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Verfassung und Parteitaktik

Neue Verfassungsrichter: Union braucht Linke – doch Parteibeschluss steht im Weg

Die Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht entwickelt sich zum Lackmustest für die Kompromissfähigkeit der neuen Regierung unter Kanzler Merz. Nun wird sogar eine Zusammenarbeit mit der Linken wahrscheinlich – trotz des Unvereinbarkeitsbeschlusses. Das Ringen um eine Zweidrittelmehrheit spitzt sich zu.

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Im Jahr 2025 muss der Bundestag drei neue Verfassungsrichter für das BVerfG wählen.

Foto: Uli Deck/dpa

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Das Schuldenpaket, mit dem sich die neue Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz Spielraum verschaffen wollte, hatte der Bundestag noch in seiner alten Besetzung beschließen können. Union, SPD und Grüne verfügten dort noch über eine gemeinsame Zweidrittelmehrheit. Nun stehen jedoch die nächsten weitreichenden Entscheidungen an, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern – und eine davon ist längst überfällig. Es geht um die Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht.

Union will Seegmüller als Verfassungsrichter

Bereits im November 2024 hatte Josef Christ vom Ersten Senat die gesetzliche Altersgrenze überschritten. Er war 2017 auf Vorschlag der Union in seine Funktion gewählt worden. Im Zweiten Senat wird Doris König im Juni mit 68 Jahren die Altersgrenze erreichen. Dazu kommt das frühzeitige Ausscheiden von Ulrich Maidowski, der dieses zum 30. September 2025 angekündigt hatte. Er hatte gesundheitliche Gründe angegeben.
Für die beiden neu zu besetzenden Posten im Zweiten Senat liegt das Vorschlagsrecht bei der SPD. Die Person, die König nachfolgt, wird voraussichtlich auch den Posten des Vizepräsidenten übernehmen und könnte ab 2030 sogar den Präsidentenposten bekleiden.
Christ bleibt vorerst im Amt, bis es den Parteien gelungen ist, sich auf einen Nachfolger zu einigen. Bis heute ist dies nicht geschehen – und es wird nicht einfacher. CDU und CSU hatten bislang Robert Seegmüller als ihren Kandidaten präsentiert. Er ist derzeit Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Linke will eigenes Vorschlagsrecht

SPD und Grüne haben jedoch Bedenken gegen Seegmüller. Grund für diese Einschätzung ist offenbar dessen Eintreten für eine restriktivere Asylpraxis und wiederholte Kritik an den Auswirkungen der Aufnahmepolitik. Seegmüller sprach von einer „Justizlotterie“, da die Gerichte überfordert seien und Asylsuchende ihre Anträge dort anhängig zu machen versuchten, wo sie sich den günstigsten Verfahrensausgang erwarteten.
Zu einer Abstimmung im Wahlausschuss kam es nicht, die Union hat jedoch noch keinen neuen Kandidaten präsentiert. Mittlerweile steht sie vor der Verlegenheit, nicht nur SPD und Grüne, sondern auch die Linkspartei von einer Stimmabgabe für ihren Kandidaten zu überzeugen. Dies dürfte die Debatte um eine Öffnung gegenüber der Partei neu befeuern, mit der die Union laut Parteitagsbeschluss von 2018 nicht zusammenarbeiten dürfte.
Die rechtspolitische Sprecherin der Linken, Clara Bünger, hat bereits jetzt zum Ausdruck gebracht, „Gesprächsbedarf“ mit Blick auf die Personalie Seegmüller zu haben. Gegenüber der „taz“ machte sie auch deutlich, dass ihre Fraktion auch nicht bereit sei, lediglich die Vorschläge anderer Fraktionen abzunicken.

Alte Formel für Verfassungsrichter nach Ausscheiden von FDP hinfällig

Zwar stehe jetzt „eine gute Besetzung der frei werdenden Posten am Bundesverfassungsgericht“ im Vordergrund, sagte Bünger, sie fügte jedoch hinzu, dass die Entscheidungsfindung bezüglich künftiger Verfassungsrichter an die neuen politischen Realitäten angepasst werden solle:
„Perspektivisch sollte auch die Linke ein Vorschlagsrecht für neue Verfassungsrichter und -richterinnen bekommen.“
Zuletzt galt, auch um eine Zweidrittelmehrheit zu sichern, ein inoffizieller Verteilungsschlüssel. Union und SPD sollten die Vorschlagsrechte für jeweils drei Richter erhalten, Grüne und FDP für einen.
Sofern keine erheblichen Bedenken bestünden, sollte jeder Vorschlag von den jeweils anderen mitgetragen werden. Mittlerweile ist die FDP aus dem Bundestag ausgeschieden. Perspektivisch müsste entsprechend, will man Absprachen mit der AfD vermeiden, die Linke mit ins Boot geholt werden.

Bundestag könnte Wahl an den Bundesrat abtreten

Für die Union würde das jedoch eine Verständigung mit der Linken voraussetzen, die deutlich über reine Verfahrensabsprachen hinausginge. Erst zu Beginn des Monats hatte die Entscheidung, durch eine Verständigung mit der Linksfraktion einen zweiten Wahlgang zum Bundeskanzlerposten am 6. Mai zu ermöglichen, für Irritationen gesorgt.
Eine Verständigung mit der Linken auf die Wahl eines Verfassungsrichters würde darüber noch hinausgehen – und wahrscheinlich dem Unvereinbarkeitsbeschluss des Bundesparteitages von 2018 zuwiderlaufen. Dieser besagte, dass die CDU „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland“ ablehne.
Allerdings steht die Union in Thüringen bereits seit 2020 vor der Verlegenheit, bestimmte inhaltliche Entscheidungen mit der Linken koordinieren zu müssen. Im Bund könnte sich diesbezüglich nun ebenfalls die normative Kraft des Faktischen entfalten.
Eine mögliche Alternative wäre es, dem Bundesrat – vorzeitig – die Wahl zu überlassen. Dieser wäre eigentlich nur für die Nachbesetzung der von ihm selbst vorgeschlagenen Richter zuständig. Es gibt jedoch kein gesetzliches Verbot, das eine Delegierung der Entscheidungsfindung untersagen würde. Allerdings scheint keine der Koalitionsparteien dieser Option nähertreten zu wollen – immerhin könnte es einen Kontrollverlust des Bundestages signalisieren.
Reinhard Werner schreibt für die Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.

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