Zahlungsunfähigkeit bis Ende 2025 - Stuttgart in finanzieller Not
Stuttgart, einst schuldenfrei, steht vor der schwersten Haushaltskrise seit 2009. Einbrechende Gewerbesteuern, wachsende Pflichtausgaben und schwindende Rücklagen zwingen Verwaltung und Gemeinderat zu einem Sparhaushalt. Mit spürbaren Folgen für die Bürger der Stadt.

Stuttgart von oben: Hinter der wirtschaftlichen Stärke der Metropole wächst der finanzielle Druck. Zum Jahresende droht der Stadt rechnerisch die Zahlungsunfähigkeit.
Foto: Bernd Weißbrod/dpa
In Kürze:
- Dramatischer Einnahmeeinbruch: Sinkende Gewerbesteuern und steigende Pflichtausgaben reißen große Haushaltslücken.
- Sparhaushalt unvermeidlich: Stuttgart muss Leistungen kürzen, Investitionen verschieben und neue Schulden aufnehmen.
- Akute Finanzgefahr: Zum Jahresende ist die Stadt rechnerisch zahlungsunfähig.
Von außen betrachtet, gilt Stuttgart noch immer als eine wohlhabende Stadt. Die Wirtschaft ist leistungsfähig, die Innovationskraft hoch, die Arbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig.
Die Landeshauptstadt Baden-Württembergs gilt als eine der wirtschaftsstärksten Metropolen Europas. Weltweit agierende Großkonzerne ebenso wie ein leistungsfähiger Mittelstand prägen den Standort, der vor allem durch innovative Unternehmen aus dem Fahrzeug- und Maschinenbau internationale Bedeutung erlangt hat. Mehr als 29.000 Unternehmen erwirtschafteten im Jahr 2022 in der Landeshauptstadt einen Umsatz von über 308 Milliarden Euro. Die Bruttowertschöpfung belief sich auf gut 53 Milliarden Euro und damit auf mehr als 10 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs.
Durchschnittlich verdiente jeder Stuttgarter nach Angaben des Statistischen Landesamtes 53.177 Euro im Jahr 2022. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen Baden-Württembergs lag in dieser Zeit mit 42.331 Euro unter dem Stuttgarter Niveau. Deutschlandweit lag das Durchschnittseinkommen laut Statistischem Bundesamt bei 50.928 Euro.
Ausgaben übersteigen Einnahmen
Doch der Eindruck einer Stadt, der es gut geht, verfliegt zunehmend. Hinter den Kulissen ist die finanzielle Lage der Landeshauptstadt angespannt, wie seit Jahren nicht mehr. Um die Bürger zu informieren, hat die Stadt eine Informationsseite auf ihrer Website eingerichtet.
„Die Landeshauptstadt steht vor enormen Herausforderungen“, kann man auf der Seite lesen. Die Ausgaben übersteigen die Einnahmen, Rücklagen lösen sich auf und der haushaltspolitische Spielraum schrumpft rapide. Für die Jahre 2026 und 2027 muss Stuttgart erstmals seit 2009 wieder einen Sparhaushalt aufstellen.
Dabei war die Ausgangslage lange komfortabel. Seit 2018 war Stuttgart im Kernhaushalt schuldenfrei – ein Umstand, auf den man im Rathaus mit Recht stolz war. Hohe Gewerbesteuereinnahmen, vorrangig gespeist aus der Automobilindustrie und ihren Zulieferern, ermöglichten es, parallel große Investitionen zu tätigen, neue Projekte anzustoßen und ein breites Spektrum freiwilliger Leistungen zu finanzieren.
Rückblickend räumt Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann ein, dass man sich in diesen Jahren viel vorgenommen habe. „Was wir ehrlich sagen müssen: Ein Grund für die heutige Lage ist auch, dass wir in den letzten – guten – Jahren schlichtweg zu viele große Projekte und freiwillige Aufgaben angestoßen haben, die sich selbst eine Stadt wie Stuttgart eigentlich nicht gleichzeitig leisten kann“, so Fuhrmann.
Rechnerisch zum Jahresende zahlungsunfähig
Der Wendepunkt kam schneller und härter als erwartet. Seit dem Jahr 2024 brechen die Gewerbesteuereinnahmen massiv ein. Für das Haushaltsjahr 2025 rechnet die Stadtkämmerei nur noch mit rund 750 Millionen Euro, nachdem ursprünglich 1,2 Milliarden Euro eingeplant waren.
Auch die Ansätze für 2026 und 2027 mussten deutlich nach unten korrigiert werden. Damit verliert Stuttgart seine wichtigste Einnahmequelle, die traditionell zwischen knapp einem Viertel und fast einem Drittel der gesamten Erträge ausmacht. Hinzu kommen drohende Rückforderungen bereits gezahlter Gewerbesteuern. „Die ganze Härte kennen wir erst seit einigen Wochen“, sagte Fuhrmann. „Dabei war vor zwei Jahren noch nicht absehbar, dass wir solche Rückgänge bei der Gewerbesteuer erleben würden.“
Gleichzeitig steigen die Ausgaben ungebremst. Besonders stark wirken sich die gesetzlichen Pflichtaufgaben aus, die der Stadt durch Bundes- und Landesrecht übertragen werden. Dazu zählen die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, die Kinder- und Jugendhilfe, die Grundsicherung im Alter, die Unterbringung und Integration von Geflüchteten sowie wachsende Ausgaben im Bildungsbereich. Diese Aufgaben müssen erfüllt werden, unabhängig von der finanziellen Lage der Kommune.
Zwar erhalten Städte und Gemeinden hierfür Zuweisungen von Bund und Land, doch nach Einschätzung der Stadt decken diese Mittel häufig nur einen Teil der tatsächlichen Kosten. „Bund und Land finanzieren diese Leistungen nicht ausreichend“, sagte Fuhrmann. „So liegen unsere Ausgaben inzwischen klar über den Einnahmen.“
Die Konsequenzen lassen sich in Zahlen fassen, die selbst erfahrene Haushälter aufschrecken. Für 2025 erwartet Stuttgart ein Defizit von rund 785 Millionen Euro, ein historisch hoher Wert. Auch für die Jahre bis 2030 prognostiziert die Stadtkämmerei jährliche Fehlbeträge in dreistelliger Millionenhöhe. In den Jahren 2023 und 2024 konnten Defizite noch durch Überschüsse aus früheren Abschlüssen ausgeglichen werden. Diese Reserven sind inzwischen weitgehend aufgebraucht oder fest verplant. Ende 2025, so die Prognose, wird die Zahlungsfähigkeit der Stadt rechnerisch unter null liegen.
Haushalt auf dem Prüfstand
Damit wächst der Druck von außen. Kommunen unterliegen strengen haushaltsrechtlichen Vorgaben. Laufende Ausgaben dürfen nicht über Kredite finanziert werden, neue Schulden sind nur für Investitionen zulässig und bedürfen der Genehmigung durch die Kommunalaufsicht.
Für Stuttgart ist das Regierungspräsidium zuständig. Es hat bereits bei der Prüfung des Nachtragshaushalts 2025 deutlich gemacht, dass ohne substanzielle Einsparungen künftige Haushalte nicht genehmigt würden. „Kredite dürfen nur für Investitionen aufgenommen werden, nicht für laufende Ausgaben“, betont Fuhrmann. „Löhne, soziale Leistungen oder Energiekosten über Schulden zu finanzieren, ist weder zulässig noch verantwortbar.“
Gleichwohl ist die Stadt gezwungen, neue Kredite aufzunehmen. Für den Zeitraum von 2026 bis 2030 plant Stuttgart Kreditaufnahmen in Höhe von insgesamt 2,4 Milliarden Euro. Sie sollen vor allem dazu dienen, den erheblichen Investitionsrückstand bei Schulen, Straßen, Brücken und dem öffentlichen Nahverkehr abzubauen. Denn auch hier ist der Handlungsdruck groß. „Um unsere Infrastruktur zu erhalten, müssen wir ab 2026 Kredite aufnehmen“, so Fuhrmann. „Doch der rechtliche Spielraum dafür ist eng, weshalb eine Konsolidierung unverzichtbar ist.“
Haushaltsloch von 800 Millionen Euro
Im Mittelpunkt der aktuellen Debatte steht der Doppelhaushalt für die Jahre 2026 und 2027. Der Entwurf weist derzeit ein Defizit von fast 800 Millionen Euro aus. Allein für 2026 wird ein Fehlbetrag von 478,2 Millionen Euro erwartet, für 2027 weitere 303,8 Millionen Euro. Diese Summen müssen durch Einsparungen, Einnahmesteigerungen oder eine Kombination aus beidem geschlossen werden, um einen genehmigungsfähigen Haushalt vorzulegen. Der Gemeinderat erlegte der Verwaltung deshalb bereits im Sommer 2025 ein Haushaltssicherungskonzept auf, dessen erste Stufe nun umgesetzt werden soll.
Die Leitlinien dieses Sparhaushalts sind klar, ihre Umsetzung politisch heikel. Vorrang hat der Erhalt bestehender Infrastruktur vor neuen Projekten. Noch nicht begonnene Vorhaben sollen zurückgestellt werden, laufende Projekte dagegen fortgeführt, da ein Abbruch häufig teurer wäre als die Fertigstellung. Im Personalbereich gilt eine weitgehende Einstellungssperre. „Wir besetzen nur noch Stellen für gesetzliche Pflichtaufgaben“, sagte Fuhrmann. „Alles andere unterliegt einer strengen Besetzungssperre.“
Besonders schmerzhaft sind die Einschnitte bei den freiwilligen Leistungen. Während Pflichtaufgaben rechtlich geschützt sind, geraten Angebote in den Bereichen Kultur, Sport, Jugend- und Sozialarbeit unter Druck. Bibliotheken, Schwimmbäder, Förderprogramme und Zuschüsse stehen zur Disposition. Die Verwaltung betont, dass flächendeckend gekürzt werden müsse. „Die Konsolidierung wird für uns alle spürbar sein – das sage ich offen“, erklärte Fuhrmann. „Manche Leistungen werden reduziert, Projekte verschoben und Gebühren oder Steuern angehoben.“
Parallel dazu plant die Stadt, ihre Einnahmen zu erhöhen. Vorgesehen sind unter anderem die Einführung einer Übernachtungssteuer, höhere Gebühren für Anwohnerparken und Friedhöfe sowie Anpassungen bei der Hunde- und Zweitwohnungssteuer. Auch eine Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes wird diskutiert. Ziel ist es, den finanziellen Handlungsspielraum zu vergrößern und die Neuverschuldung zu begrenzen. Zugleich betont Fuhrmann, dass es darum gehe, die Stadt langfristig zu stabilisieren. „Wir müssen jetzt die finanzielle Handlungsfähigkeit sichern, um kommende Generationen nicht zu überlasten“, sagte er.
Lage der Kommunen bundesweit angespannt
Stuttgart ist mit diesen Problemen nicht allein. Bundesweit ist die Finanzlage der Kommunen angespannt. 2024 verzeichneten sie ein Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro, für 2025 werden noch höhere Fehlbeträge erwartet. Ursachen sind eine schwache Konjunktur, steigende Sozialausgaben, Inflation sowie eine strukturelle Unterfinanzierung kommunaler Aufgaben. Besonders umstritten ist das Konnexitätsprinzip, das beim Bund nicht greift. Kommunen müssen bundesrechtliche Vorgaben erfüllen, auch wenn sie dafür eigene Angebote kürzen müssen.
Vor diesem Hintergrund haben sich die Oberbürgermeister der deutschen Landeshauptstädte mit einem Brief an die Bundesregierung gewandt und eine Neujustierung der kommunalen Finanzausstattung gefordert. Für Stuttgart kommt Hilfe von außen, wenn überhaupt, spät. Der Doppelhaushalt 2026/2027 soll im Dezember 2025 verabschiedet werden. Er muss genehmigungsfähig sein, sonst drohen verschärfte Auflagen durch das Regierungspräsidium bis hin zu einer formellen Haushaltsnotlage.
Für Fuhrmann ist die Situation dennoch kein Grund zur Resignation. „Wir müssen an unsere Stärke glauben und nach vorne schauen“, sagte er. „Die Stadt, die wir heute gestalten, wird die Stadt sein, in der unsere Kinder morgen leben.“ Doch klar ist auch: Die Jahre scheinbar müheloser Finanzpolitik sind in Stuttgart vorbei.
Patrick Langendorf schreibt seit drei Jahren für Epoch Times zu den Themen Politik, Wirtschaft und Finanzen.
Aktuelle Artikel des Autors
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.











