DDR-Krankenanstalten als Disziplinierungseinrichtungen

Untersuchungen von Medizinhistorikern und Aussagen von Betroffenen bringen ans Licht, was sich hinter den geschlossenen DDR-Krankenanstalten für Mädchen – im Volksmund „Tripperburg“ genannt, verbarg.
DDR-Krankenanstalten als Disziplinierungseinrichtungen
Junges Mädchen schaut aus dem Fenster.Foto: iStock
Von 19. August 2022

Ein in der historischen Aufarbeitung noch stiefmütterlich behandeltes Thema sind die geschlossenen DDR-Krankenanstalten für junge „umtriebige“ Mädchen, im Volksmund „Tripperburgen“ genannt. Was sich tatsächlich dahinter verbarg, brachten erst Untersuchungen von Medizinhistorikern und die Aussagen von Betroffenen ans Licht.

Die Schweizer Journalistin Nathalie Nad-Abonji stellte am 9. August 2022, in der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus in Berlin, ihren bereits 2017 veröffentlichten Hörfunkbeitrag „Tripperburg“ vor. Der Beitrag thematisiert die Zwangseinweisung junger Mädchen in DDR-Krankenanstalten. Dabei lässt sie Frauen erzählen, was diese damals dort erlebten. Sie versuchte auch mit ehemaligen Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen, doch diese wollten über die Vergangenheit keine Auskunft geben.

Eine dieser Frauen ist Doris. Sie brach ihr Schweigen. Zusammen mit der Journalistin begab sie sich nochmals in die Johannisstraße Nr. 9 – mitten in Rostocks Altstadt. Die Anstalt wurde bereits Ende der 1970er-Jahre geschlossen. Andere dieser Anstalten, die es DDR-weit gab, existierten bis zur Wiedervereinigung.

Doris wurde 1968, als sie wieder einmal vor dem prügelnden Vater floh und bei einer Freundin Unterschlupf fand, von Polizisten in Rostock aufgegriffen.

Zunächst befragte man sie: „Wo hast du dich herumgetrieben, mit wem hast du geschlafen?“ Die Fenster vergittert, die Tür dick verkleidet, sodass man von draußen nichts hören konnte, schildert Doris im Beitrag die Anstalt.

Tägliche gynäkologische Untersuchungen

Doris berichtet in dem Hörfunkbeitrag, dass die Mädchen, die damals dort ankamen, zunächst in den oben gelegenen Saal geführt wurden. „Da mussten wir uns dann komplett ausziehen und Anstaltskleidung mit Kittel anziehen.“ Sie dachte damals, sie werde in U-Haft genommen. „Das war mein allererster Eindruck.“

Geweckt wurden die Mädchen um sieben, dann Waschen, dann Frühstück. Dann mussten alle aufräumen, Betten bauen und es folgte die tägliche Untersuchung an allen Mädchen. „Nach und nach musste dann jeder in ein Zimmer mit Arzt und Schwestern. Dort wurde täglich ein gynäkologischer Abstrich gemacht“.

Die täglichen Untersuchungen begründete man gegenüber den Mädchen damit, dass sie geschlechtskrank seien, sie hätten eine Gonorrhoe – im Volksmund Tripper genannt.

Für die Mädchen fühlte es sich jedoch wie ein Gefängnis an. „Wir waren ja tatsächlich eingeschlossen.“ Beschäftigt wurde man mit Aufgaben wie Binden wickeln, Tücher zusammenlegen und Nähen, berichtet Doris im Beitrag.

Geschlafen wurde in Doppelstockbetten, gegessen im selben Zimmer. So waren etwa 30 Frauen verteilt auf zwei Zimmer dicht an dicht über Wochen eingesperrt.

„Für die Mädchen war es beschämend, dass man abgestempelt wurde, als wenn wir Nutten und Schlampen wären“, sagt Doris in dem Feature und schaut dabei aus dem Fenster.

„Es gab keine Möglichkeit, mal einen Baum zu sehen – nur Beton, Beton, Beton. Aber das Schlimmste war, hier eingesperrt zu sein.“

„Nur wenige waren geschlechtskrank“

Vielleicht war Doris nur ein Einzelfall – ein Mädchen, das irrtümlich hier landete? Die Journalistin Nathalie Nad-Abonji sprach dazu mit der Historikerin Dr. Steffi Brüning.

Sie ist Leiterin der Dokumentations- und Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaft der Staatssicherheit Rostock. Die Historikerin untersuchte das Thema Prostitution in der DDR. In ihrer Dissertation konzentrierte sie sich dabei auf die Städte Rostock, Berlin und Leipzig.

„Ich habe erwartet, Prostituierte zu finden, die dort eingewiesen wurden, zum Beispiel in Vorbereitung der Leipziger Messe. Aber das hat sich nicht wirklich als wahr herausgestellt“, so Brüning in dem Hörfunkbeitrag. Im Leipziger Stadtarchiv hat sie 14 Kartons mit Patientenakten aus den geschlossenen Krankenanstalten Leipzig Thonberg gesichtet.

Dabei stellte sich heraus, dass die größte Gruppe, die in der Krankenanstalt festgehalten wurde, minderjährige Mädchen waren. Sie wurden von der Polizei beim sogenannten „Herumtreiben“ erwischt und von den Beamten direkt in die Anstalt gebracht. Für die Historikerin eine schockierende Tatsache.

„Und die waren alle geschlechtskrank?“, fragt die Journalistin Nad-Abonji nach. „Nein, von den minderjährigen Frauen, waren es nur eine Handvoll, die von einer Geschlechtskrankheit betroffen waren. Die meisten waren nicht krank“, erklärt Brüning in dem Beitrag. In Zahlen heißt das: Bei 140 untersuchten „Krankenakten“, waren es zehn Frauen, die krank waren, erfährt man in dem Hörfunkbeitrag.

Die jüngsten Mädchen waren zwölf

Die Historikerin berichtet dann von einer Betroffenen, die 1970 mit 17 Jahren dort eingewiesen wurde. Sie kam nicht aus Leipzig. In einem Schreiben der Abteilung Jugendhilfe ihrer Heimatstadt an die geschlossene Krankenanstalt hieß es:

„Leider blieben alle Bemühungen der staatlichen und gesellschaftlichen Erziehungsträger erfolglos, da die Mutter nicht die Kraft und die Fähigkeit hat, sich gegenüber ihrer Tochter durchzusetzen und die verlorene Autorität wiederzugewinnen. Es muss daher weiterhin versucht werden, mithilfe der Gesellschaft auf sie einzuwirken.“

Und weiter hieß es: „Ihr Aufenthalt in der geschlossenen Station könnte eine gewisse Schockwirkung auf Sie ausüben, die für unsere späteren Bemühungen nutzbar sein könnten.“ Für die Historikerin hatte das alles einen „Charakter von Umerziehung, von totaler Disziplinierung“. Auch durch die Isolierung habe man versucht, einen Schock auszulösen und sie dann irgendwie noch auf die sozialistische Bahn zu bewegen, führt sie im Feature weiter aus.

Das jüngste Mädchen, deren Akte Brüning untersuchte, war gerade mal zwölf Jahre alt. Auch sie sei direkt von der Polizei eingewiesen worden. „Es gab fast keine Frau oder kein Mädchen, die vorher bei einem Arzt war, dort dann eine Krankheit festgestellt wurde und die dann in die Anstalt kam.“

Praxis verstieß gegen DDR-Gesetz

Dabei sah die DDR-Gesetzesverordnung zur Verhütung und Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1961 ein mehrstufiges Verfahren vor. Eine Zwangseinweisung mithilfe der Polizei stand erst ganz am Ende. Zuvor hätten sich „Kranke“ und „Krankheitsverdächtige“ einer ambulanten Untersuchung oder Behandlung verweigern müssen.

Dann wären sie zu einer stationären Behandlung in einem normalen Krankenhaus aufgefordert worden. Erst wenn Geschlechtskranke sich auch dieser Aufforderung entzogen hätten, wäre eine Zwangseinweisung in eine solche Anstalt infrage gekommen.

Interessanterweise sind – obwohl im Gesetzestext nur von „Personen“ die Rede ist – keine gleichartigen Anstalten für junge Männer bekannt. In den Berichten von betroffenen Frauen ist gleichsam immer davon die Rede, dass nur Mädchen und Frauen sich in diesen Anstalten befanden.

Erst durch die Landesbeauftragte für Stasiunterlagen in Sachsen-Anhalt kam die Geschichte dieser Einrichtungen, die es DDR-weit in jedem Bezirk gab, ans Licht. Sie beauftragte zwei Medizinhistoriker, die Geschichte der geschlossenen Krankenanstalten in der DDR zu erforschen, erfährt man in dem Radio-Feature.

Daraufhin meldeten sich zögerlich die ersten Frauen. Sie erzählten von Demütigungen und fragwürdigen Behandlungsmethoden, die Betroffene als tägliche Vergewaltigung empfanden. Doch die meisten Frauen wagen es bis heute nicht, darüber zu reden. Aus Scham und aus Furcht, andere würden mit dem Finger auf sie zeigen, schweigen sie, heißt es in dem Beitrag.

Denn bis heute würde sich hartnäckig das Gerücht halten, die jungen Frauen seien zu Recht dort eingesperrt worden. Das spiegelt sich auch in dem Selbstbildnis mancher betroffenen Frauen wider. Manche sehen sich tatsächlich in ihrem damaligen Verhalten aufgrund der sozialen Ächtung und der vorsätzlich falschen Diagnose einer Geschlechtskrankheit als asozial an und schämen sich dafür.

Susanne kämpft für ihre Rehabilitierung

So ging es auch Susanne (67), bis sie sich ihrer Vergangenheit stellte. Sie wurde mit 15 in die Krankenanstalt in Leipzig Thonberg mit dem Verdacht auf Gonorrhoe eingewiesen. Zuvor wurde sie von Polizisten aufgegriffen. Jahrzehnte später – Deutschland ist wiedervereinigt – erfährt sie, dass die Patientenakten von damals noch existieren.

Durch die Patientenakte erfährt sie, dass sie damals kerngesund war. Als Einweisungsgrund wird „Herumtreiberei“ genannt.

In der Akte sind zudem 21 negative Abstriche vermerkt und mindestens eine sogenannte Fieberspritze, die ein künstlich erzeugtes Fiebern verursacht, um einen vermeintlichen Erreger zu triggern. Den gab es aber in Susannes Fall nicht. Trotzdem hielt man sie vier Wochen in der Krankenanstalt fest.

Susanne wusste nun, dass ihr Unrecht geschehen war und ging für ihre Rehabilitierung vor Gericht. Zunächst lehnte das Chemnitzer Landgericht ihr Rehabilitierungsgesuch ab, weil es keine „sachfremde Erwägungen, insbesondere politische oder Disziplinierung“, bei der Einweisung sah.

Das Dresdener Oberlandesgericht kommt, nachdem Susanne in die Berufung gegangen ist, jedoch zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen zur Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung für Geschlechtskrankheiten nach der damaligen DDR-Verordnung nicht vorlagen.

„Herumtreiben“ sei auch nach damaligem DDR-Gesetz kein ausreichender Grund, jemanden einzusperren – auch der Verdacht auf eine Gonorrhoe nicht. Die Dresdner Richter stellten fest, es sei den Ärzten darum gegangen, Susanne zu disziplinieren. „Sie ist deshalb zu rehabilitieren“, so die Richter.

Susanne erklärt in dem Beitrag: „Du durftest eigentlich deine freiheitlichen Gedanken überhaupt nicht äußern oder leben. Solange du mit dem Strom geschwommen bist, warst du gut und man hat dich in Ruhe gelassen. Aber sobald du einen Schritt daneben gemacht hast, warst du geächtet.“

Sie ist froh, die Vergangenheit aufgearbeitet zu haben. „Ich fühle mich irgendwie befreit. Ich fühle mich befreit von diesem Makel, dass ich asozial wäre. Ich habe keinen asozialen Weg genommen – ich bin meinen Weg gegangen.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 58, vom 20. August 2022.



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