Europaabgeordneter zur EU-Migrantenquote: „Was gerade passiert ist, ist im Grunde ein Putsch“

Der neue Plan der EU zur Migrationspolitik spaltet die Gemüter. Derweil nimmt eine von Polen und Ungarn geführte Koalition Gestalt an.
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Graffiti zur Begrüßung von Flüchtlingen und Migranten in Berlin, Deutschland, 30. April 2016.Foto: iStock
Von 16. Juni 2023

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Die Staats- und Regierungschefs von Ungarn, Polen und der Slowakei halten die EU-Entscheidung von letzter Woche über die Migrantenquote für einen schweren Fehlgriff. Nach Ansicht des ungarischen Justizministers käme die neue Regelung einer Einladung an illegale Migranten in die EU gleich.

„Die Quote, die auch als eine Art Verteilungsmechanismus bekannt ist, sendet eine Botschaft an die Dritte Welt und die außereuropäische Welt: Ihr könnt hierherkommen. Denn am Ende könnt ihr hierbleiben, weil wir euch einem der Länder ohnehin in den Rachen schieben werden“, so Varga im örtlichen Fernsehen „Hír-TV“.

Zustimmung mit einfacher Mehrheit?

Vergangene Woche debattierten die EU-Innenminister in einer zwölf Stunden langen „Marathonsitzung“ in Luxemburg über Migration, anschließend erfolgte die Abstimmung über den Entwurf zur Verteilung von Migranten. Polen und Ungarn stimmte dagegen, Bulgarien, Malta, Litauen und die Slowakei enthielten sich.

Für eine Einigung reichte die Zustimmung von 55 Prozent der Mitgliedstaaten. Die geplante EU-Asylreform zwingt die Mitgliedstaaten unter anderem dazu, eine bestimmte Anzahl von Migranten aufzunehmen. Dazu werden die Quoten zentral festgelegt. Die Länder können sich von der Quote befreien, indem sie 20.000 Euro pro Migrant zahlen.

Ungarns Regierungspartei zufolge dürften die Innenminister in Luxemburg bei diesen Themen nur einstimmig abstimmen, eine nicht einstimmige Abstimmung sei nicht erlaubt. Anders gesagt, wenn alle dafür stimmen, wäre es angenommen, wenn einer dagegen ist, abgelehnt.

„Ein Putsch ist passiert in Luxemburg“

Die Staatssekretäre erhielten den Text des Vorschlags eine halbe Stunde vor der Abstimmung, erklärt Balázs Hídvéghi, ungarischer Europaabgeordneter der Regierungspartei Fidesz.

In einem Interview mit dem Staatsradio „Kossuth“ sagte Hidvéghi, dass Entscheidungen zu umfassenden migrationspolitischen Fragen nur einstimmig getroffen werden dürften. Ihm zufolge habe der Europäische Rat 2016 und 2018 hierzu verbindliche Regeln verabschiedet.

Was gerade passiert ist, ist im Grunde ein Putsch“, so der Europaabgeordnete.

Hidvéghi fügte hinzu, dass es an der Zeit sei, endlich festzulegen, dass die EU-Grenzen nur legal überschritten werden dürfen.

„Zentrale Systeme und Berechnungen würden entscheiden, wer wo platziert wird. Es würde über uns und für uns entschieden werden, wer in unser Land ziehen soll. Das ist inakzeptabel“, betonte Hidvéghi.

Europaabgeordneter zur EU-Migrantenquote: „Was gerade passiert ist, ist im Grunde ein Putsch“
Balázs Hidvéghi, Mitglied des Europäischen Parlaments für die ungarische Regierungspartei Fidesz. Foto: MTI / Szilárd Koszticsák

„Die Deutschen, nicht die Polen, sollten für die Fehler der deutschen Regierung bezahlen“

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki meldete sich ebenfalls schnell zur Wort. Er habe vor, bei einem Treffen des Europäischen Rates „entschieden“ gegen den Plan zu protestieren. Neben Ungarn hat auch bereits der polnische Innenminister in Luxemburg gegen den Entwurf gestimmt.

Dabei soll es nicht bleiben. „Wir bilden in dieser Frage eine Koalition der Mitgliedstaaten und werden diesem Diktat ganz sicher nicht zustimmen“, sagte Morawiecki Anfang der Woche laut dem regierungsnahen ungarischen Medienunternehmen „Origo“.

„In den Jahren 2016 und 2018 habe Polen zusammen mit Tschechien und Ungarn schon einmal „Europa verteidigt“, fügte der Ministerpräsident hinzu. In einer Erklärung am Dienstag fand Morawiecki außerdem harsche Worte für die Idee einer finanziellen Ablöse der Quoten:

Menschen sind kein Verhandlungsgegenstand, für den wir so und so viel zahlen sollten, um sie nicht aufnehmen zu müssen.“

Europaabgeordneter zur EU-Migrantenquote: „Was gerade passiert ist, ist im Grunde ein Putsch“
Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki deutete an, dass Polen den Entwurf des Gesetzes über die Verteilung von Migranten nicht akzeptieren werde. Und es werde für die Weigerung, Migranten aufzunehmen, nicht zahlen. Foto: Niklas Halle’n, WPA Pool/Getty Images

Der Entwurf der EU-Gesetzgebung zur Verteilung von Migranten verstoße auch gegen das Prinzip der Freiwilligkeit, betonte Polens Außenminister Zbigniew Rau. Dies gelte sowohl für Gastländer als auch für Migranten. Rau sagte dies am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem schwedischen Amtskollegen.

Das polnische rechte Lager gab Deutschland direkt die Schuld an der Situation. Mit Blick auf die frühere deutsche Migrantenpolitik, die als „Willkommenspolitik“ bekannt ist, zeigte sich Izabela Kloc, Europaabgeordnete für Polens rechte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), verärgert: „Die Deutschen, nicht die Polen, sollten für die Fehler der deutschen Regierung bezahlen.“

Slowakei steht vereint gegen den neuen Vorschlag

Bei der Sitzung in Luxemburg hat Ivan Simko, der slowakische Innenminister, nicht Stellung bezogen. Er habe nicht abgestimmt, weil er als Mitglied einer Expertenregierung weder ein politisches Mandat noch das Vertrauen des Parlaments genieße, so seine Begründung.

Allerdings hat sich die Slowakei stets konsequent gegen Migrantenquoten ausgesprochen. Sogar die sozialdemokratische Partei (Hlas-SD; mitte-links-gerichtet) der Slowakei hat den Innenminister aufgefordert, die slowakische Position in weiteren Verhandlungen nicht zu ändern, berichtet „Origo“.

Der ehemalige Premierminister Peter Pellegrini erinnerte, dass die Slowakei schon immer gegen jede Art von Quote war. Pellegrini wies auch darauf hin, dass in der Vergangenheit die Idee einer flexiblen Solidarität vorgeschlagen wurde. Dies bedeute zum Beispiel, dass der Schutz der Schengen-Außengrenzen zu unterstützen sei, zitierte die ungarische Zeitung „Magyar Nemzet“ den Politiker.

Tschechischer Innenminister „verrät“ die Visegrád-Gruppe

Der tschechische Innenminister Vít Rakušan stimmte in Luxemburg mit „Ja“. Sein Votum rief im Land starke Reaktionen hervorgerufen. Der ehemalige tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš nannte das neue Migrationsabkommen einen Skandal:

„Es ist absolut skandalös, es ist ein Verrat. Die gesamte Regierung hat die gesamte Tschechische Republik und alle ihre Bürger verraten. Wie konnten Sie so etwas zustimmen, ohne es mit der Öffentlichkeit zu besprechen?“, sagte Babiš.

Die Tschechen hielten daraufhin am 14. Juni eine außerordentliche Parlamentssitzung ab, da mehrere Parteien gegen das Votum des Innenministers protestiert haben. Der Innenminister bestätigte hier unter Druck der Oppositionsparteien, dass die Tschechische Republik immer gegen die Verteilung von Migranten nach Quoten sei. Ihm zufolge bestehe kein Grund zur Besorgnis: „Die Einigung von letzter Woche respektiert dies.“

Nach Ansicht von Rakušan stellt der Vorschlag das Prinzip der Solidarität nicht in Frage:

Es liegt an jedem Mitgliedsstaat zu entscheiden, wie er sich an einer gesamteuropäischen Lösung für die Folgen der Migration beteiligen will.“

Den oppositionellen Parteien zufolge habe Rakušan jedoch nicht das Mandat gehabt, diese Verpflichtung „heimlich“ zu genehmigen.

Der Sprecher der oppositionellen Bewegung für Freiheit und direkte Demokratie (SPD) erklärte: „Der Innenminister hat mit seinem Vorgehen auch die gesamte Visegrád-Kooperation verraten“. Tomio Okamura, Vorsitzender der SPD, forderte den Rücktritt des Innenministers und der gesamten Regierung. Brüssel und die europäischen Staaten sollten aufhören, die Einwanderung zu unterstützen, sagte der Oppositionspolitiker.

Linke Parteien verneinen eine Gefahr

Linke Parteien wie die Opposition der ungarischen Regierung – die den Vorschlag am lautesten angreift – behaupten, es bestehe keine Gefahr. Von einer verbindlichen Quote könne keine Rede sein, da die Länder beschließen könnten, den entsprechenden Betrag an die EU zu zahlen, anstatt Migranten aufzunehmen. Dieses Geld könnte jedoch auch für andere Zwecke verwendet werden.

Die ungarischen Staatsnachrichten zitieren Sándor Rónai, ein Mitglied des Europäischen Parlaments von Ungarns linker Demokratischer Koalition (DK). Rónai meint: „Es wurde über nichts abgestimmt, denn es gab keine Abstimmung, der Rat der Europäischen Union hat nur konsultiert, und es gibt keine obligatorische Umsiedlungsquote, und es wird auch nie eine geben.“

Europaabgeordneter zur EU-Migrantenquote: „Was gerade passiert ist, ist im Grunde ein Putsch“
Laut den Befürwortern des Vorschlags geht es bei dem Umverteilungssystem um Solidarität und darum, die Situation der überlasteten Länder zu erleichtern. Das Bild zeigt syrische, afghanische und afrikanische Flüchtlinge, die aus der Türkei in Griechenland ankommen. Foto: iStock

Keine Klarheit der Vorgaben

Der Gesetzesvorschlag ist auf den EU-Portalen verfügbar. Artikel 7c des 148-seitigen Dokuments enthält die Empfehlung der Kommission zum Solidaritätsfonds der Gemeinschaft. Darin wird gefordert, dass jährlich Zahlen für die Umsiedlung von Migranten und direkte finanzielle Beiträge auf EU-Ebene festgelegt werden. Diese sollten mindestens 30.000 Menschen für Umsiedlungen und 600 Millionen Euro für direkte finanzielle Beiträge betragen.

In der Pressemitteilung der EU heißt es dazu, dass die angemessene Kapazität jedes Mitgliedstaats auf der Grundlage einer Formel bestimmt wird. Dies berücksichtigt „sowohl die Zahl der irregulären Grenzübertritte als auch die Zahl der Fälle von Einreiseverweigerung in einem bestimmten Dreijahreszeitraum“. Was das genau bedeutet und wie es konkret berechnet werden kann, wird unterschiedlich interpretiert.

Die ungarische Regierung rechnet damit, dass das Land alleine fast 30 Prozent des Gesamtkontingents erhalten würde, da es eines der Länder sei, das den Einreiseversuchen der Migranten am meisten ausgesetzt ist. Angesichts der Tatsache, dass Ungarn als EU-Grenzland bereits mehr als 1,5 Milliarden Euro für den Grenzschutz ausgegeben hat, sei dieser Vorschlag für die Regierung inakzeptabel.

Der Entwurf kann jedoch noch erheblich geändert werden. Nach der jetzigen Abstimmung folgen Verhandlungen zwischen den drei EU-Gremien: dem Rat, der Kommission und dem Parlament.



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