Ukraine: Trump denkt vom Ende her – Putins Alternative ist keine
Historisch gesehen enden Kriege entweder mit einem vollständigen militärischen Sieg, einem Waffenstillstand oder einer ausgehandelten Friedenslösung. Dem Haager Zentrum für Strategische Studien zufolge endeten zwischen 1946 und 2005 nur 16 Prozent der Kriege mit einer Verhandlungslösung. 37 Prozent dieser Friedenslösungen führten wiederum zu erneuten Konflikten, oft innerhalb von nur zwei Jahren.
Verhandlungen sind der Studie zufolge dann am erfolgreichsten, wenn es den Parteien gelingt, eine Vertrauensbasis aufzubauen und die Ursachen des Konflikts offen darzulegen. Vertrauenswürdige Vermittler können dazu beitragen, den Friedensprozess vor Störungen zu schützen.
Biden hatte keine US-Exit-Strategie
Seitens der NATO wurde bisher in der Regel argumentiert, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei in gar keiner Hinsicht zu trauen. Er zähle vielmehr zu jenen 37 Prozent, die eine Friedenslösung nur zur „Atempause“ nutzen würden, um wenig später den Konflikt erneut zu eskalieren. Auf der Grundlage dieser Überzeugung hielt die bisherige amerikanische Regierung unter Präsident Joe Biden an einer nahezu bedingungslosen Unterstützung für die Ukraine fest. Diese Politik verkaufte „Old Joe“ allen NATO-Staaten als alternativlos.
Auch die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich widerspruchslos von Biden um den Finger wickeln und auf diese Linie einschwören lassen. Der große Haken an solch einer Politik ist jedoch die typisch amerikanische Haltung in bislang allen Weltkonflikten seit 1945: Washington hat keine „Exit-Strategie“; außer der utopischen, wie ein Mantra wiederholten Zielvorgabe eines vollkommenen Sieges der Ukraine über Russland.
Trump will sofort über Frieden reden
Der designierte US-Präsident Donald Trump hingegen denkt ausschließlich vom Ende her. Er hat klargestellt, Putin und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj umgehend nach seinem Amtsantritt am 20. Januar 2025 an den Verhandlungstisch zu bringen. Denn letztlich, so sein Kalkül, wird ein Friedensabkommen nur in einem direkten persönlichen Gespräch zwischen Trump, Putin und Selenskyj entschieden.
Damit spricht sich Trump gegen Friedenskonferenzen im Format wie im Juni 2024 in der Schweiz aus, bei der fast 100 Staaten glaubten, darüber beraten zu können, wie eine Friedenslösung in der Ukraine zustande kommen könnte – allerdings ohne Beteiligung Russlands.
Diese Verhandlungstheorie beinhaltet zudem das sogenannte BATNA-Konzept: best alternative to a negotiated agreement – die beste Alternative zu einer ausgehandelten Einigung. Mit anderen Worten: Es geht nicht nur um das, was man idealerweise auf jeder Seite erreichen will, sondern es geht darum, was passiert, wenn die Gespräche scheitern. Also: Wie sieht Plan B aus, wenn Plan A scheitert?
Die besten Chancen für eine Verhandlungslösung bieten sich ohnehin, wenn beide Seiten zu der Überzeugung gelangt sind, dass Weiterkämpfen ihren Interessen mehr schadet als nutzt. Viele Russlandexperten bezweifeln, dass Putin nach fast drei Jahren Krieg an jenem Punkt angekommen sei.
Wie in ausnahmslos allen russischen Kriegen, ist Moskau auch in der Ukraine bereit, riesige Mengen an Soldaten klaglos zu opfern, um schrittweise – und seien sie noch so gering – Gewinne zu erzielen. Russlands große Reserven an Männern und Material verleihen Moskau Durchhaltevermögen, das es auf ukrainischer Seite nicht gibt.
Die NATO-Hilfe für die Ukraine reicht zwar bislang aus, den „ukrainischen Patienten“ am Leben zu erhalten, aber nicht, um das Gleichgewicht entscheidend in Richtung Sieg zu verschieben. Denn Putin hat Biden und Scholz erfolgreich davon überzeugt, dass man ihn fürchten müsse, und dass er rücksichtslos genug sei, möglicherweise doch noch in einen atomaren Krieg einzusteigen.
„Die Angst der Verbündeten vor einer Eskalation hat ihre Militärstrategie überlagert. Als Ergebnis hat Putin den Finger in den Wind gehalten und sieht, dass er in seine Richtung weht“, analysiert der Washingtoner Thinktank Center for Strategic International Studies (CSIS) in einem Dezember-Beitrag auf seiner Website.
Warum sollte Putin mit Trump reden?
Warum sollte Putin verhandeln, wenn er glaubt, er könne gewinnen? CSIS nimmt an, dem russischen Präsidenten sei es „völlig egal, ob noch mehr Russen oder Nordkoreaner für seine territorialen Ambitionen sterben“. Und wahrscheinlich denke er, „dass die Großzügigkeit der USA und Europas gegenüber der Ukraine nachlasse“. CSIS glaubt also, dass Trumps Chancen für einen Frieden in der Ukraine illusorisch seien.
Dieser Annahme des amerikanischen Thinktanks steht gegenüber, dass die ganze Welt vor Trump sichtbar Angst hat. Kaum war Trump gewählt, erklärten sich europäische Staaten umgehend bereit, mehr für ihre eigene Verteidigung auszugeben, aus Sorge, die USA könnten unter Trump die NATO verlassen. Es gibt zahlreiche ähnliche regionale Reaktionen auf die Wahl Trumps, etwa in Asien und in Afrika.
Und: Trump selbst hat sich unter Erfolgsdruck gesetzte. Frieden in der Ukraine zu schaffen, ist eines seiner wichtigsten Wahlversprechen. Das muss er schnellstmöglich einlösen, sonst verliert er ganz schnell jede Glaubwürdigkeit für weitere Vorhaben in den nächsten vier Amtsjahren. Liefert Trump nicht wie versprochen, wird er schneller zur „Lame Duck“ als jeder andere Präsident vor ihm.
Trump hat alle Trümpfe in der Hand …
Doch Trump hat alle Trümpfe in der Hand. Er wird Russland als gesichtswahrendes Angebot jene territorialen Zugeständnisse machen, die Selenskyj bereits selbst im November ins Spiel gebracht hat: Kiew ist demnach bei einem „Deal“ bereit, die eroberten Gebiete in der Süd-Ost-Ukraine – die Krim und den Donbass – unter russischer Kontrolle zu belassen – zumindest so lange, wie Putin im Amt ist.
Putin wird das nicht reichen. Er hat seinen Landsleuten die „Entnazifizierung“ der Ukraine versprochen. In seiner Wahrnehmung herrschen in Kiew „Nazis“. Letztlich strebt er die Rückführung der Ukraine als Provinz ins russische Reich an. Bleibt Putin bei dieser Maximalforderung, würde Trump die Ukraine bis zu den Zähnen bewaffnen und Moskau möglicherweise beim kleinsten Mucks mit einem Atomschlag drohen. Trump gilt weltweit als unberechenbar – in diesem Fall könnte Trumps kontroverse Haltung ein Vorteil sein.
… und eventuell ein Ass im Ärmel
Kaum vorstellbar, dass Putin es darauf anlegt, mit einem nicht einschätzbaren amerikanischen Präsidenten auf Maximalkollisionskurs zu gehen. Zumal bei all jenen öffentlich geäußerten Verhandlungslösungen – also auch dieser hier – nicht berücksichtigt ist, was Trump sonst noch bewegt.
Insbesondere die massiven Fehleinschätzungen der Umfrageergebnisse vor der Präsidentenwahl am 5. November, die demokratische Kandidatin Kamala Harris mit Trump fälschlicherweise gleichauf sahen, haben Analysten bezüglich Trumps Absichten vorsichtig werden lassen. Ihm wird jetzt zugetraut, immer „ein Ass oder einen Joker im Ärmel zu haben“, mit dem keiner rechnet, wie in zahlreichen amerikanischen Social Media und einigen klassischen Print-Medien zum Ausdruck kommt. Insofern hat Putin keine Alternative, als sich auf Trumps „Deal“ einzulassen.
Würde die Entwicklung tatsächlich so verlaufen, wie hier beschrieben, wäre Donald Trump künftig der mächtigste amerikanische Präsident aller Zeiten.
Zum Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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