„Früher war das Leben sicher und gut“ – Bürger trauern um das alte Schweden

Vor nicht allzu langer Zeit galt Schweden noch als äußerst friedliches und sicheres Land, doch die Kriminalität hat angezogen. Welchen Blick Schweden auf diese Entwicklung haben, äußerten sie bei einem Besuch in der westschwedischen Metropole Göteborg.
Titelbild
Am 1. Juli 2021 wird auf dem Stortorget-Platz in Malmö, Schweden, eine Schweigeminute abgehalten, nachdem nahe Göteborg ein Polizist erschossen wurde.Foto: Andreas Hillegren/TT Nachrichtenagentur/AFP über Getty Images
Von 6. Dezember 2024

Reza ist empört. Bei einem Spaziergang durch sein Wohnviertel, das trendige innerstädtische Heden, berichtet er von seiner Ankunft in Schweden im Jahr 1975.

Nach seinem Medizinstudium in der Bundesrepublik, wohin er 1969 als 19-Jähriger aus dem Iran gekommen war, wanderte er in das skandinavische Land aus.

„Damals galt für Schweden noch der Leitspruch von Dag Hammarskjöld: ‚Ein Land, in dem geboren zu sein, wie ein Hauptgewinn in der Lotterie des Lebens ist‘“, zitiert Reza den 1961 bei einem Flugzeugabsturz in Nordrhodesien, dem heutigen Sambia, ums Leben gekommenen schwedischen UN-Generalsekretär.

Um 1957: Der schwedische Politiker und Diplomat Dag Hammarskjöld (1905–1961), der als Generalsekretär der Vereinten Nationen bei einem Flugzeugabsturz in Sambia ums Leben kam. Foto: MPI/Getty Images

„Damals war Schweden noch ein Land, in dem Milch und Honig flossen. Kriminalität gab es kaum, auf jeden Fall weit weniger als im Rest Europas. Das Leben war sicher und gut. Tja – und heute?“

Reza lässt seinen Blick über die Häuser seiner Nachbarschaft gleiten, welche gepflegt und wohlhabend aussehen. „Tja – heute Sodom und Gomorrha“, fügt er hinzu.

Der Schwede iranischer Herkunft empört sich über die Masseneinwanderung, vor allem aus arabischen Ländern, welche seiner Auffassung nach für die explodierende Gewaltkriminalität verantwortlich ist, die das nordeuropäische Land seit geraumer Zeit heimsucht.

„Ich wähle schon seit Jahren die Sverigedemokraterna, die Schwedendemokraten“, gibt der Dermatologe im Ruhestand freimütig zu.

„Meine Kinder und Enkelkinder kamen alle in diesem Land zur Welt, welches immer noch ein fantastisches Land ist. Ich möchte es ihnen aber erhalten und nicht zusehen, dass es Stück für Stück zerstört wird wie meine Heimat, der Iran.“

„Mysig“ leben in der Großstadt

Im Stadtteil Haga präsentiert sich Göteborg architektonisch von seiner Schokoladenseite. Traditionelle Holzgebäude, kopfsteingepflasterte Straßen, kleine Boutiquen und Cafés prägen das inzwischen sehr gentrifizierte ehemalige Arbeiterviertel.

Hier lebt die 53-jährige Louisa, die als Dozentin für Sozialwissenschaften an der Universität von Göteborg tätig ist. Die zweitgrößte Stadt Schwedens ist als Studienort bei den jungen Akademikern populär.

„Es stimmt schon“, berichtet die gebürtige Göteborgerin schmunzelnd, „dass das Leben hier an der Westküste etwas entspannter vonstatten geht als in der Hauptstadt Stockholm. Mysig heißt auf Schwedisch gemütlich. Gemeint ist damit eine bestimmte Form der Gemütlichkeit, die Sie hier finden, obwohl wir mehr als 500.000 Einwohner haben und die zweitgrößte Stadt Schwedens sind“, erklärt die Akademikerin, die mit ihrem Lebensgefährten und den zwei Kindern eines der reizenden restaurierten Holzhäuser bewohnt.

„Dieses war eine der sozialdemokratischen Herzkammern der Stadt, die immer schon sozialdemokratisch geprägt war. Meine Eltern haben auch sozialdemokratisch gewählt. Ich selbst bin mit den politischen Visionen von Olof Palme aufgewachsen, dessen Ermordung 1986 mich damals als 15-Jährige ebenso wie das ganze Land getroffen hat. Wir lebten damals im Paradies, aber wir wussten es nicht. Aber Schweden hat sich ebenso verändert wie die Sozialdemokratie. Die Partei hat sich so sehr auf die politische Mitte zubewegt, dass ihre derzeitige Situation als katastrophal zu beschreiben ist“, erläutert Louisa, die sich heute zur Linkspartei bekennt.

Der Göteborger Stadtteil Haga: Traditionelle Holzgebäude, kleine Boutiquen und Cafés. Foto: TT/iStock

Die Dozentin zeigt sich angesichts des Rechtsrucks in der Gesellschaft besorgt und macht aus ihrer Sehnsucht nach dem Wohlfahrtsstaat von einst, dem sogenannten Volksheim, kein Geheimnis.

Sehnsucht nach dem Wohlfahrtsstaat von früher

„Ich war früher immer stolz, Schwedin zu sein, aus einem Land zu kommen, in dem Fremde ein neues Zuhause finden, in dem Gleichberechtigung existiert, nicht nur auf dem Papier, einem Land, das sich für den Frieden einsetzte und nicht der NATO beigetreten ist“, bekennt Louisa und bringt damit eine weitverbreitete Sehnsucht vieler Menschen nach eben diesem Volksheim zum Ausdruck. „Wir brauchen ein neues Volksheim“, fügt sie zum Abschied mit Nachdruck hinzu.

Volksheim – dieser Begriff steht in Schweden seit Jahrzehnten für ein Miteinander der Menschen, Fürsorge, einen umfassenden Wohlfahrtsstaat. Erfunden und gestaltet haben ihn die Sozialdemokraten, ungefähr ab 1933 bis in die frühen 1990er-Jahre, als mit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten in Mittel-/Osteuropa auch in Schweden der Neoliberalismus seinen vorläufigen Siegeszug begann.

Die Sozialdemokratische Partei, viele Jahrzehnte tonangebend in Schweden. Foto: Alexander Farnsworth/iStock

„Das moderne Volksheim“ („Det Moderna Folkhemmet“) lautet der Titel eines Bestsellers, welcher 2018 erschien, aber nicht von einem sozialdemokratischen Politiker verfasst wurde, sondern von Jimmie Åkesson, dem Vorsitzenden der rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD).

Die Sehnsucht nach dieser Zeit, in der Schweden nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der reichsten und sozial fortschrittlichsten Gesellschaften aufstieg, wird heute politisch von rechts bedient – und das mit Erfolg.

Bei den letzten Wahlen zum Schwedischen Reichstag blieben die Sozialdemokraten zwar stärkste Kraft, aber die Schwedendemokraten haben sich als zweitstärkste Partei mit rund 20 Prozent etabliert und gefestigt. Ein phänomenaler Aufstieg, wenn man bedenkt, dass diese Partei 2002 nur 1,4 Prozent erhielt.

„Verfehlte“ Einwanderungspolitik

„Die Leute haben halt keine Lust auf Gangkriminelle, Raubüberfälle, brennende Polizeiautos. So etwas gab es früher in Schweden nicht“, betont Johan, der als Consultant bei Volvo tätig ist. Der 40-Jährige legt Wert darauf, zu betonen, dass er nichts von den Schwedendemokraten hält, kann den Aufstieg dieser Partei aber nachvollziehen.

„Na, bei der Europawahl gab es schon einen Dämpfer für die Truppe. Platz 2 war ihr Ziel, am Ende reicht es nur für Platz 4. Mit 13,2 Prozent landen die Rechtspopulisten hinter den Sozen, den Moderaten und überraschenderweise auch hinter der Umweltpartei, die zu den größten Gewinnern zählt. Damit bleiben die Schwedendemokraten gut 2 Prozentpunkte hinter ihrem letzten Europawahlergebnis zurück“, erklärt der flachsblonde Mann, der wie ein Klischeebild eines Schweden erscheint, bei einem Espresso in einem Café in der Avenyn, dem von Jugendstilbauten gesäumten Prachtboulevard der Hafenstadt.

„Die Leute wissen doch, dass nicht die Ausländer das Problem sind, sondern eher die verfehlte Einwanderungspolitik der Linken und Sozen. Göteborg ist eine Einwandererstadt. Die Eltern meiner Freundin stammen aus Griechenland, mein bester Kumpel ist Perser und hier der Chef des Cafés hat einen ganz besonderen Background.“ Johan ruft Carlos zu sich an den Tisch, der als Kind nach Schweden kam, als Sohn einer kolumbianischen Mutter und eines venezolanischen Vaters.

Immer wieder nach Schweden zurück

Der 38-Jährige ist mit einer gebürtigen Kroatin verheiratet. Das Paar hat drei Kinder. „Nein, von Ausländerfeindlichkeit habe ich kaum etwas mitbekommen, schon gar nicht in der letzten Zeit. Ich lebe wahrscheinlich in einer Bubble“, scherzt der Gastronom, gibt aber zu bedenken, dass er sich in letzter Zeit darüber Gedanken gemacht hat, mit seiner Familie nach Kroatien umzuziehen, wegen der Sicherheit, vor allem der Kinder. „Klingt komisch, ich weiß. Meine Eltern kamen damals hierher eben wegen der Sicherheit, die Schweden garantierte, und ich erwäge aus den gleichen Gründen den Umzug nach Kroatien“, äußert der gebürtige Lateinamerikaner.

„Abwarten“, wirft Johan ein. „Es gibt viele Gründe, Schweden mal zu verlassen, vor allem temporär. Ich selbst habe in Schottland studiert und eine Zeit lang in Berlin und Barcelona gelebt, großartig. Aber Schweden hat dann doch etwas, was mich immer zurückkehren lässt. Was es genau ist, weiß ich nicht, vielleicht die Tatsache, dass man hier zurückgezogen leben kann und doch mittendrin [ist] wie nirgendwo sonst auf der Welt und dass das von den Menschen akzeptiert wird!“



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion