STIKO-Chef Mertens und elf weitere Mitglieder werden ausgetauscht

Das Gremium soll künftig maximal drei Amtszeiten amtieren. Die Nachfolger sollen im März 2024 bekannt gegeben werden.
STIKO-Chef Mertens: Corona ist inzwischen endemisch
Prof. Dr. Thomas Mertens war seit 2017 Vorsitzender der Ständige Impfkommission (Stiko).Foto: David Young/dpa
Von 23. November 2023

Die Ständige Impfkommission wird zu einem großen Teil ausgetauscht. Das vermeldet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Demnach sollte eigentlich schon im März 2023 eine neue Berufungsperiode für neue Mitglieder beginnen. Bislang war das dafür zuständige Bundesgesundheitsministerium (BMG) dieser Aufgabe nicht nachgekommen. Laut „Tagesschau“ ist die Arbeitsperiode des unabhängigen Beratungsgremiums bereits „vor einigen Tagen“ zu Ende gegangen. Deren Vorsitzender, Prof. Dr. Thomas Mertens, ist ebenfalls ausgeschieden. Er war seit 2004 Mitglied, seit 2017 stand er der STIKO vor.

Austausch bedeutet erheblichen Erfahrungsverlust

Die ehrenamtlichen Mitglieder der Kommission sollen künftig nur noch für drei Perioden berufen werden können, sagte Mertens gegenüber der „FAZ“. Dabei verwies er auf Aussagen des Gesundheitsministeriums. „Wenn jetzt nach dieser neuen Regel verfahren wird, werden zwölf aktuelle Mitglieder nicht mehr berufen werden können“, sagt er. Der STIKO gehören derzeit siebzehn Mitglieder an. Unklar sei noch, wer nachrücken werde.

Unter den ausscheidenden Mitgliedern sollen demnach nicht nur die beiden Dienstältesten sein, die 1998 in die Kommission aufgenommen wurden. Prof. Dr. Fred Zepp etwa, emeritierter Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Mainzer Uniklinikum, hatte sein Engagement für die STIKO pandemiebedingt verlängert. Weitere Informationen zu den Hintergründen des Vorgehens des Ministeriums „sind mir nicht bekannt“, sagt er.

Der Austausch von zwei Dritteln des Gremiums bedeute einen erheblichen Erfahrungsverlust. „Die neue STIKO wird wahrscheinlich eine gewisse Zeit benötigen, um sich in die anstehenden Themen einzuarbeiten und belastbare Empfehlungen vorzubereiten“, so Zepp weiter. „Das ist dem BMG aber sicher auch bewusst.“

Er selbst leite künftig den wissenschaftlichen Beirat des Internationalen Vakzine-Instituts der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Südkoreas Hauptstadt Seoul.

Der Sprecher Lauterbachs wollte die Planungen für die STIKO nicht kommentieren, so die „FAZ“ weiter.

Mertens: Fachlich in Pandemie keine Fehler gemacht

Der „Nordkurier“ veröffentlichte ein ausführliches Interview, das STIKO-Chef Mertens der „Katholischen Nachrichten-Agentur“ (KNA) gegeben hatte. Darin zieht der 73-Jährige eine positive Bilanz seiner Arbeit – und auch zu den Entscheidungen des Gremiums in Zeiten der Pandemie. Mehrmals die Woche habe man in Videokonferenzen stundenlang getagt und unter anderem 25 Empfehlungen zur COVID-Impfung erarbeitet.

Beim Satz des früheren Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der sagte „Wir werden uns viel verzeihen müssen“ fühlte sich Mertens nicht angesprochen. Für die fachliche Arbeit der STIKO könne er das nicht sagen: „Was unsere Impfempfehlungen angeht, sehe ich wirklich keine Fehler. Ich könnte alle diese Texte auch heute noch unterschreiben. Die Kritik an der STIKO war vielfach einfach falsch, was nachweislich auch die bemängelte Langsamkeit betrifft.“

Anders sei es da jedoch bei den Kontaktsperren für Kinder und Senioren. Die Coronaerkrankung sei bei Kindern „meist unkompliziert“ verlaufen. „Sie haben viel stärker durch die Isolierungsmaßnahmen einschließlich der Schulschließungen gelitten.“ Andererseits müsse man auch sehen, „dass man im Nachhinein immer schlauer ist“. Viele Entscheidungen hätten damals schnell und mit begrenztem Wissen getroffen werden müssen.

Zu wenige Gesundheitsdaten in Deutschland

Ein zentrales Problem beim Umgang mit Corona sei der Umstand, „dass wir in Deutschland viel zu wenig Gesundheitsdaten haben.“ Das zeige sich am Beispiel der Intensivbetten. Bis zum Aufbau eines entsprechenden Registers „wussten wir nicht, wie viele solcher Betten wir hatten und wie viele wo belegt waren“.

Er habe auch mehrfach ein Impfregister gefordert, „das sehr zeitnah ausweisen kann, wie viele Menschen geimpft sind, wie wirksam diese Maßnahmen sind oder welche seltenen Nebenwirkungen es gibt“. Solch ein Register ist natürlich sehr aufwendig.

Er hoffe daher, „dass jetzt die elektronische Patientenakte auch hier Daten liefert“. Mertens merkte auch an, dass es problematisch gewesen sei, dass es in jedem Bundesland unterschiedliche Maßnahmen gab. „Wenn jedes Bundesland andere Vorgaben für Impfstationen und Impf-Anmeldungen macht, führt das zu Reibungsverlusten. Dazu kommen Konkurrenzdenken und auch politische Motivationen, zum Beispiel bei Ministerpräsidenten.“

Kommunikation als größtes Problem

Das größte Problem sei seiner Ansicht nach jedoch die Kommunikation. „Viele Politiker hatten das dringende Bedürfnis, sich häufig zu äußern. Auch viele Journalisten waren auf der Suche nach zugespitzten Formulierungen und möglichst abweichenden Meinungen ‐ das war kein Ruhmesblatt für manche Medien“, kritisierte er. Er habe das auch selbst zu spüren bekommen: „Ich hatte in einem längeren Blog erläutert, wie eine Impfempfehlung entsteht und abschließend gesagt, dass ich meine Enkel ohne einen für Kinder konfektionierten Impfstoff und ohne STIKO-Empfehlung zum damaligen Zeitpunkt nicht würde impfen lassen. Daraufhin wurde mir dann ständig unterstellt: Der STIKO-Chef würde seine Kinder nicht impfen lassen.“ Solche „Verkürzungen und Vielstimmigkeit“ hätten für zu viel Verwirrung, Frust und Mythenbildung geführt. „Die Menschen im Land können keine Experten sein. Letztlich haben auch radikale Impfgegner davon profitiert“, meint Mertens.

Mertens: Viele Politiker waren nicht gerade hilfreich

Dass die STIKO dafür kritisiert wurde, zu zögerlich gehandelt zu haben, will der 73-Jährige so nicht gelten lassen. „Wir standen natürlich immer unter dem Druck der unterschiedlichen Erwartungen von Politikern, Befürwortern oder Gegnern der Impfungen, haben uns aber davon nie beeinflussen lassen. Wir haben versucht, auf der Grundlage aller wissenschaftlichen Daten zu entscheiden ‐ und diese Daten mussten ja erstmal da sein“, versichert er.

Insbesondere „viele Politiker“ habe er als „nicht gerade hilfreich empfunden“. Da sei nicht auf Basis von wissenschaftlichen Daten argumentiert worden. „Da ging es darum, politischen Handlungswillen zu demonstrieren, das eigene Profil zu schärfen oder politischen Druck zu entwickeln. Da wurden teilweise schwer erträgliche Beschlüsse gefasst ‐ etwa, wenn anfangs schnelle Impfungen von Kindern gefordert wurden, aber gleichzeitig gesagt wurde, dass der Bund keine Haftung übernimmt.“

Zu seinem Ausstieg aus der STIKO sagte Mertens, dass er schon vor längerer Zeit gesagt habe, dass dies seine letzte Amtszeit sei. Auf Bitten des Bundesgesundheitsministeriums habe das Gremium in der nun abgelaufenen Berufungsperiode ein Jahr länger gearbeitet als vorgesehen. „Wir schließen auch noch einige wichtige Sachen ab, die aufgrund der COVID-19-Belastung liegengeblieben sind. Im März soll es eine neue Kommission geben“, sagte er.



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