ bekannt.  Einer der berühmtesten unter ihnen war Albert Ballin, der als Generaldirektor die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) zur weltweit größten Linienreederei führte.

Wilhelm II. hatte alle Modernisierungsbestrebungen und Innovationen im Blick. Er förderte die zivile Schifffahrt, Automobilclubs und die Luftfahrt. Der Flottenausbau ist für ihn nicht nur ein militärisches Abenteuer gewesen, sondern er galt ihm auch als eine technisch-wissenschaftliche Herausforderung, die auch andere Industriezweige dynamisierte.

Der Kaiser konnte wie ein Fachmann mit Ingenieuren über Motoren und technische Details reden und brachte alle, die ihm zuhörten, zu höchstem Erstaunen. Denn er verfügte über gründliche, detaillierte Sachkenntnisse.

Weil er gut zuhörte, konnte er auf gleicher Höhe mit Physikern, Chemikern und Maschinenbauern reden. Er besaß eine schnelle Auffassungsgabe und konnte mit den aufgenommenen Informationen arbeiten und seine wissenschaftlich geschulte Fantasie walten lassen. Er genoss daher ein hohes Ansehen unter Professoren und war mit vielen eng befreundet.

Porträt von Kaiser Wilhelm II. während seines Exils in Holland, Januar 1933. Foto: Kean Collection/Archive Photos/Getty Images

Sein Erfolg in der Bildungs- und Forschungspolitik war, dass die deutschen Universitäten weiterhin die besten auf der ganzen Welt blieben. Man wusste sehr genau in Berlin, dass es weltweit nur einen einzigen Konkurrenten gibt, der sehr genau beobachtet werden musste, nämlich die USA.

Die Liste deutscher Nobelpreisträger, ob Professoren an der Universität oder in den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, veranschaulicht, wie erfolgreich die Forschungspolitik des Kaisers und seiner Berater war.

Gegen den Willen des greisen Physikers Max Planck erzwangen 1947 die Engländer die Umbenennung dieser Institute in Max-Planck-Institute. Man braucht also nicht immer Studenten wie in Münster, sondern es konnten auch Besatzungsmächte sein, die Umbenennungen initiieren.

Warum war der Kaiser mit seiner Bildungs- und Forschungspolitik so erfolgreich?

Das lag an der vertrauensvollen und daher so erfolgreichen Zusammenarbeit Wilhelms II. mit zwei hohen preußischen Regierungsbeamten und einem Professor. Gemeint sind der Ministerialdirektor für Universitäten und Höhere Schulen, Friedrich Althoff, sowie Adolf von Harnack. Harnack war Kirchenhistoriker und Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, der auch den Plan für die Kaiser-Wilhelm-Institute entwarf. Der Dritte im Bunde war der spätere Kultusminister Friedrich Schmidt-Ott.

Zum anderen lag es am persönlichen Interesse Kaiser Wilhelms II. an technischen Hochschulen und der wirtschaftsnahen Forschung, für die Großindustrielle bereitwillig große Summen zur Verfügung stellten. Denn ihm war klar: Die Wissenschaft kann nicht ohne die Wirtschaft leben, weil sie von der Wirtschaft Geld braucht. Und die Wirtschaft ist auf die Ergebnisse der Wissenschaft angewiesen, um zu weiteren neuen Technologien zu kommen. Genau das hat ihn ungeheuer fasziniert – dieser Zusammenhang von Wirtschaft und Wissenschaft.

Warum will man dann die Westfälische Wilhelms-Universität Münster umbenennen?

Dies erfolgt aus dem antipreußischen Affekt, der in Westdeutschland aufgrund der geistigen Umerziehung nach 1945 durch die Alliierten zur Staatsräson gehört. Am 25. Februar 1947 wurde offiziell der schon nicht mehr bestehende Staat Preußen aufgehoben.

Ihm wurde vorgeworfen, „seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion“ gewesen zu sein und daher die Ruhe und die Ordnung in Deutschland und Europa gestört und durcheinandergebracht zu haben. Doch handelte es sich bei Preußen um eine klassische Großmacht, die zum leitenden Konzert der insgesamt fünf Großmächte gehörte, zu denen neben Preußen, England, Frankreich, Österreich-Ungarn auch Russland gehörte.

Ein solches Verdikt, ein solches Verdammungsurteil und solche Vorwürfe mussten eine besonnene Erinnerung an Preußen erschweren, für viele unmöglich machen. Westdeutschland wollte gewissermaßen von nun an auch im Gedächtnis preußenfrei sein und bleiben.

An diesem Verdammungsurteil anknüpfend, wird heute – gerade in letzter Zeit wieder besonders heftig – eine antipreußische Anti-Erinnerungspolitik betrieben, ob das nun Denkmäler von Bismarck sind, die beschmiert werden, oder die von Generälen und preußischen Königen.

Dass man überhaupt wieder auf den Gedanken kommt, Preußen sei ein arroganter, geistloser Junkerstaat und roher Militärstaat gewesen und dazu noch die Darstellung, Preußen sei immer ein Hort der Verschwörung gegen den europäischen Frieden und die humanistische Aufklärung gewesen – das alles ist eine ideologische Konstruktion im Zusammenhang eines politisch-pädagogischen Programms zur dauernden Umerziehung, zur Verwestlichung. Dabei geht es darum, dass Deutsche in der „westlichen Wertgemeinschaft“ von sich, ihrer Geschichte und der preußischen „befreit“ werden sollen.

Solche Werturteile haben nichts mit dem Geist neutraler Wissenschaftlichkeit zu tun und entfernen sich von den Bemühungen, gerade auch denen britischer Historiker während der letzten Jahrzehnte, ein vielfach nuanciertes Bild der preußischen und deutschen Geschichte zu gewinnen.



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