DAVA-Chef Özcan: „Bei uns geht es nicht um Erdoğan, sondern um Chancengleichheit“

Im Interview mit der Epoch Times nimmt der Vorsitzende der politischen Vereinigung DAVA zu deren Beweggründen und Zielen Stellung. Er äußert sich zur Frage, ob es sich um eine „Erdoğan-Partei“ handele – und ob auch türkische Oppositionsanhänger, Griechen oder Armenier mitarbeiten könnten.
DAVA Teyfik Özcan
Der amtierende Vorstand der „Demokratischen Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA) mit Parteichef Teyfik Özcan (3. v. r.).Foto: DAVA
Von 3. Februar 2024

Im Januar 2024 hat die politische Vereinigung „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA) das Licht der Welt erblickt. Derzeit sammelt sie Unterstützungsunterschriften – 4.000 davon sind erforderlich, um zur EU-Wahl antreten zu können.

Aufgrund des bisherigen politischen und gesellschaftlichen Engagements mehrerer Exponenten ist schnell die Rede von einer „Erdoğan-Partei“ gewesen. Der Parteivorsitzende Teyfik Özcan war 30 Jahre lang Mitglied der SPD. Unter anderem amtierte er als Leiter der AG-Jugend des Landesausländerbeirats Hessen. Von 1997 bis 2001 saß Özcan für die SPD im Kommunalparlament. Im Jahr 2001 hatte er sich von der aktiven Politik verabschiedet.

Mit der Epoch Times hat der Gründer über seine Beweggründe gesprochen und darüber, wie viel Erdoğan und türkische Politik tatsächlich in DAVA enthalten ist.

Ihre politische Vereinigung DAVA möchte im Juni zur EU-Wahl antreten. Bisherige Projekte, die aus der türkischen Einwanderercommunity heraus gegründet waren, konnten sich nie durchsetzen. Wo liegt – inhaltlich und strategisch – der wesentliche Unterschied zwischen DAVA und Projekten wie der BIG-Partei, der AD-D oder der DPD, die in den 1990er-Jahren in Baden-Württemberg aktiv waren?

Der Unterschied ist gravierend. Die AD-D hatte sich von vornherein nur auf Erdoğan-Sympathisanten konzentriert und damit eine potenzielle Wählerschaft ausgeschlossen. Die BIG war im Wesentlichen eine Ein-Mann-Partei und hatte in 13, 14 Jahren nur eine ernüchternde Bilanz. Wir sind viel breiter aufgestellt, bei uns geht es nicht um Erdoğan oder andere ausländische Staatsoberhäupter.

Wir wollen ein Angebot machen für Menschen, die mit der Richtung der Politik nicht zufrieden sind, aber auch nicht AfD oder Wagenknecht wählen möchten. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf ethnischen und kulturellen Minderheiten. Aber wir haben auch Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft, die bei uns mitmachen.

Die Beweggründe für die Gründung lagen also nicht in Begebenheiten, die das außenpolitische Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei betreffen?

Nein, meine Beweggründe waren völlig andere. Ich war 1993 in die SPD eingetreten. Ich hatte die Visionen von Willy Brandt verinnerlicht. Damals war das eine Partei des Friedens und des Schutzes von Minderheiten. Heute ist es eine Kriegspartei.

Vor jeder Wahl haben mich Menschen gefragt, was sie denn sinnvollerweise wählen sollen, denn es ist ihnen immer schwerer gefallen, die SPD zu wählen. Da ist mir bewusst geworden, dass Millionen von Menschen keine politische Heimat haben. Es gibt ein Vakuum, das man füllen sollte.

BIG und AD-D kamen auch deshalb zu keinen nennenswerten Erfolgen, weil sie es nicht geschafft hatten, über einen bestimmten Teil der türkischen Einwanderercommunity hinaus als generelle Partei für Minderheiten oder Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund wahrgenommen zu werden. Was möchte DAVA anders machen, um breiter wirksam zu werden?

Wir wollen konkret dort Antworten geben, wo sich das Leben der Menschen abspielt. Ein Beispiel: Seit Jahren echauffieren sich deutsche Politiker über die Ergebnisse bei der PISA-Studie, sie sind enttäuscht, aber dabei sind sie auch überrascht. Ich bin es nicht. Ich kenne die Situation etwa in Offenbach, und ich habe immer mehr den Eindruck, dass man die 62-jährige Migrationsgeschichte nicht verstanden hat.

Wenn in einer Grundschulklasse von 23 Kindern nur eines mit deutscher Muttersprache ist, ist es kein Wunder, dass Startschwierigkeiten vorprogrammiert sind. Deshalb wäre es sinnvoll, eine verpflichtende Vorschulklasse einzuführen für alle, die das erforderliche Sprachniveau noch nicht aufweisen. Da können die deutsche Sprache und die Grundlagen deutscher Kultur und Geschichte vermittelt werden. Für wen das gelten soll, kann man ja – wie in Bayern – durch Tests abklären. Oder man macht es eben für alle verpflichtend. Fakt ist aber, dass etwas geschehen muss.

Oder die Imame aus der Türkei … Ich hatte schon in den 1990er-Jahren deutlich gemacht, dass für Deutschland bestimmte Imame in Deutschland ausgebildet werden sollen. Temporär entsandte türkische Imame sind hier oft überfordert, kennen die Verhältnisse hier nicht. Die Religion besteht aber nicht nur aus Dua und Koranversen, sie soll auch Antworten auf das Leben in der hiesigen Gesellschaft geben. Im Gegenzug sollen Moscheevereine und Islamverbände aber auch als relevante Partner anerkannt werden. Hier wurde einfach 30 Jahre lang geschlafen.

Inwieweit könnten historische Ressentiments einer speziell auf die Rechte von Einwanderern zugeschnittenen Partei im Weg stehen? Ich denke an Einwanderer aus Griechenland, Russland, Armenien, wo es zwischen diesen Ländern und der Türkei eine doch sehr wechselvolle Geschichte gegeben hat. Wird DAVA eher eine Partei für Einwanderer der jüngeren Zeit aus Nahost und Afrika sein?

Schon unmittelbar nach meinem Abitur bin ich in meiner Stadt im Ausländerbeirat aktiv geworden. Dort habe ich mit Griechen, Armeniern und Menschen aus anderen Ländern immer reibungslos zusammengearbeitet, weil es allen um eine Sache ging. Nationalismus in jedweder Form war für mich immer ein Übel und wir als DAVA sind ein Antigen. Hier geht es um alle, die nicht die gleichen Ausgangspositionen haben. Wichtig ist für uns nur, dass alle das Parteiprogramm mittragen und kein nationalistisches, rassistisches, antisemitisches oder islamfeindliches Gedankengut pflegen.

Das Parteiprogramm kann man ebenso wie eine Internetseite und offizielle Social-Media-Auftritte noch nirgendwo finden …

Die sind teilweise schon fertig oder in fortgeschrittenem Aufbau. Das wird alles in den kommenden Wochen freigeschaltet. Die Vorschriften für den Betrieb eigener Webseiten sind aber komplizierter geworden, deshalb soll unsere Fachanwältin vorher noch prüfen, ob alle Formalbestimmungen eingehalten wurden. Uns gibt es erst seit drei Wochen und die Resonanz ist sehr groß, da hat sich das leider etwas verzögert.

Die Gesellschaft in der Türkei ist sehr stark polarisiert, und das macht sich auch unübersehbar unter türkischen Einwanderern hier bemerkbar. Würde jetzt ein Anhänger der CHP, von Davutoğlu oder Meral Akşener oder ein Mitarbeiter von Hizmet-Projekten (Gülen-Bewegung) in der DAVA mitmachen wollen – würde das gut gehen?

Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage, denn seit einigen Jahren sage ich allen Vereinen: Wir müssen endlich damit anfangen, die Türkei-Brille abzusetzen. Wenn wir zusammensitzen und über türkische Themen reden, spalten wir uns. Wir müssen aber in Deutschland etwas bewegen. Bei uns ist jeder willkommen, der nicht türkische oder sonstige ausländische Politik betreiben will.

Es geht bei uns nicht darum, wer in der Türkei Präsident ist, und auch nicht um Israel oder Gaza. Jedes Jahr gehen 40.000 bis 50.000 Schüler ohne Schulabschluss von der Schule, und viele von ihnen kommen aus Einwandererfamilien – das ist unser Schwerpunkt. Ich sehe Deutschland als meine Heimat, mein Bundespräsident ist Steinmeier. Und mein Bundeskanzler ist Scholz, ob man seine Politik nun gut findet oder nicht.



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