Wie die Natur unser Zeitempfinden verändern kann

Dass Zeit relativ ist, wusste bereits Albert Einstein. Auch mehrere Studien zeigen, dass Menschen ihre Zeit in der Natur anders empfinden als in der Stadt. Wer aus dem Alltagsstress entfliehen möchte, sollte demnach öfters das Grüne aufsuchen.
Wie die Natur unser Zeitempfinden verändern kann
Zeit ist relativ – das wusste bereits Albert Einstein.Foto: iStock
Von 27. April 2024

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass der Tag nicht genug Stunden hat? Dass die Zeit irgendwie an Ihnen vorbeirennt und es unmöglich ist, alles unterzubringen? Aber dann gehen Sie hinaus in die Natur und plötzlich erscheint alles langsamer, entspannter, als ob sich die Zeit irgendwie verändert hätte. Das geht nicht nur Ihnen so. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die Natur unser Zeitempfinden beeinflussen kann.

Bei der Bestrebung, Arbeit, Haushalt und Familie unter einen Hut zu bekommen, haben viele Menschen das Gefühl von Zeitnot. [1] Diese Art der Armut hat sich durch die digitalen Technologien noch verschärft. [2] Die ständige Erreichbarkeit verlängert zum einen die Arbeitszeiten und zum anderen macht sie es schwierig, bei all den Wünschen von Freunden und Familie noch Zeit für sich zu finden.

Jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, dass das Gegenmittel für unseren Zeitmangel in der Natur liegen könnte. [3] Der Psychologe Richardo Correia von der Universität Turku in Finnland hat herausgefunden, dass der Aufenthalt in der Natur unser Zeitempfinden verändert und uns vielleicht sogar das Gefühl von Zeitfülle geben kann.

Die Natur hilft uns, das größere Bild zu sehen

Correia untersuchte Studien, in denen andere Wissenschaftler das Zeitempfinden von Menschen miteinander verglichen, die verschiedene Aufgaben in städtischen und natürlichen Umgebungen durchführten. Sie zeigten durchweg, dass Menschen im Vergleich zu städtischen Umgebungen in der Natur ein Gefühl von erweiterter Zeit haben.

So wird beispielsweise ein Spaziergang in der Natur eher als länger empfunden als ein gleich langer Spaziergang in der Stadt. Eine zweite Studie zeigt, dass für Menschen die Zeit langsamer vergeht, wenn sie Aufgaben in einer natürlichen grünen Umgebung erledigen statt in einer städtischen. [4] Die Natur scheint unser Zeitempfinden zu verlangsamen und zu erweitern.

Nicht nur unser momentanes Zeitgefühl scheint sich durch die Natur zu verändern, sondern auch unser Gefühl für die Vergangenheit und die Zukunft. Frühere Forschungen haben gezeigt, dass ein Aufenthalt in der Natur dazu beiträgt, unseren Fokus von der unmittelbaren Gegenwart auf unsere zukünftigen Bedürfnisse zu verlagern. Anstatt uns also auf den Stress der Anforderungen unserer Zeit zu konzentrieren, hilft uns die Natur, das größere Bild zu sehen. [5]

Außerdem kann es uns dabei helfen, Prioritäten zu setzen, damit wir unsere langfristigen Ziele erreichen, anstatt ständig in einem Zustand zu leben, in dem wir uns gerade noch über Wasser halten können.

Dies liegt zum Teil daran, dass der Aufenthalt in der Natur uns offenbar weniger impulsiv macht. [6] Statt nach langfristigen Belohnungen zu streben, sind wir so in der Lage, das Jetzt zu genießen.

Warum die Natur unser Zeitempfinden beeinflusst

Es ist bekannt, dass der Aufenthalt in der Natur viele Vorteile für die Gesundheit und das Wohlbefinden mit sich bringt. [7] Der Zugang zu Stränden, Parks oder Wäldern wird mit einer Verringerung von Angstzuständen und Depressionen, besserem Schlaf, weniger Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einem besseren allgemeinen Wohlbefinden in Verbindung gebracht. [8]

Einige dieser Vorteile könnten erklären, warum der Aufenthalt in der Natur unser Zeitempfinden verändert. Die Art und Weise, wie wir die Zeit erleben, wird von unserem inneren biologischen Zustand und den Ereignissen in der Welt um uns herum geprägt. [9] Infolgedessen können Emotionen wie Stress, Angst und Furcht unsere Wahrnehmung des Zeitablaufs verzerren.

Die entspannende Wirkung natürlicher Umgebungen kann Stress und Ängsten entgegenwirken und zu einem stabileren Zeitempfinden führen. [10] Der fehlende Zugang zur Natur während des Corona-Lockdowns könnte eine Erklärung dafür sein, warum das Zeitgefühl der Menschen während der Pandemie so gestört war.

Kurzfristig kann die Abwesenheit von den Anforderungen des modernen Lebens eine dringend nötige Ruhepause bieten. So können die Prioritäten im Leben neu gesetzt und der Zeitdruck verringert werden, indem man sich auf das konzentriert, was wirklich getan werden muss.

Langfristig kann der Aufenthalt in der Natur dazu beitragen, unser Gedächtnis und unsere Aufmerksamkeit zu verbessern, sodass wir besser in der Lage sind, die Anforderungen unserer Zeit zu bewältigen.

Zugang zur Natur ist wichtig

In die Natur zu gehen, klingt nach einer einfachen Lösung. Allerdings kann dies für viele Menschen, vor allem wenn sie in städtischen Gebieten leben, schwer sein. Bäume, Wälder, Parks und Kleingärten in und um Städte herum sind wichtig, um sicherzustellen, dass die Vorteile von Zeit in der Natur für jeden zugänglich sind. [11]

Wenn es für Sie nicht möglich ist, Zeit in der Natur zu verbringen, gibt es andere Möglichkeiten, um die Kontrolle über die Zeit zurückzugewinnen. Beginnen Sie damit, dass Sie genau prüfen, wie Sie Ihre Zeit in der Woche nutzen. Mit dieser Überprüfung können Sie erkennen, wo Zeit verschwendet wird – und folglich Gegenmaßnahmen ergreifen.

Alternativ dazu können Sie versuchen, sich selbst Grenzen zu setzen. Dies könnte bedeuten, dass Sie den Zugriff auf soziale Medien und E-Mails einschränken oder in Ihrem Kalender bewusst eine Pause einplanen. Wenn Sie die Kontrolle über Ihre Zeit und deren Nutzung übernehmen, können Sie das Gefühl überwinden, dass Ihnen die Zeit davonläuft.

Quellen und Literatur:

[1] Venz et al. (2021); doi.org/10.1111/apps.12357

[2] Rosa (2013); doi.org/10.7312/rosa14834-018

[3] Correia (2024); doi.org/10.1002/pan3.10601

[4] Ehret et al. (2020); doi.org/10.1002/acp.3664

[5] Van der Wal et al. (2013); doi.org/10.1098/rspb.2013.2295

[6] Berry et al. (2014); doi.org/10.1371/journal.pone.0097915

[7] White et al. (2019); doi.org/10.1038/s41598-019-44097-3

[8] Frumkin et al. (2017); doi.org/10.1289/EHP1663

[9] Ogden et al. (2022); doi.org/10.1038/s41598-022-16198-z

[10] Berman et al. (2008); doi.org/10.1111/j.1467-9280.2008.02225.x

[11] Tzoulas et al. (2007); doi.org/10.1016/j.landurbplan.2007.02.001

Über die Autoren:

Prof. Dr. Ruth Ogden, Professorin der Psychologie der Zeit, ist Dozentin für experimentelle Psychologie an der Liverpool John Moores University, Vereinigtes Königreich. Als Leiterin des TIMED-Projektes, einer groß angelegten kulturübergreifende Forschungsstudie, untersucht sie, wie die zunehmende Nutzung digitaler Technologien das persönliche und gesellschaftliche Zeitempfinden in Europa beeinflusst.

Jessica Thompson ist Doktorandin für Umwelt und Wohlbefinden an der University of Salford, Vereinigtes Königreich und Geschäftsführerin der englischen Wohltätigkeitsorganisation City of Trees, die sich für kommunale Forstwirtschaft einsetzt. Mit ihrer Forschung möchte sie Auswirkungen zivilgesellschaftlicher Umweltaktivitäten aus akademischer Sicht besser verstehen.

Dieser Artikel erschien im Original auf theconversation.com unter dem Titel: „How nature can alter our sense of time“ (Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Autoren. Redaktionelle Bearbeitung ts).



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