Migration gen Deutschland: EU reicht Schwarzen Peter an Polen weiter

Die Zahl der Migranten, die aus Belarus eingereist waren und unregistriert die polnisch-deutsche Grenze überquert hatten, stieg im Oktober auf über 5.000. Polen will seine Grenzen mithilfe einer Mauer befestigen – die EU sperrt sich jedoch gegen eine Mitfinanzierung.
Titelbild
Polens Militär baut einen Stacheldraht, um seine Grenzen vor illegaler Einwanderer aus Belarus zu schützen.Foto: JAAP ARRIENS/AFP via Getty Images
Von 7. November 2021

Die Lage entlang der Grenze zwischen Polen und Belarus spitzt sich angesichts des herannahenden Winters weiter zu. Für immer mehr Schutzsuchende aus Ländern wie Syrien und Afghanistan erscheint der Weg über die weißrussische Grenze als derzeit aussichtsreichste Option, um in die EU gelangen zu können – und in den meisten Fällen weiter nach Deutschland, wo der vermeintlich sicherste Verbleib und der höchste Lebensstandard gewährleistet zu sein scheinen.

Neuer Rekord an deutscher Grenze

Während im gesamten Zeitraum zwischen Januar und Oktober 7.832 Personen, die im Kontext der Krise an der Grenze zu Belarus nach Polen gelangt waren, weiter nach Deutschland gelangt sind, waren es deutschen Behörden zufolge allein im Oktober selbst 5.285. Dies berichteten Medien unter Berufung auf die dpa.

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben als Sofortmaßnahme die Zahl der Fahrzeugkontrollen im Grenzgebiet zu Polen deutlich ausgeweitet. Der scheidende Bundesinnenminister Horst Seehofer hat am Mittwoch der Vorwoche (28.10.) zudem gemeinsame Patrouillen auf der polnischen Seite der Grenze angeregt, die helfen könnten, illegale Grenzgänger oder Beteiligte am Menschenschmuggel zu identifizieren.

Bereits die bisher vorgenommenen, intensivierten Kontrollen ermöglichten es, Gruppen von Dutzenden oder sogar Hunderten Migranten am Tag, die in organisierter Weise von Belarus aus ihren Weg nach Deutschland suchten, aufzugreifen.

Weltoffenheit der EU 

In der EU ist der Katzenjammer groß, seit der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko die Liste jener Staaten ausgeweitet hat, von denen aus Menschen visafrei in Belarus einreisen dürfen. Unter diesen befinden sich nun auch der Iran, Pakistan und Jordanien. Lukaschenko reagierte damit auf verschärfte Sanktionen aus Brüssel im Zusammenhang mit den innenpolitischen Konflikten in der früheren Sowjetrepublik.

Der Machthaber in Minsk will die EU auf diese Weise vorführen und die vermeintliche Weltoffenheit und Werteorientierung Brüssels auf die Probe stellen: Ihm ist klar, dass die meisten der in sein Land eingereisten Migranten versuchen werden, in die EU zu gelangen, und er zeigt kein Interesse, sie daran zu hindern.

Die Krise bringt unterdessen immer mehr an menschlichen Tragödien mit sich. Niemand kann verbindlich einschätzen, wie viele Schutzsuchende es sind, die in den Wäldern entlang der Grenze in immer kälteren Nächten im Freien ausharren und auf ihre Chance warten.

Todesopfer an der Grenze

Migranteninitiativen zufolge war ein irakischer Flüchtling jüngst das mittlerweile zehnte Todesopfer entlang der Grenze zwischen Polen und Belarus – und die Berichte darüber, auf wessen Seite der Mann gestorben ist, widersprechen einander. Der Iraker soll am vergangenen Freitag beim Versuch eines Grenzübertritts verstorben sein.

Weißrussische Grenzer erklärten am darauffolgenden Tag in einem Statement, der Mann sei auf der polnischen Seite umgekommen. Polens Sicherheitsbehörden hätten, so wird weiter behauptet, andere Einwanderungswillige im Zuge eines Pushbacks zurückgedrängt und diese dabei auch genötigt, die Leiche über die Grenze mitzunehmen.

Die polnischen Grenzschützer betonen hingegen gegenüber der „Gazeta Wyborcza“, beteiligte Grenzschützer „hätten einen Vorfall dieser Art gemeldet, wenn er sich tatsächlich ereignet hätte“. Bis dato hatten polnische Behörden zu keiner Zeit in Abrede gestellt, dass sieben der zehn bis dato an der Grenze ums Leben gekommenen Flüchtlinge auf der polnischen Seite gefunden worden seien.

Die häufigsten Todesursachen seien Erschöpfung und Erfrieren. Bereits in den Dörfern entlang der Grenze sinken die Temperaturen um diese Jahreszeit auf fast null Grad ab – in den Wäldern und Sumpfgebieten ist es noch kälter. Der Weg durch die Flüsse ist deshalb lebensgefährlich. Viele Migranten haben auf dem Weg ihre Schuhe verloren und verfügen nicht über die passende Kleidung, um Tage oder Wochen im Grenzgebiet überleben zu können.

Um Missbräuche zu vermeiden und Unbefugte fernzuhalten, hat Polens Regierung bereits seit mehreren Monaten den Ausnahmezustand über die Grenzgebiete verhängt. Vertreter von NGOs oder Medien erhalten deshalb keinen Zutritt an die Orte des Geschehens.

EU will sich nicht an Mauerkosten beteiligen

Polens Parlament hat mittlerweile ein Gesetz beschlossen, das den Bau einer Mauer mit Stacheldrahtzaun entlang der Grenze zu Belarus vorsieht. Dies berichtete jüngst BBC. Der Wall soll 5,50 Meter hoch sein, mit Bewegungsmeldern und Überwachungskameras ausgestattet sein und etwa die Hälfte der 400 Kilometer langen Grenze zwischen beiden Staaten abdecken. Präsident Andrzej Duda muss das Gesetz noch unterschreiben, seine Zustimmung gilt jedoch als sicher.

Das Bauwerk soll bis zum nächsten Sommer fertig sein und die Kosten werden auf 353 Millionen Euro geschätzt. Die Regierung in Warschau, die sich ohnehin bereits um Corona-Wiederaufbaumittel geprellt sieht, erwartet nun aus Brüssel eine finanzielle Beteiligung an dem Vorhaben – das immerhin auch dem Schutz anderer Mitgliedstaaten diene.

Die EU verweigert bislang eine Kostenbeteiligung. Diesmal werden jedoch nicht angebliche Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit als Begründung bemüht, sondern die behauptete Ineffizienz der beabsichtigten Maßnahme. Außerdem würden möglicherweise berechtigte Asylsuchende auf diese Weise um ihre Möglichkeit gebracht, in der EU um Asyl anzusuchen.

Litauen und Lettland, die vor einer ähnlichen Situation wie Polen stehen, haben bis dato noch keine offiziellen Anfragen in dieser Sache gestellt. Allerdings hatten in der Vorwoche bereits zehn EU-Staaten die Kommission in Brüssel aufgefordert, für „Barrieren“ zur Abwehr von illegalen Einwanderern aus Belarus zu bezahlen.

In Brüssel heißt es unterdessen, man verspreche sich von der Entsendung von Grenzsoldaten und Hightech-Lösungen größere Erfolge. Wie bereits nach der Krise 2015, als Ungarn Mittel für eine Verstärkung des Grenzschutzes in Richtung Serbien begehrt hatte, sträubt sich die EU einmal mehr, einen der wichtigsten potenziellen Übertrittspunkte für nicht dokumentierte Migranten abzusichern.

Brüssel zahlte 80 Millionen Euro für Grenzmauer in der Türkei

Erfolgreicher im Bemühen, die EU zu einer eigenen finanziellen Beteiligung zu bewegen, wenn es um die Sicherstellung eines geordneten Grenzregimes geht, war hingegen die Türkei, die „Euronews“ zufolge erst jüngst damit begonnen hat, eine drei Meter hohe und auf 241 Kilometern geplante Betonmauer an der Grenze zum Iran zu bauen.

Bereits 2015 hatte die Regierung in Ankara den Bau einer ähnlich massiven Befestigung entlang der Grenze des Landes in Angriff genommen. Im Juni 2018 war der Grenzwall auf einer Länge von 764 Kilometern fertiggestellt, der außerdem durch 120 Wachttürme und eine Sicherheitsschneise für Militärfahrzeuge abgesichert ist.

Wie der „Spiegel“ und das Netzwerk European Investigative Collaborations (EIC) in Erfahrung gebracht haben wollen, sollen die EU-Staaten der türkischen Regierung in Ankara für den Schutz der Grenzen zu Syrien Sicherheits- und Überwachungstechnik im Wert von mehr als 80 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben. 35,6 Millionen Euro aus Brüssel seien dabei an das türkische Unternehmen Otokar gegangen, das gepanzerte Cobra-II-Militärfahrzeuge einsetzt, die bei Patrouillen zum Einsatz kommen.

Die Türkei rühmt sich ihres Erfolges bei der Unterbindung des Zustroms illegaler Einwanderer aus Syrien – und meldet ähnliches bereits jetzt mit Blick auf das neue Grenzprojekt: So soll es den Sicherheitskräften an der Grenze zum Iran bislang nicht nur gelungen sein, mehr als 69.000 illegale Grenzübertritte zu verhindern. Es wurden demnach auch 904 Tatverdächtige im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Menschenschmuggels festgenommen.



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