Ärzteverband warnt vor elektronischer Patientenakte: „Wir sind völlig unvorbereitet“

Anfang 2025 soll bundesweit die elektronische Patiententakte eingeführt werden. Der Ärzteverband IG Med sieht dies kritisch. Es gebe Zwang gegenüber den Ärzten, schaffe Mehrarbeit und berge ein Risiko für die Patientendaten.
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In einem Wartezimmer.Foto: iStock / Caiaimage/Robert Daly
Von 13. September 2024

Die IG Med – ein Interessenverband für Heilberufler in Deutschland – kritisiert die anstehende Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA).

Sie wird Anfang 2025 zunächst in zwei Modellregionen eingeführt. Nach diesem Test soll dann die bundesweite Einführung per Widerspruchslösung erfolgen. Das heißt, wer nicht widerspricht, ist mit im Boot. Das auch für alle nach dem 15. Februar Neugeborenen, so der Verband am 11. September im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin.

Der Allgemeinmediziner und 2. Vorsitzende der IG Med, Dr. Steffen Grüner, sieht in der ePA vorwiegend neue Belastungen für die Ärzteschaft und ein Datenrisiko für seine Patienten.

Dr. Steffen Grüner, Allgemeinarzt und 2. Vorsitzender der IG Med. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

„Wir sind völlig unvorbereitet und werden wieder eine ganze Menge an Kosten haben, um diese elektronische Patientenakte in unsere Arbeitsabläufe zu integrieren.“

Sie werde auch nicht bei den aktuellen Problemen im ambulanten Bereich helfen können.

Auch sei die ePA nur auf Deutschland gemünzt, so der Allgemeinmediziner. „Ich kann mit meiner elektronischen Patientenakte zum Beispiel nicht nach Norwegen, Schweden oder Spanien gehen.“

MRT- oder Röntgenbilder könnten zudem darauf nicht gespeichert werden, weil die Daten zu groß seien. Und er bemängelt, „wie viel Geld da jetzt reingepumpt worden ist und wie mager der Outcome [das Ergebnis] ist.“ Dabei spricht er von sechs bis acht Milliarden Euro, die bereits in die ePA geflossen seien.


Psychiater kritisiert Widerspruchslösung

Ebenso wie Grüner sieht auch der Psychiater Dr. Andreas Meißner aus München in der Einführung der elektronischen Patientenakte ein Problem. Er hat ein Buch zu dem Thema geschrieben, mit dem Titel: „Die elektronische Patientenakte – Das Ende der Schweigepflicht“.

Dabei stört ihn insbesondere die Widerspruchslösung. „Schweigen ist keine Zustimmung“, findet der Psychiater.

Zudem bemängelt er den Zwang, der auf die Ärzte aufgebaut werde. Er plane, einen Honorarabzug von 2,5 Prozent in Kauf nehmen, um seine Patienten und ihre Daten zu schützen. Er schließe nicht aus, dass falls die Einführung nicht wie gewünscht verlaufe, die Regierung möglicherweise noch andere Druckmittel gegenüber der Ärzteschaft einsetzen werde.

Andreas Meißner, Buchautor und Psychiater. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Daten könnten ins Darknet gelangen

Die Daten werden laut Gesundheitsministerium verschlüsselt und pseudonymisiert (also ohne direkt Personen identifizierende Informationen, wie Name, Geburtsdatum und Adresse) gespeichert.

Die Schlüssel habe aber nicht der Patient selbst, bemängelt Meißner.

„Mit Quantencomputern und künstlicher Intelligenz werden heute sichere Daten in zehn Jahren wahrscheinlich durch Hacker entschlüsselt werden können. Diese Daten haben dann im Darknet immer noch einen Wert“, warnt er. Das heißt, Hacker würden jetzt die Daten abgreifen und später entschlüsseln.

Man habe andere Probleme im Gesundheitswesen, wie Ärztemangel, Pflegenotstand und fehlende Medikamente, so der Münchner. Die Praxen hätten nicht danach gerufen, eine ePA zentral auf Servern gespeichert einzuführen.

Es benötige eine sichere digitale Verbindung unter den Ärzten zur Kommunikation, aber keine elektronische Patientenakte. Diese diene mehr den Interessen der Forschung, auch der Pharmaindustrie, aber weniger der Patientenversorgung. Denn mit der ePA sei eine automatische Datenweiterleitung der Patientendaten an die Forschung verbunden, wenn man ihr nicht ausdrücklich widerspreche, so der Buchautor.

Dabei sieht er weitere Probleme: „Die Daten können unvollständig sein – Patienten können Daten löschen lassen“, erklärt Meißner. Daher hält er den Nutzen für die Forschung für fragwürdig, denn um genaue Ergebnisse zu erhalten, müssten Doppelblindstudien oder Kohortenstudien über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. Das würden die Daten gar nicht hergeben, so der Psychiater.

Was einmal über das Forschungszentrum an Dritte geflossen sei, lasse sich aber nicht mehr zurückholen oder löschen.

Regierung: Qualitativ hochwertige, gut geschützte Daten

Anders als Meißner hält die Regierung die Daten für qualitativ hochwertig und repräsentativ. Auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums heißt es, dass das Forschungsdatenzentrum (FDZ) auf Antrag „für die Verbesserung der Versorgung qualitativ hochwertige und repräsentative Daten“ zur Verfügung stellt. Das FDZ ist Teil des Robert Koch-Instituts.

Begründet wird dies damit, dass man, um die Vorteile von Künstlicher Intelligenz (KI) nutzen zu können, „genau diese strukturierten Daten“ benötige. Das sei vor allem für neue Präventions-, Diagnose- und Behandlungsverfahren wichtig – „denn KI kann nur so gut sein, wie die Daten, mit der sie entwickelt wird“.

In einem Interview mit dem „Spiegel“ im November 2023 erklärte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Man wolle mit der ePA in „einem geschützten, digitalen Raum“ die für ein „gemeinwohlorientiertes Forschungsprojekt notwendigen Daten“ zusammenbringen. Dazu zählen Krebsregisterdaten, Genomdaten, Daten aus der elektronischen Patientenakte und Studiendaten.

„Damit heben wir einen Datenschatz, den es bisher nirgendwo sonst gibt – das ist ein echter Gamechanger für die Forschung.“ Daran seien selbst amerikanische Spitzeninstitutionen, wie Harvard und MIT, interessiert.

Arzt sieht Gefahr durch Cyberangriffe

Die Server, wo die ePA-Daten gespeichert werden, befänden sich in Deutschland und würden den EU-Datenrichtlinien unterstehen, berichtet die Techniker Krankenkasse. Für Meißner bedeutet dies aber keine Entwarnung:

„Sie können täglich von Cyberangriffen selbst auf Regierungen, die NATO, Universitäten et cetera hören und lesen. Krankenhäuser seien schon gehackt worden. „In Finnland sind auch schon zentral gespeicherte Daten von Psychotherapiepatienten im Netz aufgetaucht – mit Namen, mit Diagnosen, mit Therapieverläufen.“

Ihnen würde eine komplexe Technik aufgezwungen, die man als Arzt nicht mehr durchschauen könne.

Ich wollte eigentlich Mediziner werden und nicht IT-Techniker sein“, so Meißner weiter.

Auch könne er nicht mehr überblicken, wer, wo und wie mit den Daten seiner Patienten umgehe. „Die Daten sollen mittelfristig automatisiert aus meinem Verwaltungssystem in der Arztpraxis in die elektronische Patientenakte fließen.“

Offiziell solle dies der Arbeitserleichterung dienen. Aber:

Damit ist auch die [ärztliche] Schweigepflicht gefährdet“, so der Facharzt.

Ein Appell an die Kollegen

Der Mediziner Grüner zeigt sich besorgt über eine fehlende Auseinandersetzung mit der ePA unter seinen Berufskollegen angesichts der Erfahrungen während der Corona-Zeit:

„Wir haben natürlich die Hacken zusammengeschlagen und ohne nachzufragen alles gemacht.“ Auch jetzt bei ePA stellt sich die Frage: „Nehmen wir das hin oder stellen wir uns auf die Hinterbeine und versuchen unsere Aspekte da hereinzubringen?“

Die IG Med ist ein kleiner, unabhängiger Interessenverband für Heilberufler – also für Haus-, Fach- und Zahnärzte, aber auch Psychotherapeuten, Tierärzte und Apotheker. Mit seinen rund 900 Mitgliedern stellt er einen „kleinen Bruder“ neben den großen Ärzteverbänden wie Marburger Bund, Hartmannbund oder Virchowbund dar.



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