Das „Grundparadoxon“ der Bildungspolitik: Schulen fehlt Mitspracherecht
Die Unzufriedenheit unter Schulleitern wächst. Nur die Hälfte von ihnen würde ihren Beruf weiterempfehlen. Darüber informierte Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), als er am 8. November die neuesten Ergebnisse der jährlichen forsa-Schulleitungsbefragung vorstellte. 1.311 Schulleitungen nahmen daran teil.
„Das Grundparadoxon jedoch ist, dass jene, die am weitesten von der Schule vor Ort entfernt sind, die Entscheidungen treffen, welche für diese die größten Auswirkungen haben“, schilderte der Gewerkschafter. Er bedauerte, dass die Expertise der Schulleitungen und Lehrkräfte nicht ausreichend genutzt wird.
Laut der Umfrage können nur 3 Prozent der Schulleitungen ihre Aufgaben immer zu ihrer eigenen Zufriedenheit erfüllen. Bei zwei Dritteln (65 Prozent) sei dies „häufig“ der Fall, knapp ein Drittel (31 Prozent) sprachen von „gelegentlich“, während 1 Prozent die Frage vollkommen verneinte. Das hat laut Gewerkschaft aber nichts „mit einer überperfektionistischen Berufsgruppe“ zu tun. Es sei schlichtweg nicht möglich, die Menge an Aufgaben zu bewältigen.
Mehr Belastung, weniger Zufriedenheit
Als Hauptbelastungen nannten über 90 Prozent der Schulleiter steigende Verwaltungsarbeiten, ein stetig wachsendes Aufgabenspektrum und den Umstand, dass die Politik den tatsächlichen Schulalltag bei ihren Entscheidungen nicht berücksichtigt.
Hinzu kommen die Anspruchshaltung, dass die Schule alle aufkommenden gesellschaftlichen Probleme lösen soll, mangelnde Zeit und eine Überlastung des Kollegiums. Nur die Hälfte der Schulleiter würde ihren Beruf weiterempfehlen, ergab die Umfrage. Im Jahr 2018 lag ihr Anteil noch bei 73 Prozent.
Positiv sei jedoch, dass die Motivation auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen sei. Die Anzahl der Schulleiter, die heute „sehr gerne“ zur Arbeit gehen, liegt bei 39 Prozent und damit nahe dem Wert vom Februar 2020 (42 Prozent). Allerdings erreicht sie noch lange nicht das Niveau aus dem Jahr 2019, als 58 Prozent der befragten Schulleiter angaben, ihren Beruf „alles in allem sehr gern“ auszuüben.
Vierzehn Prozent der heutigen Schulleitungen gaben an, „eher/sehr ungern“ zur Arbeit zu gehen. Im November 2020 war ihre Anzahl fast doppelt so hoch (27 Prozent).
Nach dem immensen Organisationsaufwand, den zahlreichen Vorgaben aus den Ministerien und den verschiedenen Aufholprogrammen sei es diesbezüglich an den Schulen wieder ruhiger geworden, auch wenn es etliche neue Herausforderungen gebe.
Offen bleibe unter anderem die Frage, „ob wir momentan besser auf eine Pandemie vorbereitet wären als vor 5 Jahren“. Die Gewerkschaft bezweifelt das.
Entlastung durch Seiteneinsteiger – nur eine „Scheinlösung“?
Seit dem Jahr 2018 hat sich die Anzahl der Schulen, die Personen ohne Lehramtsqualifikation beschäftigen, von 37 auf 68 Prozent erhöht.
Die Hälfte der Schulleiter äußerte, „dass sie Studierte beschäftigen, die kein pädagogisches Fach studiert haben“, aber sich nachträglich qualifiziert hätten. Ein Viertel gab an, dass die Seiteneinsteiger über eine abgeschlossene Ausbildung und eine Nachqualifikation verfügten. In 17 Prozent der Schulen werden Personen beschäftigt, die zwar auf Lehramt studiert, aber dieses nicht erfolgreich abgeschlossen haben und eine Nachqualifikation erhielten.
Des Weiteren gab die Hälfte der Schulleiter an, dass sie Studenten im Lehramtsstudium bereits als Lehrkräfte beschäftigen. Der VBE warnt jedoch vor deren frühzeitigen Einsatz an Schulen. Den Studenten fehle das pädagogische Gespür; sie würden nur das wiedergeben, was sie in den 12 oder 13 Jahren davor erlebt haben. Es könne zwar sein, dass die Studenten bei den Schülern als „die Coolen“ gelten, aber ohne Lehrpersönlichkeit könnten sie nicht für einen nachhaltigen Lernprozess sorgen.
Wie die Umfrage zeigt, könnten die Schulleitungen aktuell noch mehr Stellen besetzen. An jeder siebten Schule fehlen laut Neckov mehr als drei Lehrkräfte. Er warnt insoweit vor einer „Scheinlösung“ des Problems. Was der Einsatz von Seiteneinsteigern auf lange Sicht für die Unterrichtsqualität bedeute, sei bislang unklar. Aus seiner Sicht ist es unverzichtbar, mehr Lehramtsstudenten zu gewinnen und Seiteneinsteiger nachzuqualifizieren.
Nachbesserungsbedarf an Digitalisierung
Die Schulleiter sehen auch einen Nachbesserungsbedarf bei der Ausstattung mit digitalen Endgeräten. Zwar hat sich die Situation seit dem Jahr 2020 – damals fehlten in 63 Prozent der Schulen Laptops, Tablets und Smartphones – verbessert, aber noch immer geben 10 Prozent der Schulleiter an, dass sie nicht einen einzigen Klassensatz der Geräte zur Verfügung haben.
„Dieses Zukunftsthema darf nicht verschlafen werden“, so der Gewerkschafter.
Von den für den Basisdigitalpakt bereitgestellten 5 Milliarden Euro wurden rund 4,9 Milliarden abgerufen. Ob der Digitalpakt 2.0 zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt, ist unklar. Eine Einigung von Bund und Ländern steht noch aus.
Ganztagsbetreuung auf wackligen Füßen
Das Recht auf Ganztagsbetreuung, das ab dem Schuljahr 2026/2027 greifen soll, kann laut Umfrage an einem Drittel der Grundschulen derzeit nicht garantiert werden. Daran hat sich im Vergleich zur Vorgängerumfrage aus dem vergangenen Jahr nichts geändert. Vor allem mangelt es an Fachkräften und Räumen. Auch Bürokratie und fehlende finanzielle Mittel wurden als Gründe genannt.
Spannend seien auch die Antworten auf die Frage, ob es im jeweiligen Bundesland verbindliche Qualitätsstandards für den Ganztag gibt, so die Gewerkschaft. Jede fünfte Schulleitung beantwortet dies mit „weiß nicht“, etwas über die Hälfte bestätigt, dass es bereits Standards gibt.
Necklov kritisierte zudem, dass Kommunen erst bei den Umsetzungen einbezogen werden, nachdem die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern bereits beendet sind; doch das sei zu spät. Um gemeinsam die Zukunft zu gestalten, brauche man unter anderem Vernetzungen, politische Gespräche sowie den Austausch mit den Schulleitungen.
(Mit Material der Agenturen)
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